Für Historiker Damir Skenderovic (58) ist Nähe zur Jungen Tat kein Einzelfall
SVP schafft Sündenböcke – so wie Rechtsextreme

Rechtsextremisten suchen die Nähe zur SVP. Ein Einzelfall, beteuert die Volkspartei. Doch der Historiker Damir Skenderovic widerspricht. Er sieht eine Kontinuität bei der Verharmlosung von Rechtsextremismus, insbesondere bei der SVP.
Publiziert: 03.10.2023 um 20:27 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2023 um 23:15 Uhr
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Robin BäniRedaktor

Die SVP kuschelt mit Rechtsextremisten. Zwei Anführer der Jungen Tat erledigen die Medienarbeit für Maria Wegelin (44), Präsidentin der SVP-Winterthur, die ihr Amt auf öffentlichen Druck vorerst ruhen lässt. Und ein Rechtsextremist ist Mitglied der Jungen SVP Thurgau. Er gestaltet deren Wahlplakate. Das seien Einzelfälle, beteuert die SVP. Parteichef Marco Chiesa (48) schweigt und SVP-Vordenker Christoph Blocher (82) will sich auf Blick-Anfrage ebenfalls nicht dazu äussern. Der Historiker Damir Skenderovic (58) sieht eine Kontinuität bei der Verharmlosung von Rechtsextremismus, insbesondere bei der SVP.

Blick: Herr Skenderovic, sind Sie in der Schweiz je einem Rechtsextremisten begegnet?
Damir Skenderovic:
Das letzte Mal in den Neunzigerjahren an einem Konzert. Das waren rechtsextreme Skinheads.

Das ist lange her. Vermutlich, weil die Szene in der Schweiz marginal ist.
Ich sehe sie nicht im Alltag, aber deswegen ist sie kein Randphänomen. Jeder zehnte Jugendliche zwischen 16 und 20 Jahren sympathisierte mit rechtsextremen Gruppen, wie eine umfassende Studie von 2007 ergab.

Historiker Damir Skenderovic sieht eine Kontinuität bei der Verharmlosung von Rechtsextremismus.
Foto: Screenshot RTS
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Das wären unglaublich viele. Daran haben wir Zweifel: Was sind für Sie Rechtsextremisten und wie erkennt man solche?
Sie vertreten rechtsextremistische, rassistische Ansichten und scheuen sich nicht, das mit entsprechenden Symbolen kundzutun. Zum Beispiel mit der Zahl 88, die für «Heil Hitler» steht. Und sie verbreiten rechtsextreme Verschwörungstheorien wie den «grossen Austausch». Diese Theorie besagt, die westliche Kultur und Bevölkerung sei durch die Zuwanderung bedroht und werde durch diese ersetzt. 

Die Junge SVP Aargau schürt auf einem Plakat Angst vor Ersetzungsmigration. SVP-Nationalrat Andreas Glarner meinte, er sei besorgt über den Bevölkerungswandel. Übernimmt nach Ihrer Ansicht eine demokratisch legitimierte Partei so rechtsextreme Narrative?
Denken Sie an die Messerstecher-Inserate gegen Kosovo-Albaner, die auch das Bundesgericht als rassistisch eingestuft hat. Oder erinnern Sie sich an die Minarett-Initiative oder das schwarze Schaf. Diese Plakate waren Exportprodukte des Schweizer Rechtspopulismus, sie wurden von Parteien in anderen europäischen Ländern übernommen.

Das ist störend, aber ist es auch gefährlich?
Verschwörungstheorien wie der «grosse Austausch» oder rassistische Plakate widersprechen den demokratischen Grundwerten. Auch sollten wir nicht vergessen: Die Austausch-Theorie hat jemand wie der Massenmörder Anders Breivik 2011 erwähnt und sie zirkuliert in den globalen Netzwerken des Rechtsextremismus.

Nun suchen Rechtsextremisten die Nähe zur SVP.
Das ist nichts Neues. In der Vergangenheit war es meist so, dass sobald ein Fall publik wurde, sich die Partei distanziert hat. Es folgte stets demselben Muster. Auch ist zu beachten, dass es rechts der SVP keine Partei mehr gibt. Andere Parteien wie die Schweizer Demokraten oder die Freiheitspartei sind in den Neunzigerjahren aufgesogen worden.

Zum jüngsten Fall von Wegelin und der Jungen SVP Thurgau schweigt die SVP-Spitze. Weder Parteipräsident Marco Chiesa noch Christoph Blocher wollen sich dazu äussern.
Dieses Verhalten entspricht allgemein dem Umgang mit Rechtsextremismus in der Schweiz.

