Frank A. Meyer – die Kolumne
Aber

Publiziert: 18.07.2021 um 08:41 Uhr
Frank A. Meyer

Was ist die Schweiz? Ein Staat, dem man Steuern zahlt? Oder ein Mythos, dem man huldigt? Weder das eine noch das andere.

Die Grünen fordern das Ausländerstimmrecht auf nationaler Ebene. Verwunderlich ist das nicht. Wer sich in der heiligen Pflicht wähnt, die Welt zu retten, für den ist die Nation eine überaus profane Sache.

Für das Stimmrecht aller Ansässigen lassen sich Argumente anführen, nicht zuletzt das Ausländerstimmrecht in den Kantonen Appenzell-Ausserrhoden, Basel-Stadt, Graubünden und Neuenburg. Alle diese stolzen Schweizer Stände gibt es noch, trotz Ausländern, die ihre Geschicke mitbestimmen.

Auch ist der grünen Forderung eine Begründung beizugeben, die dem eingeborenen, dem urigen Schweizer ganz besonders einleuchten müsste: Keine Besteuerung ohne politische Mitbestimmung. Geld glänzt – und leuchtet dem Eidgenossen schon immer ein, ganz besonders dem urbanen und geschäftigen und globalisierten von Zürich über Zug bis Genf.

Also warum kein beherztes Ja zum Ausländerstimmrecht auf nationaler Ebene? Die Schweiz würde damit dem Zeitgeist nicht nur nachkommen, sondern sogar vorauseilen. Sie wäre wieder Avantgarde, wie 1848 mit dem ersten demokratischen Bundesstaat im Europa der Fürsten und Monarchen.

Zeitgeist?

Der Geist der Zeit, auf einen kurzen Nenner gebracht: Die Nation ist out, die Welt ist in. Lasset daher die Weltkinder zu uns kommen, damit sie bei uns die Früchte geniessen, die in ihren Herkunftsländern noch nicht gedeihen, zum Beispiel die Früchte der Demokratie, die ja zum Wurzelwerk des westlichen Wirtschaftswunders gehört.

Wo wäre dieses Wunder wunderbarer als in der Schweiz?

So gesehen käme es erbärmlichem Egoismus, konservativem Kleingeist, weltfremder Verstocktheit gleich, wenn man diese globale Spitzennation nicht allen zur Mitbestimmung anbieten würde, sobald sie fünf Jahre im 173 Jahre alten Alpenstaat verbracht haben und sogar Steuern zahlen.

Ist da ein Aber überhaupt noch erlaubt? Es sei gewagt:

Aber werden durch Volksabstimmungen auf nationaler Ebene nicht existenzielle Fragen der Schweiz entschieden?

Aber wird damit nicht die Verfassung verbindlich für die Zukunft festgelegt?

Aber setzen Volksentscheide nicht oft historische Herkunftsweisheit voraus?

Aber ist das Stimmrecht nicht ein Recht dessen, dem die Sache gehört?

Aber ist die über Generationen gestaltete Nation nicht politischer Besitz ihrer Bürger?

Aber ist das Stimmrecht nicht das höchste Recht des Staatsbürgers – dessen Essenz?

Aber käme dann das Stimmrecht ohne Staatsbürgerschaft nicht einer Abwertung eben dieser Staatsbürger-Essenz gleich?

Fünf Jahre in der Schweiz leben – und schon über die Zukunft der Eidgenossenschaft bestimmen? Wenn Globalisierung gleichzusetzen ist mit Gleichgültigkeit gegenüber seit Generationen Gültigem – dann freilich ist Mitbestimmung ein wohlfeiles Gut.

Wer aber die Globalisierung mit menschlichem Mass zu gestalten gedenkt, der kommt um den national gewachsenen Raum nicht herum: Wo die Bürgerschaft sich in Streit und Wohlgefallen ihre politische Heimat geschaffen hat, wo die Bürgerinnen und Bürger in Konflikten und Kompromissen über Generationen hinweg die Zukunft ihres Staatswesens gezeichnet haben – da bedarf es der verpflichtenden kulturellen Zugehörigkeit, um mitbestimmen zu dürfen:

der Staatsbürgerschaft.

«Kämpfen tut man aufrecht»
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Frank A. Meyer: Antirassismus:«Kämpfen tut man aufrecht»
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