«Es bringt nichts, überall die Restaurants zu schliessen»
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FDP-Chefin zu Corona-Strategie:«Es bringt nichts, überall die Restaurants zu schliessen»

FDP-Präsidentin Petra Gössi kritisiert Bundesrat Berset
«Es bringt nichts, überall die Restaurants zu schliessen»

Die Parteipräsidentin kritisiert Gesundheitsminister Berset. Und wehrt sich gegen weitere Einschränkungen auf nationaler Ebene.
Publiziert: 06.12.2020 um 09:05 Uhr
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Aktualisiert: 06.12.2020 um 10:54 Uhr
Interview: Simon Marti und Camilla Alabor

Der FDP läuft es ge­rade nicht rund: In Basel-Stadt wird­ ihr Vertreter aus der ­Regierung abgewählt, in St. Gallen verliert die Partei das Stadtpräsidium, in der Stadt Bern scheitert ihr Kandidat bei den Wahlen. Wie will Parteipräsidentin Petra Gössi das Steuer herumreissen? Und wie beurteilt sie das Vorgehen des Bundesrats in der Corona-Krise? Zeit für ein Gespräch.

SonntagsBlick: Frau Gössi, Sie fordern den Bundesrat auf, das WEF nächsten Mai in der Schweiz abzuhalten. Ist das mit Blick auf die hohen Fallzahlen tatsächlich unser grösstes Problem?Petra Gössi: Das hat nicht direkt mit den Fallzahlen zu tun. Die Hotels in der Zentralschweiz sind dank des WEF im Mai ausgebucht, die Armee hat WKs verschoben, viele Vorbereitungsarbeiten sind angelaufen. Wenn man die Wirtschaft schon unterstützen will, dann ist es wichtig, dass das WEF auch durchgeführt wird, wenn es die Rahmen­bedingungen zulassen. Das WEF muss mit der Schweiz verbunden bleiben.

Die Schweiz ist ein ­Corona-Hotspot. Verübeln Sie es möglichen Gästen ernsthaft, wenn sie das Land derzeit meiden?
Wir wissen nicht, wie sich die Lage im Mai präsentiert – womöglich ganz anders als heute. Das gilt wohlgemerkt auch für ­Singapur. Zudem reagieren die Leute auf die hohen Fallzahlen und werden vorsichtiger. Das hat man bei uns in Schwyz gesehen: Als die Bevölkerung merkte, dass das Virus da war, haben sich die Leute auf die Eigenverantwortung besonnen und verstanden, warum sie die Massnahmen mittragen müssen.

Der FDP läuft es ge­rade nicht rund: In Basel-Stadt wird ihr Vertreter aus der ­Regierung abgewählt, in St. Gallen verliert die Partei das Stadtpräsidium, in der Stadt Bern scheitert ihr Kandidat bei den Wahlen.
Foto: Keystone
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Muss es denn wirklich erst so schlimm werden, damit sich das Verhalten ändert?
Nein, aber die Bevölkerung muss die Massnahmen verstehen. Da ist auch das Departement von Bundesrat Alain Berset in der Pflicht. Wenn man zuerst sagt, die Masken nützten nichts, nur weil man im Frühling keine auf Lager hatte, und dieses Versäumnis später nie einräumt, ist das keine gute Kommunikation. Solche Fehler wirken sich bis heute negativ aus.

Wie würden Sie denn kommunizieren?
Seit dem Frühling verlangen wir ein Koordinaten- respektive Ampelsystem, das Planungssicherheit geben würde. So könnten zum Beispiel je nach Höhe der Fallzahlen bestimmte Massnahmen automatisch in Kraft treten. Von daher freut es mich, dass die Sozialdemokraten das jetzt auch auf­genommen haben. Gut möglich, dass diese Massnahme damit endlich bei SP-Bundesrat Berset ankommt.

Sie sagen, der Gesundheitsminister mache seinen Job nicht richtig?
Es gibt zumindest viele offene Punkte. Das zeigt sich auch an der fehlenden Impfstrategie. Wie diese aussieht, ist völlig unklar. Dabei müsste das Bundesamt für Gesundheit schon heute eine Aufklärungskampagne beginnen, gerade im Hinblick auf die zahlreichen Impfgegner im Land. Aber vom BAG vernehme ich nichts.

Wie sehen Sie die Rolle der Kantone? Deren Vorbereitung auf eine zweite Welle war offensichtlich ungenügend.
Das Contact Tracing ­wurde verschlafen, das ist so. Viele Kantone haben leider die Sommermonate nicht genutzt, um die Kapazitäten genügend hochzufahren, weshalb die Rückverfolgung mancherorts nicht mehr funktioniert hat. Aber es ist richtig, dass nun die Kantone, die ­näher an den Menschen sind, die Lage vor Ort beurteilen und nötigenfalls gezielte Massnahmen ergreifen.

Tun sie das denn? In Aargau oder Schwyz blieben die Regierungen trotz hoher Infektionszahlen untätig. Der Bundesrat droht nun mit schärferen Massnahmen.
Wichtig ist, dass regional unterschiedliche Lösungen möglich sind. Wenn die Infektionen steigen – die Reproduktionsrate also über eins liegt – muss ein Kanton reagieren. Tut er das nicht, ist verständlich, dass der Bundesrat Druck macht.

Sie haben sich gegen Einschränkungen in den Skigebieten eingesetzt. Warum? Angesichts der Infektionszahlen kann sich doch niemand volle Gondeln wünschen!
Auch hier müssen wir ­kantonal entscheiden. Die Skigebiete haben von ­langer Hand Schutz­konzepte erarbeitet und sind bereit, Kapazitäts­beschränkungen umzusetzen. Die Leute werden diese Konzepte akzeptieren und befolgen.

