Gewerbe, Landwirtschaft und Romands fürchten horrende Kosten
Pensionskassen-Krach spaltet die Wirtschaft

Der Arbeitgeberverband kämpft für ein ja zur Pensionskassen-Reform. Doch die Vorlage ist umstritten. In der Wirtschaft tut sich ein Graben auf.
Publiziert: 18.06.2024 um 09:59 Uhr
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Aktualisiert: 18.06.2024 um 10:08 Uhr
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Ruedi StuderBundeshaus-Redaktor

Die Gewerkschaften lachen sich ins Fäustchen. Die Pensionskassen-Reform reisst nämlich Gräben auf – bei den Arbeitgebern. Der schweizerische Arbeitgeberverband führt zusammen mit der Mitte-Partei die Ja-Kampagne an.

Doch jetzt grätscht das Westschweizer Centre Patronal dazwischen. Die welschen Arbeitgeber lehnen die Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) ab und planen eine Nein-Kampagne. Das bestätigt Verbandsdirektor Christophe Reymond (59): «Wir werden unsere kleine Musik hören lassen», sagt er. In welcher Form sei noch unklar.

Während die Senkung des Umwandlungssatzes von 6,8 auf 6 Prozent bei den Wirtschaftsverbänden unbestritten ist, stören sich die Gegner an zahlreichen anderen Punkten. Reymond kritisiert etwa, dass die geplanten Rentenzuschläge von bis zu 200 Franken monatlich verfehlt und ungerecht seien. Das neue System sei bürokratisch und habe ein unvorteilhaftes Kosten-Nutzen-Verhältnis. «Die 2. Säule hat etwas Besseres verdient als die Scheinreform.»

Mit der BVG-Reform kommen auch auf die Arbeitgeber zusätzliche Kosten hinzu.
Foto: keystone-sda.ch
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Gewerbepräsident: «Der Unmut ist gestiegen»

Auch im Gewerbe brodelt es. Der Gewerbeverband hat nach einer kontroversen Diskussion bereits letzten Herbst die Ja-Parole gefasst. «Es handelt sich um einen Kompromiss, den wir mittragen», sagt Präsident und Mitte-Ständerat Fabio Regazzi (61, TI). «Wir müssen in der beruflichen Vorsorge nun einen Schritt vorwärtsmachen.»

Allerdings geht er davon aus, dass die Reform im Gewerbe an Rückhalt verloren hat. «Nach dem Ja zur 13. AHV-Rente ist der Unmut gestiegen, da hier eine weitere Erhöhung der Lohnprozente droht.» Schon für die BVG-Reform müssen die Gewerbler zusätzliche Lohnprozente schultern. Insgesamt kosten die Anpassungen über 2 Milliarden jährlich. «Die Ausgangslage ist jetzt eine andere», meint Regazzi. Insbesondere bei den Tieflohnbranchen spüre man einen gewissen Widerstand.

Gastrosuisse dagegen, Hotelleriesuisse dafür

Der Bruch geht quer durch die Verbandslandschaft. Gastrosuisse lehnt die Vorlage ab, Hotelleriesuisse stimmt zu. Die Bäckermeister sagen Nein, die Baumeister Ja. Und die Versicherer hoffen auf eine Stärkung des Dreisäulen-Systems.

«Die aktuelle Vorlage schiesst über das Ziel hinaus», sagt Gastrosuisse-Präsident Casimir Platzer (62). Ein Dorn im Auge ist ihm die Senkung des Koordinationsabzugs. Denn dadurch steigt die versicherte Lohnsumme und damit erhöhen sich die Lohnabgaben. «Diese Kosten belasten Gewerbe und Landwirtschaft überproportional», so Platzer. Gerade bei Personen mit geringen Pensen komme auf die Arbeitgeber ein hoher Mehraufwand zu – bei gleichzeitig geringem Nutzen für die Neu-Versicherten.

Und: «Die zusätzlichen Lohnabzüge mindern die Attraktivität von Teilzeitarbeit.» Zudem habe sich die Ausgangslage geändert, so dass die Reform gar nicht mehr nötig sei. «Der Handlungsdruck hat nach der Annahme der 13. AHV-Rente und wegen gestiegener Zinse abgenommen», so Platzer.

Das sind die Eckwerte der Pensionskassen-Reform

Es war ein hochfliegendes Reformprojekt des damaligen SP-Sozialministers Alain Berset (52): die Altersvorsorge 2020, mit der er AHV und Berufliche Vorsorge (BVG) gleichzeitig reformieren wollte. Doch in der Abstimmung 2017 folgte der Absturz. Mit 52,7 Prozent Nein schickte das Stimmvolk die Rentenreform bachab.

Daraufhin packten Bundesrat und Parlament die beiden Säulen getrennt an. Einen knappen Abstimmungserfolg verbuchte Berset zusammen mit der bürgerlichen Parlamentsmehrheit letztens bei der AHV-Reform, mit der eine Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 erfolgte.

