Hakenkreuze, SS-Runen, Hitlergruss
Die Schweiz will Nazisymbole verbieten – aber wie?

Der Nationalrat diskutiert kommende Woche, ob man extremistische Symbole untersagen soll. Doch das ist gar nicht so einfach.
Publiziert: 13.04.2024 um 15:07 Uhr
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Aktualisiert: 13.04.2024 um 15:59 Uhr
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Daniel Faulhaber
Beobachter

Nach dem verheerenden Angriff der Hamas auf jüdische Menschen im Oktober 2023 waren auch auf Schweizer Hauswänden plötzlich Hakenkreuze zu sehen. Symbole des Hasses und des Antisemitismus.

Doch es blieb nicht bei Farbe an Hauswänden. In Zürich wurde ein 50-jähriger orthodoxer Jude Opfer eines Messerangriffs. Und hinterher stellte sich mal wieder die Frage: Hat sich so eine Attacke angekündigt?

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Kommende Woche entscheidet der Nationalrat über ein Verbot nationalsozialistischer Symbole.
Foto: imago sportfotodienst
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Unter Symbolen wie Hakenkreuz, Reichsadler oder SS-Runen wurden während des Zweiten Weltkriegs sechs Millionen Juden ermordet. Nie wieder, hiess es danach auf Denkmälern, in Geschichtsbüchern, politischen Reden und Filmen. Das Schweizer Parlament findet: Nie wieder, diese Mahnung muss jetzt – symbolisch gesprochen – ins Gesetz.

An einer Sondersession Mitte April 2024 wird eine Mehrheit des Schweizer Nationalrats dem Bundesrat die Aufgabe übermitteln, eine gesetzliche Grundlage für ein allgemeines Verbot nationalsozialistischer Symbole auszuarbeiten. Wie das gelingen soll, ist noch unklar. Welche Symbole genau verboten werden sollen, ebenso. 

Dass ein Verbot kommt, sei aber überfällig, sagen Politikerinnen von Mitte, SP und Grünen, die sich seit Jahren dafür einsetzen. «Antisemitismus ist wie Gülle unter löchrigen Brettern. Wenn man draufsteht, quillt er nach oben», sagt die Aargauer Mitte-Ständerätin Marianne Binder-Keller. 

Im vergangenen Jahr hat sich der öffentlich wahrnehmbare Antisemitismus in der Schweiz verdreifacht, zeigt ein kürzlich publizierter Bericht. «Fuck Jews» steht etwa auf einem Trottoir in Küsnacht ZH. Daneben mehrere Hakenkreuze. An einer Wand in Basel: «Vertreibt die Juden aus Europa, oder die weisse Rasse wird untergehen.» Diese Rhetorik kennt Europa aus seiner dunkelsten Epoche. 

Ein generelles Verbot von Nazisymbolen – «es ist an der Zeit», meint Marianne Binder-Keller.

Schöne Hitlergrüsse aus der Schweiz

Das angestrebte Verbot wäre eine Verschärfung der bestehenden Praxis. Denn entsprechende Symbole können in der Schweiz unter Anwendung der Antirassismusstrafnorm schon heute geahndet werden. Verboten sind laut Artikel «261bis» im Strafgesetzbuch alle Handlungen in Wort, Schrift, Bild, oder Gebärden, die Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung abwerten oder in ihrer Menschenwürde verletzen. 

Doch es gibt eine Präzisierung – und die steht im Zentrum der ganzen Auseinandersetzung. Strafbar ist ein Angriff auf die Menschenwürde nämlich nur, wenn damit gleichzeitig für eine entsprechende Ideologie öffentlich geworben wird. 

Damit stehen Schweizer Gerichte vor der Frage: Will da jemand rassistisches, herabwürdigendes und diskriminierendes Gedankengut verbreiten? Oder ist er oder sie lediglich, na ja, privat einfach ein Nazi? 

Ein Beispiel, das diesen Bewertungskonflikt veranschaulicht, spielt 2010.

Neonazis versammeln sich auf der Rütliwiese, und einer von ihnen zeigt für rund 20 Sekunden den Hitlergruss. Die Staatsanwaltschaft Uri verklagt den Mann wegen Rassendiskriminierung, doch das Bundesgericht fällt ein anderes Urteil: Freispruch. Weil der Mann unter seinesgleichen, also anderen Nazis, gehandelt habe, laufe der Vorwurf der Verbreitung einer rassendiskriminierenden Ideologie ins Leere. 

Das Tabuprinzip

Der Fall schlug auch im Ausland hohe Wellen – besonders in Deutschland, wo seit Jahren ein generelles Verbot unter Androhung von bis zu drei Jahren Haft gilt. 

Viel über die deutsche Anwendung des Verbots weiss Thomas Fischer. Er war Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe und schreibt heute eine viel beachtete Kolumne im «Spiegel». Es geht darin um Recht und Politik – und immer wieder auch um die Frage, ob Gesetze der richtige Ort sind, um gesellschaftliche Missstände zu lösen. 

«Man kann auch in Deutschland niemandem verbieten, privat ein Antisemit zu sein», sagt Fischer. «Aber es ist strafbar, das auf bestimmte Weise zu äussern.» Dazu gehören: die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger oder terroristischer Organisationen, die Verbreitung verfassungswidrigen Propagandamaterials oder die öffentliche Volksverhetzung.

Die deutsche Regelung, so Fischer, folgt damit einem «Tabuprinzip». Im Unterschied zur Schweizer Rechtspraxis – sie entspreche dem «Präventionsprinzip». Oder, so könne man das auch nennen, einem «Propagandaverhinderungsprinzip».