Machen unsere Bergbahnen denn bessere Schutzkonzepte als jene in Frankreich oder Italien, wo der Wintertourismus stillgelegt wurde?
Diese Bilanz wird man erst im Nachhinein ziehen können. Ich bin schlicht dagegen, auf Druck des Auslands alles runter­zufahren. Und wenn eine Region ein Schutzkonzept vorschlägt, das nicht taugt, dann müssen die Behörden aktiv werden, das ist völlig klar.

Schon heute hat die Schweiz sehr hohe Todeszahlen. Bräuchte es nicht weitere Massnahmen?
Jeder Todesfall ist tragisch. Wir dürfen aber nicht die Gesundheit der Bevölkerung gegen die Wirtschaft ausspielen – oder umgekehrt. Das eine geht nicht ohne das an­dere. Abgesehen davon bringt es nichts, wenn zum Beispiel überall die Restaurants geschlossen werden: Wenn sich die Leute stattdessen zu Hause treffen, weil sie die Mass­nahme nicht verstehen können, ist nichts gewonnen. Was aber stimmt: Bei den Absprachen zwischen den Kantonen gibt es Verbesserungspotenzial.

Stichwort Verbesserungspotenzial: Ihre Partei verliert eine Wahl nach der anderen. War der grüne Anstrich, den sich die FDP vor den Wahlen 2019 gegeben hat, ein Fehler?
Im Gegenteil. Dank der Diskussion über die Umweltpolitik haben wir Schlimmeres verhindert, das hat die Nachwahl-Analyse gezeigt. Der Wunsch, ökologischer zu politisieren, kam ja von der Basis. Und er entspricht dem Willen einer Mehrheit der Parteimitglieder, wie die Delegiertenversammlung im Sommer 2019 deutlich gemacht hat. Diese Position wurde übrigens mit der deutlichen Zustimmung zum CO2-Gesetz durch unsere Delegierten klar bestätigt.

Dennoch gibt es parteiinterne Kritiker, die bei jeder möglichen Gelegenheit den Öko-Kurs – und damit auch Sie – infrage stellen.
Es gibt immer Leute, die anderer Meinung sind. Diskussionen sind wichtig! Wenn aber ein Entscheid alle Gremien durchlaufen hat und sich eine klare Mehrheit dahinterstellt, muss man das auch einfach einmal akzeptieren. Und lernen, auch einmal zu schweigen, statt den Streit ständig über die Medien nach aussen zu tragen. Wir wurden auf einer FDP-Liste gewählt, daran darf man auch mal erinnern.

Vielleicht kam diesen Leuten der Schwenk halt doch zu plötzlich.
Natürlich war das Timing der Nachhaltigkeits­de­batte ein gutes halbes Jahr vor den Wahlen nicht ideal. Zumal die Frage, wie wir uns dazu positionieren, bei unseren Mitgliedern schon vor dem Klimastreik immer wieder aufkam. Es war offensichtlich, dass unsere Mitglieder dies­bezüglich eine andere ­Position hatten als un­sere Frak­tion. Mit Blick auf die ­vorangehenden Bundesratswahlen hatten wir gar keine Möglichkeit, einen anderen Zeitplan zu ­fahren.

Nicht nur auf nationaler Ebene harzt es, auch in den kantonalen Wahlen verliert die Partei.
Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens stecken wir weiterhin in einer grünen Welle, die es ­allen Parteien schwer macht, die nicht «grün» im Namen tragen. Zweitens schaden uns die ­öffentlich ausgetragenen Dispute einzelner Mandatsträger. Und drittens geht der Wähleranteil immer auf und ab, bei ­allen Parteien. Aber klar, wir müssen alles daransetzen, den Trend wieder umzukehren.

Wie wollen Sie das erreichen?
Wir brauchen eine direktere und emotionalere Kommunikation, welche die Menschen mehr berührt und mitzieht.

Ein populistischer Stil?
Nein, wir müssen sicherstellen, dass die Leute unsere Positionen ver­stehen. Viele unserer Mitglieder sehen die FDP immer noch in erster ­Linie als staatstragende Partei. Das stimmt ja auch, wir sind auf Gemeindeebene weiterhin die stärkste Partei. Aber wir können uns nicht auf unserer Geschichte ausruhen, wir müssen wieder lernen zu kämpfen: auf die Strasse gehen und die Leute von un­serer Politik überzeugen. Daran müssen sich einige Mitglieder erst noch gewöhnen.

Sind die Freisinnigen zu bequem geworden?
Teils vielleicht schon. ­Unser Problem ist aber auch, dass wir manchmal zu kompromissbereit sind. Wir müssen nicht immer für alle die Kohlen aus dem Feuer holen. Wir können auch einmal etwas machen, was unserer Profilierung dient.

Mit Kommunikation alleine ist es kaum ­getan. Die Niederlagen in Bern, St. Gallen und Basel-Stadt zeigen: Die FDP hat in den Städten ein Problem.
Im urbanen Bereich – und da sind die Stadtparteien direkt angesprochen – müssen wir neue Ideen einbringen. Es reicht nicht mehr, nur über Parkplätze zu sprechen. Auch ein Liberaler will ein städtisches Verkehrskonzept, das funktioniert. Das ist tatsächlich ein Versäumnis – und etwas, woran wir arbeiten.

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