Nun ist die Pensionskassen-Reform an der Reihe, die eine bürgerliche Mehrheit im Parlament gegen den Widerstand der Linken durchgebracht hat. Linke und Gewerkschaften haben erfolgreich das Referendum ergriffen, sodass das Stimmvolk nun am 22. September 2024 über die Reform entscheiden wird.

Das sind die wichtigsten Eckwerte:

Tieferer Umwandlungssatz

Der Mindestumwandlungssatz im BVG-Obligatorium soll von heute 6,8 Prozent auf 6,0 Prozent sinken. Das bedeutet: Auf 100'000 Franken angespartes Alterskapital gibt es nur noch 6000 statt 6800 Franken Rente pro Jahr. Das führt zu einer Rentenlücke von rund 12 Prozent.

Rentenzuschlag für Übergangsgeneration

Es ist das eigentliche Herzstück der Vorlage. Die drohende Rentenlücke soll über einen Rentenzuschlag ausgeglichen werden. Allerdings nur für eine Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen. Zudem wird er nach Alter und Einkommen abgestuft. Für die ersten fünf Jahrgänge gibt es maximal 200 Franken monatlich, dann sinkt er ab. Wer weniger als 220'500 Franken in der Pensionskasse hat – etwa ein Viertel der Versicherten – bekommt den vollen Zuschlag. Ein weiteres Viertel mit bis 441'000 Franken Altersguthaben erhält einen Teilzuschlag. Wer mehr Geld im Rentenkässeli hat, geht leer aus. Gut die Hälfte der Versicherten bekommt also nichts. Finanziert wird der Rentenzuschlag über Lohnabzüge – allerdings begrenzt bis 176'400 Franken.

Flexibler Koordinationsabzug

Vom sogenannten Koordinationsabzug hängt ab, wie hoch der versicherte Lohn ausfällt. Einkommen minus Koordinationsabzug ergibt die versicherte Lohnsumme. Galt bisher ein fixer Abzug von 25'725 Franken, soll dieser neu 20 Prozent des Einkommens betragen. Das BVG-Obligatorium gilt bis 88'200 Franken Einkommen. Der Abzug würde in diesem Fall also 17'640 Franken ausmachen. Unter dem Strich bleibt somit ein versicherter Lohn von 70'560 Franken. Auf Letzterem müssten also die Lohnbeiträge bezahlt werden.

Angepasste Altersgutschriften

Die Lohnbeiträge in die Pensionskasse – die sogenannten Altersgutschriften – werden mit der Reform geglättet: Bis im Alter von 44 Jahren beträgt die Altersgutschrift künftig 9 Prozent (bisher 7 beziehungsweise 10 Prozent) auf dem BVG-pflichtigen Lohn. Ab 45 Jahren sind es 14 Prozent (bisher 15 beziehungsweise 18 Prozent). Damit werden die Altersgutschriften gerade bei den älteren Arbeitskräften gesenkt. Das soll ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Die Beiträge sollen wie heute ab 25 Jahren gezahlt werden.

Tiefere Eintrittsschwelle

Um in einer Pensionskasse versichert zu sein, muss man heute bei einem Arbeitgeber mindestens 22'050 Franken jährlich verdienen. Nach einem langen Hin und Her hat sich das Parlament darauf geeinigt, dass die Eintrittsschwelle auf 19'845 Franken sinken soll. Damit würden 70'000 Personen neu in einer Pensionskasse versichert, 30'000 Personen stärker als bisher. Insgesamt betrifft die Senkung 100'000 Arbeitnehmende.

Es war ein hochfliegendes Reformprojekt des damaligen SP-Sozialministers Alain Berset (52): die Altersvorsorge 2020, mit der er AHV und Berufliche Vorsorge (BVG) gleichzeitig reformieren wollte. Doch in der Abstimmung 2017 folgte der Absturz. Mit 52,7 Prozent Nein schickte das Stimmvolk die Rentenreform bachab.

Daraufhin packten Bundesrat und Parlament die beiden Säulen getrennt an. Einen knappen Abstimmungserfolg verbuchte Berset zusammen mit der bürgerlichen Parlamentsmehrheit letztens bei der AHV-Reform, mit der eine Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 erfolgte.

Nun ist die Pensionskassen-Reform an der Reihe, die eine bürgerliche Mehrheit im Parlament gegen den Widerstand der Linken durchgebracht hat. Linke und Gewerkschaften haben erfolgreich das Referendum ergriffen, sodass das Stimmvolk nun am 22. September 2024 über die Reform entscheiden wird.

Das sind die wichtigsten Eckwerte:

Tieferer Umwandlungssatz

Der Mindestumwandlungssatz im BVG-Obligatorium soll von heute 6,8 Prozent auf 6,0 Prozent sinken. Das bedeutet: Auf 100'000 Franken angespartes Alterskapital gibt es nur noch 6000 statt 6800 Franken Rente pro Jahr. Das führt zu einer Rentenlücke von rund 12 Prozent.

