Frank A. Meyer – die Kolumne
Winzige Weltmacht

Publiziert: 23.07.2023 um 01:04 Uhr
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Frank A. MeyerPublizist

Die «Neue Zürcher Zeitung» ist ein vorzügliches medizinisches Kompendium gegen allerlei Schweizer Unpässlichkeiten. Diese Woche nahm sich «NZZ»-Journalist Gerald Hosp sanft-verständnisvoll der aussenpolitischen Migräne an, die das helvetische Wohlbefinden in immer kürzeren Abständen zu befallen pflegt.

Der Ursprung des vermaledeiten Leidens ist die Rolle der Schweiz als «Weltmacht beim Handel mit Erdöl, Aluminium, Weizen oder Kaffee», wie der Kollege kundig diagnostizierte – und alsogleich empfahl, Bern solle sich «gegen forsche Forderungen aus dem Ausland wappnen», wobei er allen, die seiner ärztlichen Weisheit teilhaftig werden, zu vorbeugendem Verhalten riet: Das Land müsse «glaubhaft» versichern können, «die Risiken der Branche im Griff zu haben».

«Weltmacht» – schon die Wahl dieses Begriffs lässt ein höchst diplomatisches Einerseits/Anderseits anempfohlen erscheinen.

Es ist nämlich die ganz grosse Weltmacht, die der winzigen Weltmacht Schweiz Schwierigkeiten bereitet: zum Beispiel die «Helsinki-Kommission» des US-Kongresses oder Vertreter des Washingtoner Finanzministeriums oder andere amerikanische Behörden, die sich um Welthandelsgiganten mit Schweizer Sitz und um russische Oligarchen-Gelder unter Schweizer Schutz kümmern. Die Tonlage der US-Körperschaften, die sich auch schon mal in verärgerten Briefen niederschlägt, ist kritisch bis sehr kritisch.

Die Schweiz auf der globalen Anklagebank – Schweizer Kopfzerbrechen ist die Folge.

Vor allem eine Frage hat das demokratische Musterland zu beantworten: Wer macht die Schweizer Aussenpolitik – die wirtschaftlich Mächtigen? Oder die politisch Mächtigen?

Von aussen und von ferne sieht es ganz danach aus, als beeinträchtigten einflussreiche Handelsmächte die helvetische Reputation – von Glencore über Mercuria bis Gunvor. Das aber hiesse: Manager bestimmen das internationale Bild der Schweiz.

Zur Politik nicht Berufene machen Aussenpolitik!

Was soll da noch das republikanisch bescheidene Auftreten des Bundesrates in der Welt? Steht er damit nicht auf verlorenem Posten? Und steht da nicht – wie auch in anderen demokratischen Nationen – die Wirtschaft in Konkurrenz zur Politik? Wirtschaft als die eine Macht, Politik als die andere Macht.

Zwei gleichrangige Mächte.

So ist es aber nicht – so darf es nicht sein! Denn in der Demokratie ist die Politik das Ganze – die allen gesellschaftlichen Kräften übergeordnete Macht, also auch für die Wirtschaft die entscheidende Gestaltungsmacht. Es obliegt dem Volk, ökonomische Entwicklungen und Auswüchse durch Wahlen und Abstimmungen einzuhegen – die Ökonomie zum Wohle des Ganzen zu gestalten.

Es stimmt, Weltmachtfirmen können von Zug nach Dubai zügeln, wenn ihnen die demokratische Aufsässigkeit nicht passt. Andererseits bietet gerade die Schweiz, was autoritäre Standorte nicht im Sortiment haben, so supermodern sie sich auch inszenieren mögen: Lebensqualität in Form von Freiheit und Sicherheit und Lebenslust – demokratische Kultur, wie Manager und Mitarbeiter global operierender Unternehmen sie sich nicht besser wünschen können.

Demokraten vertrauen der Demokratie. Der Kapitalismus gehört dazu – als Teil des Ganzen.

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