Genossinnen wählen keine Genossen
Die SP hat ein Männerproblem

Die Mandatsträger der SP werden abgewählt. In keiner anderen Partei sind die Wiederwahlchancen für männliche Mitglieder geringer als bei den Genossen. Der Kurs des derzeitigen Führungsduos hilft den Genossen auch nicht – im Gegenteil!
Publiziert: 20.02.2022 um 13:38 Uhr
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Aktualisiert: 21.02.2022 um 12:40 Uhr

Männer haben in der SP das Nachsehen. Wer auf einer Liste der Sozialdemokratischen Partei als Kandidat antritt, muss selbst als Bisheriger zittern. Denn gewählt werden vor allem Genossinnen.

SP-Wählerinnen, aber auch -Wähler, streichen Männer von den Wahllisten und schreiben Frauen stattdessen zweimal hin. Bei den kantonalen Wahlen der letzten zwei Jahre haben die Sozialdemokraten insgesamt 31 Sitze verloren: 30 Männersitze, aber bloss einen Frauensitz, wie die «NZZ am Sonntag» vorrechnet.

SP-Mann muss doppelt so viel arbeiten

Zu Wort kommt im Artikel Urs Helfenstein (46), der am Sonntag vor einer Woche als einer von sechs SP-Männern die Wiederwahl ins Zürcher Stadtparlament verpasste. Helfenstein sagt: «Traditionellerweise müssen sich Migrantinnen und Migranten doppelt so fest anstrengen. Heute habe ich manchmal den Eindruck, dass man als Mann in der SP doppelt so viel leisten muss.»

Unter den Co-Präsidenten Mattea Meyer und Cedric Wermuth ist eine Situation entstanden, in der SP-Männer um ihre Wiederwahl fürchten müssen.
Foto: Keystone
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Es gebe sozialdemokratische Männer, die nicht zu den Wahlen antreten würden, weil sie «sowieso keine Chance» hätten, berichtet die Zeitung weiter. Namentlich genannt werden wollten diese Sozialdemokraten aber nicht.

Linke wählen Frauen

Politologe Claude Longchamp pflichtet bei: «Der SP brechen die Männer weg.» Für ihn liegt dies an der sich verändernden Wählerbasis. Laut dem jüngsten SRG-Wahlbarometer wählen derzeit 20 Prozent der Frauen die SP, aber nur 14 Prozent der Männer. «Einen solch grossen Geschlechterunterschied habe ich bei der SP noch nie gesehen», erklärt Longchamp. Der Unterschied deute auf eine «Demoralisierung» der linken Männer hin – und erkläre den Erfolg der Frauen. Kurz: «Linke Frauen wählen linke Frauen.»

Umgekehrt ist es bei beispielsweise bei der FDP. Sie gilt als regelrechte Männerpartei. 15 Prozent der Männer würden laut dem Wahlbarometer freisinnig wählen, aber nur 9 Prozent der Frauen. In den Kantonen ist nur die SVP noch männerdominierter als die FDP. Generell gilt: Männer wählen eher rechts, Frauen eher links.

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GLP profitiert

In der Mitte profitiert die GLP. Sie wird nur leicht häufiger von Männern als von Frauen gewählt. In den letzten beiden Jahren gewann sie 16 Männer- und 14 Frauensitze bei kantonalen Wahlen. Wie Longchamp sagt, scheinen Männer, die sich Mitte-links positionieren, vermehrt GLP zu wählen.

Laut ihm dürfte sich die Geschlechterfrage bis hin zu den nationalen Wahlen im Herbst nächsten Jahres noch zuspitzen: «Wenn die SP bei den Wahlen 2023 ein Trauma erlebt, ist es ein Männertrauma.»

«Politische Totengräber»

Laut einem anderen Beobachter stehen die Sozialdemokraten aber noch vor einem weiteren Problem: Die SP zeigt unter der heutigen Co-Leitung kaum mehr Lösungen auf. Man muss nicht so weit gehen wie der Kommentator in der «SonntagsZeitung», der Cédric Wermuth (36) und Mattea Meyer (34) als «politische Totengräber» bezeichnet. Fakt aber ist, dass sich die SP unter ihrer Doppelherrschaft nicht dadurch profiliert, dass sie mit politischen Lösungen vorangeht oder anderen mit Kompromissen eine Brücke baut. Die Wermuth-Meyer-SP sorgt vielmehr als linke Neinsager-Partei für Schlagzeilen.

Unter Vorgängern wie Parteichef Christian Levrat (51) sei das noch anders gewesen, argumentiert der «Sonntagszeitung»-Kommentator. Auch er war ein Linksrhetoriker, aber einer, der sich trotzdem getraut habe, eine AHV-Reform mit einer gut abgefederten Erhöhung des Frauenrentenalters zu zimmern. Auch wenn diese scheiterte: Er bot Hand für eine Lösung.

Abstimmungen wie jene über die Abschaffung der Verrechnungssteuer im Herbst dürfte die SP zwar schon heute in der Tasche haben. Bei den Wahlen 22. Oktober 2023 sieht es derzeit aber ganz anders aus. Mit Blick auf die Zürcher Wahlresultate dürfte es ratsam sein, dass sich so manch ein SP-Parlamentarier Gedanken darüber macht, womit er ab November kommenden Jahres seinen Lebensunterhalt verdienen könnte. (pt)

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