Rentenzuschlag für Übergangsgeneration

Es ist das eigentliche Herzstück der Vorlage. Die drohende Rentenlücke soll über einen Rentenzuschlag ausgeglichen werden. Allerdings nur für eine Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen. Zudem wird er nach Alter und Einkommen abgestuft. Für die ersten fünf Jahrgänge gibt es maximal 200 Franken monatlich, dann sinkt er ab. Wer weniger als 220'500 Franken in der Pensionskasse hat – etwa ein Viertel der Versicherten – bekommt den vollen Zuschlag. Ein weiteres Viertel mit bis 441'000 Franken Altersguthaben erhält einen Teilzuschlag. Wer mehr Geld im Rentenkässeli hat, geht leer aus. Gut die Hälfte der Versicherten bekommt also nichts. Finanziert wird der Rentenzuschlag über Lohnabzüge – allerdings begrenzt bis 176'400 Franken.

Flexibler Koordinationsabzug

Vom sogenannten Koordinationsabzug hängt ab, wie hoch der versicherte Lohn ausfällt. Einkommen minus Koordinationsabzug ergibt die versicherte Lohnsumme. Galt bisher ein fixer Abzug von 25'725 Franken, soll dieser neu 20 Prozent des Einkommens betragen. Das BVG-Obligatorium gilt bis 88'200 Franken Einkommen. Der Abzug würde in diesem Fall also 17'640 Franken ausmachen. Unter dem Strich bleibt somit ein versicherter Lohn von 70'560 Franken. Auf Letzterem müssten also die Lohnbeiträge bezahlt werden.

Angepasste Altersgutschriften

Die Lohnbeiträge in die Pensionskasse – die sogenannten Altersgutschriften – werden mit der Reform geglättet: Bis im Alter von 44 Jahren beträgt die Altersgutschrift künftig 9 Prozent (bisher 7 beziehungsweise 10 Prozent) auf dem BVG-pflichtigen Lohn. Ab 45 Jahren sind es 14 Prozent (bisher 15 beziehungsweise 18 Prozent). Damit werden die Altersgutschriften gerade bei den älteren Arbeitskräften gesenkt. Das soll ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Die Beiträge sollen wie heute ab 25 Jahren gezahlt werden.

Tiefere Eintrittsschwelle

Um in einer Pensionskasse versichert zu sein, muss man heute bei einem Arbeitgeber mindestens 22'050 Franken jährlich verdienen. Nach einem langen Hin und Her hat sich das Parlament darauf geeinigt, dass die Eintrittsschwelle auf 19'845 Franken sinken soll. Damit würden 70'000 Personen neu in einer Pensionskasse versichert, 30'000 Personen stärker als bisher. Insgesamt betrifft die Senkung 100'000 Arbeitnehmende.

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In den sauren Apfel beissen will hingegen Hotelleriesuisse. «Die berufliche Vorsorge muss dringend saniert werden», sagt Präsident Martin von Moos (60). Obwohl auf die Beherbergungsbetriebe hohe Kosten zukommen würden, sei der Reformbedarf gegeben. Zudem würden die geplanten Massnahmen eine ausgewogene Balance zwischen der Sicherheit der Altersvorsorge für die Mitarbeitenden und die Wettbewerbsfähigkeit der Mitglieder schaffen, ist von Moos überzeugt.

Bauern mit Stimmfreigabe

Speziell ist die Ausgangslage in der Landwirtschaft. Die Landfrauen sagen Ja. Doch im Parlament hat Bauernpräsident und Mitte-Nationalrat Markus Ritter (57, SG) die Vorlage vehement bekämpft. Für seine Branche werde die Reform «wahnsinnig teuer», begründete er. Das Fuder sei überladen, legte sein Verband nach.

Mittlerweile haben die Bauern Stimmfreigabe beschlossen. Man müsse sich mit allen Kräften für eine Ablehnung der Biodiversitätsinitiative engagieren, erklärt Ritter. Wobei auch die Rücksichtnahme auf die Geld-und-Gülle-Allianz mit den Wirtschaftsverbänden eine Rolle spielen dürfte. Ritter selbst bleibt skeptisch: «Ich sehe die Nachteile nach wie vor als bedeutend an.»

Arbeitgeberverband bleibt zuversichtlich

Der Arbeitgeberverband zeigt sich trotz negativer Stimmen zuversichtlich, dass es in der Volksabstimmung am 22. September für ein Ja reicht. «Natürlich treibt die Kostenfrage die Wirtschaft um», sagt Sozialpolitik-Leiterin Barbara Zimmermann-Gerster (47). Doch die grosse Mehrheit der Arbeitgeber sei bereit, ihre soziale Verantwortung wahrzunehmen.

«Das heutige Gesetz stammt aus den achtziger Jahren, als noch Einverdienerhaushalte die Norm waren», sagt sie. «Wir brauchen ein modernisiertes BVG, welches der gesellschaftlichen Entwicklung gerecht wird.»

«Die Leute haben genug, dass man jedes Jahr weniger bekommt»
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