Grünen-Rytz und GLP-Grossen schielen auf den Bundesrat
«Es braucht eine neue Zauberformel – jetzt!»

Nach dem grünen Erdbeben im Parlament wollen Grüne und Grünliberale auch die Sitzverteilung im Bundesrat durchschütteln. Die Zauberformel müsse modernisiert werden, sind sich Grünen-Chefin Regula Rytz und GLP-Präsident Jürg Grossen im BLICK-Interview einig.
Publiziert: 21.10.2019 um 23:18 Uhr
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Aktualisiert: 22.10.2019 um 09:17 Uhr
Sie machen das Parlament grüner: GLP-Chef Jürg Grossen und Grünen-Präsidentin Regula Rytz.
Foto: KARL-HEINZ HUG
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Pascal Tischhauser und Lea Hartmann (Text), Charly Hug (Foto)

Sie sind die Wahlsieger: Grünen-Chefin Regula Rytz (57) und GLP-Chef Jürg Grossen (50). Die beiden sehen sich am Montag beim Interview mit BLICK zum ersten Mal seit dem Triumph an der Urne. Beide sind sichtlich geschafft. «Ich bin gestern über den Tabellen mit den Ergebnissen eingeschlafen», sagt Grossen. Rytz erzählt, dass sie extra noch ein paar Turnübungen gemacht habe, um für BLICK wieder fit zu sein. Sitzungen, Interviews, Telefonate: Die beiden Politiker jagen von Termin zu Termin.

BLICK: Frau Rytz, haben Sie den Erdrutschsieg schon verarbeitet?
Regula Rytz:
Es ist grossartig! Ich bin immer noch daran, mir einen Überblick zu verschaffen. Es ist schliesslich die grösste Verschiebung seit Einführung des Proporzwahlrechts. Wir sind überwältigt von dieser Dimension.

Herr Grossen, fuchst es Sie, dass mehr Grüne als GLPler gewählt wurden?
Jürg Grossen:
Überhaupt nicht. Ich freue mich über unser Resultat. Wir hatten gestern einen grossen grünliberalen Tag. Natürlich ist die Freude noch grösser, weil eine andere Partei mit demselben zentralen Anliegen erfolgreich war. Aber da ist absolut null Neid, sondern grosse Freude, dass wir jetzt einen griffigen Klimaschutz umsetzen können. 

Müssen Sie nun auch einen Schritt aufeinander zugehen?
Grossen: Die Wahlen sind vorbei. Es ist Zeit für Zusammenarbeit. Da ist es immer gut, wenn man aufeinander zugeht. 
Rytz: Wir machen jetzt in der Klimapolitik Nägel mit Köpfen. Ich habe angeregt, dass alle Parteispitzen mit Klimaforschern zusammensitzen, um 1:1 von ihnen zu hören, was auf dem Spiel steht, wenn wir nicht schnell genug vorwärtskommen. Wir müssen die Dringlichkeit der Situation anerkennen. Die Menschen auf der Strasse und an der Urne erwarten, dass wir nun rasch und konsequent handeln. Es gibt verschiedene Wege, die zum Ziel führen. Klar ist: Wir brauchen wirksame Massnahmen, die auch sozial akzeptiert sind. Das CO2-Gesetz muss in diesem Sinn nachgebessert werden.

Besteht nicht die Gefahr, das Gesetz zu überladen?
Grossen:
Ich sehe das grundsätzlich gleich wie Frau Rytz. Der Klimaschutz muss noch ambitionierter ausfallen. Wichtig ist allerdings, dass wir kompromissfähig bleiben. Es braucht Lösungen für unser Land. Und diese Lösungen müssen am Schluss auch Bestand vor dem Volk haben. 

Herr Grossen, Sie werfen den Grünen vor, nur mit Verboten zu arbeiten.
Grossen:
Es ist immer besser, mit Anreizen zu arbeiten. Aber wenn es nicht gelingt, muss man an gewissen Orten Verbote erlassen. Es ist bewiesen, dass manchmal Verbote – ich denke zum Beispiel an die Katalysatorpflicht – erfolgreich sind. Auch Grenzwerte braucht es – nehmen Sie die Gewässerverschmutzung. Da war die Situation früher himmeltraurig, heute ist die Trinkwasserqualität bedenklich wegen der Pestizidbelastung.

Am Montag kommt das CO2-Gesetz in die Kommission. Da zeigt es sich, ob die FDP auf Kurs bleibt.
Grossen:
Ich rechne damit, dass sie Wort hält. Wir brauchen rasch ein griffigeres CO2-Gesetz.

