Fünfer-und-Weggli-Schweiz
Wir Heuchler

Exklusiv-Umfrage zeigt Schweizer wollen öko sein – aber im Einfamilienhaus wohnen, Auto fahren und in die Ferien fliegen.
Publiziert: 10.10.2016 um 08:42 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 21:31 Uhr
Sermîn Faki

Was darf es denn sein: der Fünfer oder das Weggli? Eine neue Umfrage, die BLICK exklusiv vorliegt, zeigt, dass Schweizerinnen und Schweizer am liebsten beides wollen – und das in nahezu allen Lebensbereichen. Über 21'000 Personen hat das Institut Sotomo des Politgeografen Michael Hermann via blick.ch und lematin.ch befragt, und die haben klare Ansprüche – die sich jedoch nur schwer miteinander verbinden lassen.

Sehnsuchtsort Land

Beispiel Wohnen: Das ideale Leben spielt sich für die Schweizerinnen und Schweizer auf dem Land ab. 64 Prozent wollen am liebsten aufs Land ziehen, gefolgt von der Kleinstadt (43 Prozent). «Das Land ist nach wie vor der Sehnsuchtsort der meisten», so Hermann. In einer Grossstadt möchten hingegen nur 26 Prozent leben.

Nicht nur auf dem Land wollen Herr und Frau Schweizer wohnen, sondern dann auch noch in einem Einfamilienhaus. 55 Prozent träumen von einem Haus. Am wenigsten beliebt ist das Hochhaus. Nur zwei Prozent aller Befragten würden gern in einem wohnen, auch Blockwohnungen sind mit nur zehn Prozent Zuspruch eher unbeliebt. 

Wohnen: Ein eigenes Haus und erst noch im Grünen. Das wünscht sich eine Mehrheit der Schweizer.
Foto: Philippe Rossier
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Folgenschwere Widersprüche

Gefragt, was ihnen für die Wohnlage am wichtigsten ist, sagen die meisten: Landschaft und Naturnähe, dann folgen gute Verkehrsanbindungen und Nähe zum Arbeitsort. Das sorgt für Probleme: «Das eine geht in der langen Frist auf Kosten des anderen», sagt Hermann. Konkret: «Wer nicht allzu weit abgelegen und doch im Grünen leben will, fördert die Zersiedelung und wirkt damit letztlich dem Anspruch nach einer schönen Landschaft entgegen.»

Auch das bestätigt die Sotomo-Umfrage, die im Auftrag der Krankenkasse KPT durchgeführt wurde: Schweizerinnen und Schweizer, die eine schöne Landschaft als wichtiges Kriterium für ihre Wohnsituation angeben, pendeln im Schnitt weiter zu ihrem Arbeitsort und leben häufiger in einem Einfamilienhaus. «Sie tragen damit vermehrt zur Bodenbeanspruchung und damit zu dessen Versiegelung bei», so Hermanns Fazit. Und bedrohen damit, was ihnen doch so wichtig ist: die unverbaute Natur.

Michael Hermann, Schweizer Geograph und Politikwissenschaftler.
Foto: René Ruis

Umweltschutz ja, aber bitte ohne Verzicht

Nicht nur beim Wohnen zeigt sich unsere Scheinheiligkeit. Beim Konsum steht es nicht besser. Obwohl 59 Prozent der Befragten angeben, dass ökologische Nachhaltigkeit ihnen wichtig oder sehr wichtig ist, sind die meisten nicht bereit, dafür auf etwas zu verzichten. «Ökologische Ideale wirken sich kaum auf das Verhalten aus», so Hermann.

45 Prozent der Umweltbewussten pendeln mehr als zehn Kilometer zwischen Wohnort und Arbeit, mehr als 30 Prozent wohnen in einem Einfamilienhaus. Den Grosseinkauf im Ausland lassen sich die Umweltbewussten ebenso wenig nehmen wie die Ferien in der Ferne: 40 Prozent fliegen mehr als einmal im Jahr. Das alles verbraucht Ressourcen. 

Bio kaufen ist Umweltbewussten wichtig

Einzig beim Einkauf von Bio-Lebensmitteln unterscheiden sich die Umweltbewussten: 74 Prozent finden das wichtig, bei den weniger Umweltbewussten sind es nur 37 Prozent. «Weil es nicht um Verzicht geht, spielt die Grundhaltung hier eine relevante Rolle», erklärt Hermann die Ausnahme. Denn man muss mehr zahlen, aber nicht verzichten. Das zeigt: Wir sind ein Volk von Heuchlern.

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