Inwiefern?
In der Schweiz ist die Idee eines Sonderfalls stark verankert. Es heisst, das Land habe kein Problem mit Rechtsextremismus. Das existiere nur in den anderen Ländern wie Italien, Frankreich oder Deutschland. Zudem setzten sich Öffentlichkeit und Politik immer nur punktuell damit auseinander. Ein Fall kommt in die Medien, die Aufregung ist gross. Es wird von einem Einzelfall gesprochen und rasch gerät der Vorfall wieder in Vergessenheit. Doch auch die Schweiz hat eine Geschichte des Rechtsextremismus – sie ist aber nicht im kollektiven Gedächtnis verankert.

Welche Geschichte meinen Sie?
Ein Beispiel der jüngeren Geschichte ist der «kleine Frontenfrühling» in den späten Achtziger-, frühen Neunzigerjahren. Da entstanden Gruppierungen, die Brandanschläge auf Asylunterkünfte verübten. In Chur kamen 1989 vier Tamilen zu Tode, darunter zwei Kinder. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl gab es damals in der Schweiz mehr Morde von Rechtsextremen als in Deutschland. Kennen Sie jemanden in der Schweiz, der sich dessen bewusst ist?

Eher nicht. Wird über Rechtsextremismus zu wenig geredet – auch in den Schulen?
Ja – auf allen Ebenen, in der Politik wie in der Gesellschaft. Das letzte umfassende Forschungsprogramm dazu gab es 2003. Und es gibt kaum eine öffentliche Diskussion über diese Geschichte.

Müsste die SVP das thematisieren?
Sie müsste Rechtsextremismus klar verurteilen und ihre eigene Vergangenheit mit dem Rechtsextremismus aufarbeiten. Gerade bei Themen wie Migration und Asyl zeigen sich die fliessenden Grenzen zwischen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus.

Worin liegt der Unterschied?
In der Forschung wird die SVP als Teil des rechtspopulistischen Parteienlagers in Europa gesehen. In Krisen liefern Rechtspopulisten einfache Antworten auf komplexe Prozesse. Sie teilen die Welt in Gut und Böse ein, betonen einen grundlegenden Gegensatz zwischen Volk und Elite, zwischen «uns» und den «anderen». Rechtspopulisten schaffen Sündenböcke und machen sie für alle möglichen Probleme in der Gesellschaft verantwortlich. Auf diese Weise wird die Welt wieder in Ordnung gebracht. Rechtsextreme bedienen sich ähnlichen Logiken.

Aber Extremismus geht weiter als Populismus.
Das stimmt, es hängt vor allem davon ab, wie und wo sie politisieren. Die SVP ist Teil des etablierten politischen Systems, sie nutzt das demokratische Repertoire von parlamentarischen Vorstössen bis Initiativen. Rechtsextremisten wie die Junge Tat bewegen sich ausserhalb dieses Politikbetriebs. Sie agieren online, in sozialen Medien oder auf der Strasse – auch schrecken sie nicht vor Gewalt zurück. Das heisst: Sie sind in anderen Bereichen aktiv.

Was bräuchte es aus Ihrer Sicht?
Mehr historisches Aufarbeiten und Erinnern zu Rechtsextremismus, insbesondere bei der jungen Generation. Es braucht Sensibilisierungs-Kampagnen, Aussteigerprogramme und konkrete Massnahmen, so wie es seit Jahren zum Beispiel in Skandinavien gemacht wird. Momentan lautet die Devise vielerorts noch: kurz hinschauen und dann vergessen.

Kommen wir noch einmal zur SVP zurück. Wie gehen die anderen Parteien mit ihr um?
In der Schweiz arbeiten aufgrund der Konkordanzdemokratie die anderen Parteien, darunter auch die Sozialdemokraten, mit einer rechtspopulistischen Partei wie der SVP auf den verschiedenen Ebenen des politischen Systems zusammen – insbesondere auch in der Exekutive.

Fordern Sie einen Boykott?
Darum geht es nicht. Vielmehr stellt sich die Frage, ob nicht auch in der Schweiz wie in anderen europäischen Ländern eine Diskussion über den «Cordon Sanitaire» stattfinden sollte. Das heisst, sich zu fragen, ob man nicht eine Distanz, eine Pufferzone zu rechtspopulistischen Parteien aufbauen sollte – und was es für bestimmte Bereiche der Politik und Gesellschaft bedeutet, wenn man in Koalitionen mit ihnen zusammenarbeitet.

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