Interview mit Polit-Geograf Michael Hermann zum DSI-Nein
Was bedeutet diese Ohrfeige für die SVP?

Ein wuchtiges Nein von 58,9 Prozent für die Durchsetzungs-Initiative. Für die SVP ist es «die grösste Niederlage je», glaubt Polit-Geograf Michael Hermann.
Publiziert: 28.02.2016 um 23:02 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 04:02 Uhr
Matthias Halbeis
«Die FDP hat Mitte-rechts einen Exklusiv-Platz.» Politgeograf Michael Hermann
Foto: Sabine Wunderlin

Die Durchsetzungs-Initiative war für die SVP ein Prestige-Projekt. Was bedeutet die Ablehnung für die Schweiz?

Bei der Initiative ging es längst nicht nur um kriminelle Ausländer. Die SVP hat mit ihr einen Grundsatzentscheid über die Umsetzung von Volksinitiativen provoziert. Zumindest bei ihren eigenen Themen trat sie in letzter Zeit ja immer kompromissloser auf. Sie behauptete, das Volk wolle dem Parlament nicht nur vorgeben, welche Probleme es angehen soll, sondern auch gleich, wie das zu geschehen hat. Seit heute wissen wir, der wahre Volkswille ist, dem Parlament bei der Umsetzung von Initiativen einen gewissen Handlungsspielraum zu geben. Es ist ein freiwilliger Machtverzicht und das ist bemerkenswert.

Was bedeutet das für die Zukunft?

Es zeigt, dass das bewährte Schweizer System nicht aus den Fugen geraten ist. Dank der direkten Demokratie werden bei uns die harten Debatten rechtzeitig geführt, wie etwa bei der Zuwanderung. Jetzt wissen wir aber auch, dass die Bevölkerung dafür nicht die legendäre Schweizer Kompromissfähigkeit und Langsamkeit opfern will. Und dieser Entscheid kommt in einem Moment, da die Flüchtlingskrise in Europa die Extreme mobilisiert.

Was bedeutet die Niederlage für die SVP?

Für die Partei ist es die grösste Niederlage je, denn sie hat ohne Not einen ihrer grössten Erfolge, nämlich die Ausschaffungs-Initiative, ins Gegenteil verkehrt. Bis heute hatte sie fast beliebige Deutungshoheit in diesem Thema und enormes Drohpotenzial. Doch genau das hat sie nun verspielt.

Wie meinen Sie das?

Wenn Initiativen überraschend klar scheitern, spielen sie bloss dem Gegner in die Hände. So konnte etwa die Armee die zweite GSoA-Initiative als grossen Triumpf verbuchen, weil sich 78 Prozent hinter die Armee stellten. Oder die Mindestlohn-Initiative: seit ihrer unerwartet krachenden Niederlage haben die Gewerkschaften bei diesem Thema ihr Drohpotenzial verspielt, das sie zuvor noch hatten.

Welche Auswirkungen auf die Schweizer Politik hat die Abstimmung sonst noch?

Sie wird vor allem auch die Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative beeinflussen. Mit dem Nein zur Durchsetzungs-Initiative ist klar: Wenn der Bundesrat einen Kompromiss mit der EU findet, muss dies aus Sicht der Bevölkerung nicht buchstabentreu mit der Initiative übereinstimmen. Darum ist der Spielraum für die Regierung in dieser Sache gestiegen und die SVP hat ihr wichtigstes Argument des kompromisslosen Volkswillens verspielt.

Wird sich die SVP ändern?

Ja, das löst bei der SVP einen Denkprozess aus. Wie das übrigens schon die Wahlniederlage 2011 getan hat. Besonders das miserable Abschneiden damals bei den Ständeratswahlen, hat die SVP dazu gebracht, respektvoller mit den bürgerlichen Partnern umzugehen. Albert Rösti steht dafür exemplarisch. Angetrieben durch ihre eignen Erfolge wurde sie jedoch zugleich bei ihren Initiativen immer extremer. Das Nein ist für die SVP vielleicht auch eine Befreiung. Sie kann ihren angefangenen Weg zurück zur Kompromissfähigkeit nun fortsetzen.

Wenn die Juso und SVP mit ihren Initiativen ähnliche Anteile erreichen, dann ist das für die grösste Partei schon bitter?

Klar. Die SVP betont zwar immer, dass sie alleine gegen alle antreten musste. Man muss aber auch sehen, sie hat die Flüchtlingskrise, die Kölner Silversternacht und die einfachen, emotionalen Wahrheiten auf ihrer Seite. Die Gegner mussten dagegen mit abstrakten Argumenten für den Rechtsstaat und das politische System enorme Überzeugungsarbeit leisten. Nur weil es ihnen gelang, das zu einer Grundsatzfrage über das System zu machen, gelang die Wende.

Werden wir die SVP jetzt immer verlieren sehen, wenn diese bunte Koalition antritt?

Nein. Die grosse Gefahr für die Sieger-Seite ist genau dieser  Eindruck, man könne jetzt die SVP in beliebigen Abstimmungen schlagen. Die Mobilisierung geschah wegen dieser einen besonderen Abstimmung. Der grösste Fehler wäre nun dasselbe zum machen, wie die SVP nach der Ausschaffungsinitiative. Hochmut kommt vor dem Fall.

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