Frank A. Meyer – die Kolumne
Moralmacht

Publiziert: 20.06.2021 um 00:20 Uhr
|
Aktualisiert: 03.07.2021 um 18:44 Uhr
Frank A. Meyer

Sie spielten Tennis in der Lausanner Filiale von Credit Suisse – ein pantomimischer Protest gegen die klimaschädlichen Geschäfte der Bank. Der polizeilichen Aufforderung, ihren Spielplatz zu verlassen, widersetzten sie sich. Hausfriedensbruch und Hinderung einer Amtshandlung rechtfertigten die Klimaaktivisten mit dem Notstand des drohenden Klimawandels.

Die Klimajugend, erhaben über den Schweizer Rechtsstaat.

Das Bundesgericht erteilte dieser Hybris eine Abfuhr: Die Rechtsbrüche seien nicht mit einem «rechtfertigenden Notstand» zu legitimieren. Nun gelangen die jugendlichen Tennisspieler an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Die Klimajugend, Inkarnation der Menschenrechte.

Beim EM-Länderspiel Frankreich gegen Deutschland flog ein Greenpeace-Aktivist am motorisierten Gleitschirm ins Münchner Fussballstadion und verletzte zwei Zuschauer auf den Rängen.

Klima-Notstandslandung.

Im Namen von Umwelt- und Klimaschutz sollen Zuwiderhandlungen gegen den Rechtsstaat für straffrei erklärt werden: Die Sorge um ihre Zukunft – so wird argumentiert – zwinge die Generation «Fridays for Future» zu Provokationen; die Moral ihres Kampfs ums Klima sei deshalb ein höheres Gut als die Wahrung des Rechtsstaats.

Wer kann gegen diese jungen Militanten aufbegehren, wollen sie doch lediglich ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen?

Das Schweizer Volk verwarf am Sonntag vor einer Woche drei umweltrelevante Vorlagen, darunter das CO2-Gesetz zum Schutz des Weltklimas.

Volk gegen Klimajugend?

Eine Nachwahlbefragung des Zürcher Verlagshauses Tamedia unter mehr als 16 000 Stimmbürgern ergab: Keine Altersgruppe lehnte das CO2-Gesetz und die beiden Agrarinitiativen so deutlich ab wie die 18- bis 34-Jährigen.

Jugend gegen Jugend?

Die Klimajugend ist weder die Jugend noch das Volk. Sie ist eine Aktivisten-Truppe, die wenig bis nichts zu tun hat mit den ganz normalen jungen Menschen – noch weniger mit den ganz normalen Bürgerinnen und Bürgern. Genau wie einst die 68er-Aktivisten, die vom Zürichberg und aus den Basler Nobelquartieren auf Strassen und Plätze strömten, um Revolution zu spielen – damals gegen die bösen Amerikaner und den Vietnamkrieg, aber vor allem gegen die Spiessigkeit ihrer Eltern und für autonome Jugendzentren in den Städten.

Was ist gegen derlei Aktivismus einzuwenden? Eigentlich gar nichts, geht es doch heute wie einst um eine gute Sache. Störend allerdings ist die Anmassung der Akteure, die sich schon im moralisch überhöhten Begriff «Klimajugend» offenbart, der von Politik wie Medien kniefällig nachgebetet wird.

Da macht sich offenbar eine moralisch über jeden Zweifel erhabene Generation auf, die schuldtriefende Elterngeneration vom Übel der Umweltsünde zu erlösen.

Juvenilismus statt Paternalismus.

Ziel dieser Bewegung ist die Unterwerfung der Mehrheit unter die Rechthaberei eines Kinderkreuzzugs, die politisch in vielerlei Verbote und Gebote mündet, letztlich in die Erziehung der Alten durch die Jungen – selbstverständlich nur zum Guten und Allerbesten.

Den parteipolitischen Arm dieser säkularen Religion bilden die Grünen, nicht nur in der Schweiz, sondern überall in Europa, ganz besonders in Deutschland, wo sie sich schon auf den Weg ins Bundeskanzleramt wähnen.

Am jüngsten Parteitag der deutschen Grünen wurde grosssprecherisch die Notwendigkeit einer «zweiten Aufklärung» ausgerufen. Gemeint ist damit wohl kaum, was die demokratischen Nationen des Westens als liberale Werteordnung praktizieren: der bürgerliche Rechtsstaat. Vielmehr geht es um die gesellschaftliche Festschreibung einer auf Moral gegründeten Vorrangstellung: Die klimareligiösen Vorbeter, in der Regel Sprösslinge wohlhabender und institutionell etablierter Kreise, arbeiten mit aller Kraft daran, ihre Meinungsmacht in politische Macht zu verwandeln – in die Herrschaft einer Elite, deren akademisch verbrämten Wahrheiten bei Strafe der Ächtung niemand mehr zu widersprechen wagt.

Pädagogen- statt Bürgerrepublik.

In der Tat geht es um eine Macht, die viel weiter greift als die berechtigten Klimaziele: um Gendersprache als Herrschaftsinstrument, um eine Politik von Identitäten, die der Freiheit des Einzelnen dirigistisch Grenzen setzt. Dies zugunsten von Gruppen, Stämmen oder Klassen.

Geschlechtliche, ethnische und soziale Merkmale, streng nach Quoten sortiert, beschränken die Demokratie: Auswahl wird wichtiger als Wahl, Moral überlagert das Recht, politische Korrektheit wird zum Kanon.

Die zweite Aufklärung?

In der Schweiz erhielt sie am 13. Juni eine wuchtige Abfuhr: durch das Volk.

Aufgabe der Volks- und Verantwortungsparteien wäre es, das dringende Anliegen des Klimawandels in Bahnen zu lenken, die den Bürger überzeugen: denn um ihn geht es – nicht um ein elitistisches Milieu.

Um die Jugend geht es – nicht um die Klimajugend.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?