«Das ist keine Symbolpolitik»

Und nun, Thomas Fischer, ist der angepeilte Wechsel vom Propagandaverhinderungs- zum Tabuprinzip in der Schweizer Gesetzgebung sinnvoll – oder ist das reine Symbolpolitik?

«Ich halte das durchaus für sinnvoll und nicht für Symbolpolitik», sagt Thomas Fischer. «Durch die Änderung würde eine klare, formale Grenze gezogen, und Gerichte und Staatsanwaltschaften müssten nicht mehr über mögliche Absichten oder Nichtabsichten verhandeln oder spekulieren.»

Deutschland hat europaweit das strengste Gesetz. Das, erklärt Fischer, hat historische Gründe. «Es sollte in Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein Wiederaufleben von Keimzellen des nationalsozialistischen Apparats um jeden Preis verhindert werden.» Also habe man erst sämtliche Naziorganisationen verboten. Und dann, in einem zweiten Schritt, ihre Kennzeichen, also Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grussformeln.

Heute sind in Deutschland 162 Vereine verboten. Darunter rechtsextreme. Aber auch solche aus anderen sogenannten Phänomenbereichen wie zum Beispiel Islamismus oder Ausländerextremismus.

Der Teufel steckt im Detail

Die Umsetzung ist eines der grossen Fragezeichen hinter einer möglichen neuen Schweizer Strafnorm. Auch weil der Ständerat mit seiner Forderung nach einem Verbot diskriminierender Zeichen noch weiter geht als der Nationalrat. Er will nämlich nicht nur Nazisymbole, sondern extremistische oder gewaltverherrlichende Symbole insgesamt verbieten. Zu klären wäre dann etwa, ob das Z, das Russland im Ukrainekrieg als Emblem einsetzt, problematisch sei. Oder der Pfeil nach oben (Tiwaz-Rune), das Erkennungszeichen der rechtsextremen Jungen Tat.

Diese Ausweitung macht die Sache also noch komplizierter.

Wer in der Schweiz mit Tempo 80 durch ein Dorf brettert, weiss: Das ist gegen das Gesetz. Auf dem Feld nationalsozialistischer Symbole stehen die Gewissheiten auf dünneren Beinen. Über die Bedeutung von Hakenkreuz, SS-Rune und Reichsadler werden die wenigsten streiten.

Darf «88» noch sein?

Doch was ist mit der 88, die in rechtsextremen Kreisen wegen des achten Buchstabens im Alphabet, des H, als Chiffre für «Heil Hitler» benutzt wird? Wissen da alle Bescheid?

Für Änderungen im Strafrecht gilt das sogenannte Bestimmtheitsgebot. Das heisst, dass Bürgerinnen und Bürger ein Verbot erstens kennen müssen. Damit sie sich zweitens entsprechend verhalten können. 

Die neue Norm muss also so ausformuliert sein, dass sie klar ist.

Kritik aus der Praxis

Als eine Möglichkeit zur Eingrenzung des Verbots gilt ein Katalog strafbarer Symbole im Sinn einer schwarzen Liste. Eine solche Liste verbotener Symbole wäre denkbar, sagt Damir Skenderovic, Professor für Zeitgeschichte an der Universität Freiburg, zu SRF. «In diesem Bereich wird sehr viel Forschung betrieben. Diese Vorarbeit könnte bei einem allfälligen Verbot solcher Symbole in der Schweiz genutzt werden.»

Eine Informationsbroschüre des Deutschen Verfassungsschutzes zu Symbolen, Zeichen und verbotenen Organisationen lässt allerdings erahnen, wie komplex so eine Aufstellung ist: Die Liste strafbarer Zeichen ist ellenlang. Und sie umfasst neben den offensichtlichen Chiffren, Hakenkreuzen und SS-Runen auch Memes, Wappen und Gesten. 

Um die Umsetzbarkeit einer schwarzen Liste zu prüfen, hat das Bundesamt für Justiz mit Richterinnen, Staatsanwälten und Polizeikräften gesprochen. Die Rückmeldungen waren kritisch bis ablehnend. Es stellten sich zum Beispiel praktische Fragen. Müssten Polizeibeamte an Demonstrationen künftig solche Listen mitführen, um potenziell strafbare Symbole erkennen zu können? Unklar sei auch, wer über die Symbole auf dieser «Tabuliste» entscheide. 

Mitte-Ständerätin Marianne Binder-Keller hofft, dass sich der Nationalrat in der Sondersession auf einen zweistufigen Auftrag zuhanden des Bundesrats einigen kann: «Die klaren, eindeutig erkennbaren Nazisymbole sollen endlich verboten werden. Danach können wir gern über weitere Verbote sprechen.»

Nazisymbole sind keine Meinung

In den Details sind also noch einige Fragen offen. Alt Bundesrichter Fischer sagt auch, dass sich die Rechtspraxis des einen Landes nicht ohne weiteres auf ein anderes Land übertragen lasse. Grundsätzlich darum noch mal, jetzt mit Blick auf die gesellschaftspolitische Bedeutung der Debatte: Was wird mit einem Verbot von extremistischen, insbesondere nationalsozialistischen Symbolen erreicht?

Thomas Fischer: «Wir sehen seit Jahren eine Verschiebung des angeblich Sagbaren, die teilweise weit in rechtsextreme Diskursräume hineingreift.» In Deutschland sehe man das teils an Sprachbildern in Teilen der AfD. Da ist von «Umvolkung» die Rede, oder vom Nationalsozialismus als «Vogelschiss in der Geschichte»

«Es muss verhindert werden», sagt Thomas Fischer, «dass in der Gesamtbevölkerung der Eindruck entsteht, Nazisymbole seien legitime Zeichen einer diskutablen Meinung unter vielen anderen.»

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