Wenn die FDP nicht auf Kurs bleibt, hätte sie aus Sicht einiger GLPler den zweiten Bundesratssitz nicht mehr verdient. Wie sehen Sie das?
Grossen:
Ich finde es falsch, das Bundesratsthema mit dem CO2-Gesetz zu verknüpfen. Die Bundesratsfrage ist weniger Verhandlungssache, sondern Wählerauftrag.

Gut, haben die Freisinnigen jetzt noch Anspruch auf zwei Sitze?
Grossen:
Seit gestern ist unsere Politlandschaft eine andere. Die vier grössten Parteien, die den Bundesrat stellen, haben zusammen nicht einmal mehr 70 Prozent der Wählerstimmen. Man sollte jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.

Frau Rytz, erwarten Ihre Wähler denn nicht, dass Sie nun für einen grünen Bundesrat kämpfen?
Rytz:
Die grosse Verschiebung vom Sonntag weckt grosse Erwartungen. Wenn es normal laufen würde, hätte jetzt die Bevölkerung das Parlament gewählt, und das Parlament würde den Bundesrat nach dem Wählerwillen zusammensetzen.

Aber so läuft das nicht in der Schweiz.
Rytz:
Eben. Das Problem ist, dass man während der Legislatur die Bundesräte auswechseln kann. Das haben mit der FDP und der CVP letztes Jahr gleich zwei Parteien gemacht. Die Freisinnigen haben der Bevölkerung die Möglichkeit geraubt, mit ihrem Wahlzettel die Zusammensetzung der Landesregierung mitzugestalten. Das ist reine Machtpolitik.

Jetzt heisst es, man müsse warten, bis ein Sitz frei werde.
Rytz:
Die Bevölkerung hat das Parlament von Mitte-rechts auf Mitte-links umgestellt. Es war eine Richtungswahl. Noch nie wurde eine Partei so gestärkt wie die Grünen an diesem Sonntag. Das muss sich auch in der Regierung abbilden. Wir suchen jetzt das Gespräch mit den anderen Parteien.
Grossen: Wir sind sehr diskussionsbereit, und ich erwarte schon, dass sich die anderen Parteien auch auf eine Diskussion einlassen. Vielleicht finden wir ja eine gute Lösung.

Allerdings kann eine Diskussion nur entstehen, wenn sich ein FDP-Bundesrat zurückzieht.
Grossen:
Ich erhoffe mir, dass auch die Freisinnigen gesprächsbereit sind. Wir als GLP stellen selbst keinen Anspruch auf einen Bundesrat, aber unsere Bevölkerung hat eine Konkordanz verdient, die diesem Namen gerecht wird.

Sie würden also einen Angriff auf einen FDP-Sitz stützen?
Grossen:
So weit gehe ich nicht. Es kommt auf die personelle Konstellation an und auf den Verlauf der Diskussionen.

Sie, Frau Rytz, sind ja die logische Kandidatin.
Rytz:
Ich fange jetzt nicht an, über mögliche Kandidaten zu reden. Es geht um unsere Demokratie. Die Wähler haben heute null Einfluss auf die Zusammensetzung des Bundesrats – kann geschehen, was will. Das kann nicht sein. Planbare Rücktritte sollen auf Ende Legislatur erfolgen.
Grossen: Mich stört das auch. Das heutige System ist träge und veraltet. In der heutigen Zeit, die sich unglaublich schnell wandelt, bräuchte es ein flexibleres und modernes System. Es braucht eine Konkordanz, die den Wählerwillen in der Regierung abbildet.
Rytz: Wir benötigen von den Bundesratsparteien das Eingeständnis: Es braucht jetzt eine neue Zauberformel. Konkret sollen die zwei stärksten Parteien mit zwei Sitzen vertreten sein und die drei folgenden mit je einem Sitz. Es entspricht nicht dem Wählerauftrag, wenn wir von der Regierungsverantwortung ausgeschlossen werden.

Regula Rytz

Regula Rytz (57) steht seit 2012 an der Spitze der Grünen. Zuvor war die gelernte Lehrerin, die mit ihrem Partner in Bern lebt, in der Berner Stadtregierung. Mit plus 17 Nationalratssitzen konnte sie am Sonntag einen historischen Wahlsieg feiern – nicht nur für die Grünen. Denn so viele Sitze holte noch keine Partei.

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