Huscheli war gestern, Frau ist heute
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Tamara Funiciello im BLICK:«Das sind wir den Frauen schuldig»

Funiciello inszeniert BLICK-Titelseite von 1971 neu
Huscheli war gestern, Frau ist heute

Vor 50 Jahren feierte der BLICK die Einführung des Frauenstimmrechts mit einer deplatzierten Titelseite. Für die Neuinterpretation stand Feministin Tamara Funiciello vor der Kamera.
Publiziert: 01.02.2021 um 00:09 Uhr
|
Aktualisiert: 08.02.2021 um 10:21 Uhr
Sermîn Faki

BLICK erntete einen Shitstorm, als es das Wort noch gar nicht gab: «Ich bin gewiss eine moderne, aufgeschlossene Frau, aber der Anblick der Titelseite hat mich in diesem Fall geradezu abgestossen», schrieb BLICK-Leserin M. Gerber aus Zürich im Februar 1971 an die Redaktion.

Ernst Läderich aus Basel meinte: «Eine Geschmacklosigkeit, nein Schamlosigkeit ist, was Sie sich da geleistet haben ... Ich bin bestimmt nicht der Einzige, der sich grün und blau geärgert hat.» Da hatte er recht. So schrieb H. Ellenberger aus Schaffhausen: «BLICK kann es nicht lassen, bei passender, aber meist unpassender Gelegenheit seine Nackedeis zu präsentieren. Dabei ging es am 7. Februar doch um das Frauenstimmrecht und nicht um ein Nudistenzentrum!»

Danke für die Rosen?

Was war passiert? Am Tag nach der Abstimmung über die Einführung des Frauenstimmrechts zeigte die BLICK-Titelseite das Foto einer jungen, nackten Frau, die von einer Männerhand einen Strauss Rosen geschenkt bekommt. Und das namenlose Huscheli sagt artig: «Danke für die Rosen!»

Die BLICK-Titelseite zur Einführung des Frauenstimmrechts ist 50 Jahre später für BLICK so deplatziert wie für die Leserschaft damals.
Foto: Gerry Nitsch
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Dieses Titelbild überschattete die progressive Ja-Kampagne, die BLICK in den Wochen vor dem Urnengang geführt hatte. Die Redaktion versuchte sich später zu erklären – was mehr schlecht als recht gelang: «Das kecke Bild war als Aufmunterung an alle modernen, aufgeschlossenen Männer gedacht: ‹Seid keine Politik-Muffel! Räumt mit verstaubten Ideen auf! Jetzt weht ein frischer Wind!›» Das Symbol der Rosen habe man gewählt, weil «Frauen Blumen gernhaben».

Huscheli war gestern, Frau ist heute
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Tamara Funiciello im BLICK:«Das sind wir den Frauen schuldig»

Die bekannteste Feministin des Landes

50 Jahre später ist diese Titelseite für BLICK so deplatziert wie für die Leserschaft damals. Aber sie ist Teil der BLICK-Geschichte – und so fragte sich die Redaktion: Wie können wir zum Frauenstimmrechtsjubiläum Bezug darauf nehmen und gleichzeitig unsere heutige Haltung darstellen?

Für die Neuinterpretation bittet die Redaktion Tamara Funiciello (30) um Mitwirkung. Die Ex-Juso-Präsidentin und heutige SP-Nationalrätin ist die wohl bekannteste Feministin im Land: ein rotes Tuch für die einen, ein starkes Vorbild für die anderen. Eine Frau, die so oft angefeindet wird wie kaum eine andere und sich davon nicht unterkriegen lässt.

Eine «neue, selbstbestimmte – und angekleidete – Version»

Funiciello sagt spontan zu. «Dass BLICK die Frau heute nicht auf den Körper reduziert, sondern ihr eine Stimme gibt, zeigt, dass sich einiges verändert hat in der Schweiz», erklärt sie ihre Motivation. Das Bild von damals habe sich an Männer gerichtet: «Als Dankeschön für das Ja zum Frauenstimmrecht bekommt ihr jetzt eine nackte unterwürfige Frau.» Die Nacktheit sei nicht das Problem, so Funiciello: «Wenn eine Frau selbstbestimmt nackt ist, ist das wunderbar. Aber das drückt die BLICK-Titelseite von damals nicht aus.»

Daher habe sie gern geholfen, eine «neue, selbstbestimmte – und bekleidete – Version davon» zu machen, sagt sie lachend. Ausserdem, findet sie, könne man so auch zeigen, dass die Schweiz weitergekommen sei. «Das sind wir den Frauen schuldig, die das Stimmrecht für uns erkämpft haben.»

Der Kampf müsse weitergehen

Und nicht zuletzt, gibt die Bernerin freimütig zu, nutze sie die Öffentlichkeit auch, um auf ihre Politik aufmerksam zu machen. Denn Friede, Freude, Eierkuchen herrsche auch 50 Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts nicht. «Wir wollten die Welt verändern – und sie gaben uns die Gleichstellung», sagt sie lapidar. Dazu gehören auch Selbstbestimmung und wirtschaftliche Unabhängigkeit. Nur: Eine Kassiererin wie ihre Mutter, die 45 Stunden in der Woche für 3800 Franken arbeite und daneben noch den Haushalt mache, Kinder erziehe und Care-Arbeit leiste, sei weder finanziell unabhängig noch frei.

«Feminismus darf nicht bei den weissen, finanzkräftigen Frauen aufhören», fordert Funiciello. Für die anderen, «die 99 Prozent», wie sie sagt, mache sie Politik. Feministische Politik – das ist ihr wichtig – habe dabei nicht einfach die Frauen im Blick, sondern die Bedürfnisse aller Menschen. Wenn es den Frauen besser gehe, sei das zum Nutzen aller.

Die Rosen nimmt sie mit

«Dass Frauen und Männer gleich lange arbeiten sollen, ist richtig. Aber wieso setzen wir angesichts der Arbeitslosigkeit über 50, der Digitalisierung und der Corona-Krise, die zu einem Jobabbau führen wird, das Frauenrentenalter herauf statt das Männerrentenalter zu senken?»

Dass sie das erreichen wird, darf bezweifelt werden. Versuchen wird sie es trotzdem. Die fünf verwelkten Rosen, die für das Fotoshooting benutzt wurden, nimmt sie gern mit nach Hause statt sie dem Kehricht zu überlassen. Nicht als Dank an die Männer, sondern als Ansporn.

50 Jahre Frauenstimmrecht – die Serie

Am 7. Februar 1971 sagte das Stimmvolk in der Schweiz – dazumals ausschliesslich Männer – in einer eidgenössischen Abstimmung Ja zum nationalen Stimm- und Wahlrecht für Frauen. Die Schweiz war damit eines der letzten europäischen Länder, das dieses Bürgerrecht auch der weiblichen Bevölkerung zugestanden hat. In einer Serie geht die Blick-Gruppe diesem für unsere Demokratie historischen Ereignis auf den Grund. Wo stehen wir heute, 50 Jahre später, in Sachen Bürgerrechte, Emanzipation und Gleichstellung?

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