FDP-Präsidentin Gössi teilt im grossen Interview gegen links und rechts aus
«Die SVP politisiert an der Bevölkerung vorbei»

Die Öko-Welle hat die FDP in Bedrängnis gebracht. Die Partei werde vermehrt Referenden ergreifen müssen, ist Petra Gössi überzeugt. Die FDP-Präsidentin spricht über den neuen Parteikurs, die Europa-Politik und das soziale Sprengpotenzial der Negativzinsen.
Publiziert: 05.01.2020 um 23:18 Uhr
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Aktualisiert: 06.01.2020 um 12:39 Uhr
Interview: Daniel Ballmer und Ruedi Studer

FDP-Chefin Petra Gössi (43) führt ihre Partei seit vier Jahren. Als sie die FDP von ihrem Vorgänger Philipp Müller (67) übernommen hat, hatte dieser eine Trendumkehr geschafft. Mit der Partei ging es wieder aufwärts. Doch bei den Wahlen vom Oktober 2019 wählten nur noch 15,1 Prozent freisinnig. Gössi lässt sich davon aber nicht entmutigen, wie sie beim Treffen in ihrem Büro in Zürich bei Kaffee und Weihnachtsschoggi klarmacht.

BLICK: Frau Gössi, wie haben Sie die Festtage verbracht?
Petra Gössi: Ich habe mit meiner Familie Weihnachten gefeiert und ein paar Tage in den Bergen verbracht – im Schnee.

Die Parteichefs von SVP, SP, Grünen und BDP nehmen alle den Hut. Muss auch die FDP eine neue Chefin suchen?
Nein. Ich werde mich im April für weitere zwei Jahre zur Wiederwahl stellen.

Die grüne Welle hat alles überrollt. Die FDP steckt in einem schwierigen Umfeld. «Wir müssen kämpferischer und frecher werden», sagt FDP-Chefin Petra Gössi.
Foto: Keystone
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Nur für zwei Jahre? Ein Wechsel mitten in der Legislatur ist mit Blick auf die nächsten Wahlen doch problematisch. Sie müssen die FDP eigentlich gleich in die Wahlen 2023 führen.
Die FDP wählt den Vorstand immer für zwei Jahre. Ich habe Freude an meinem Amt und kann mir vorstellen, noch länger zu bleiben. Aber eine Nachfolge braucht nicht unbedingt vier Jahre Anlaufzeit. So waren die letzten drei Wahlen von Megathemen geprägt, die kaum zu steuern sind. 2011 war es Fukushima, 2015 die Flüchtlingskrise und 2019 war es die grüne Welle.

Die FDP gehört zu den Wahlverlierern. Wie wollen Sie die Partei wieder auf Erfolgskurs bringen?
In der Politiklandschaft haben sich drei grosse Pole entwickelt: konservativ, sozial, liberal. Wir haben in einem schwierigen Umfeld Schlimmeres verhindert, wenn wir auf die anderen Pole schauen. Klar ist aber, dass wir den liberalen Pol stärken müssen. Wir müssen kämpferischer werden, frecher auftreten und unsere Leute müssen wieder lernen, für ihre Überzeugungen mehr hinzustehen und zu kämpfen. Wir werden auch vermehrt Referenden ergreifen müssen, um Mitte-links-Vorlagen zu bekämpfen.

Trotzdem: Haben Sie nach der Wahlniederlage nie an Rücktritt gedacht?
Natürlich. Aber nur, weil ich mal im Gegenwind stehe, springe ich nicht gleich ab. Das ist nicht meine Art. Die ersten drei Jahre haben wir zulegen können. In den Kantonen wurden wir zur stärksten Partei. Dann kam die grüne Welle. Damit ist unsere Ausgangslage schwierig geworden. Wir haben uns auf unsere Tradition besonnen, die Umweltpolitik in den Fokus genommen und liberale Lösungen erarbeitet. Hätte die Basis das nicht mitgetragen, wäre ich gegangen. Da hätte ich mich nicht verleugnen können.

Der Kurswechsel hat bei den Wahlen aber nur bedingt genützt.
Wir haben die Umweltpolitik nicht wegen der Wahlen in den Fokus gerückt, sondern weil das Thema in der Bevölkerung einen wichtigen Stellenwert hat. Bei den Wahlen sind wir mit einem blauen Auge davongekommen. Die SVP hingegen hat sehr viele Sitze verloren. Sie wollte sich in den Umweltfragen gar nicht bewegen. Da politisiert sie an der Bevölkerung vorbei. Und sogar die SP hat stark verloren.

Privat taucht sie gerne ab

Petra Gössi (43) ist seit 2011 Nationalrätin – und löste vor vier Jahren Philipp Müller (67) als Chef der FDP ab. Die Schwyzerin hat sich seither von der Steuerexpertin zur Allrounderin weiterentwickelt. Gössi arbeitet als Rechts-, Steuer- und Unternehmensberaterin bei der Baryon AG in Zürich. Anders als in der Politik geht sie in der Freizeit gern und oft tauchen, im Winter steht bei ihr Skifahren hoch im Kurs.

Petra Gössi (43) ist seit 2011 Nationalrätin – und löste vor vier Jahren Philipp Müller (67) als Chef der FDP ab. Die Schwyzerin hat sich seither von der Steuerexpertin zur Allrounderin weiterentwickelt. Gössi arbeitet als Rechts-, Steuer- und Unternehmensberaterin bei der Baryon AG in Zürich. Anders als in der Politik geht sie in der Freizeit gern und oft tauchen, im Winter steht bei ihr Skifahren hoch im Kurs.

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Sie reden gerade die eigene Niederlage schön.
Nein. Eine stärkere Bearbeitung eines Themas, wie wir dies mit der Umweltpolitik machen, braucht eine gewisse Zeit. Das habe ich immer gesagt. Wir müssen aufzeigen, dass es uns ernst ist.

In der Wintersession hat man davon nichts gespürt. Bleibt es bei blossen Lippenbekenntnissen?
Wir haben nie gesagt, dass wir eine linke Umweltpolitik machen wollen. Wir haben eigene liberale Lösungen erarbeitet. Gerade die Grünen stehen hier in einem Interessenkonflikt zwischen Energiefragen und Umweltschutz. Wenn man tatsächlich eine Energiewende will, darf man die erneuerbaren Energien nicht gegeneinander ausspielen. Die Grünen wollen erneuerbare Energien, wehren sich aber gegen einen Ausbau der Wasserkraft oder gegen neue Windräder. Will man die Energiewende, muss man auch ehrlich sein.

Das können Sie am Klimagipfel der Grünen einbringen. Wie geht es da voran?
Es zeigt sich nun, wie schwierig es ist, ausserhalb bestehender Strukturen einen Rahmen für Gespräche aufzubauen und Lösungen zu finden. Wir sind schneller, wenn wir uns im bereits bestehenden Rahmen treffen und unsere Themen besprechen. Ich bin kein Fan solcher Gipfel, habe aber dennoch immer Gesprächsbereitschaft signalisiert. Ich bin gespannt, was dabei herauskommt.

Die CVP hat bereits einen Konkordanzgipfel angedacht, um die Regierungszusammensetzung neu zu diskutieren. Machen Sie da mit?
Wir haben uns auch diesen Gesprächen nicht verweigert. Bis jetzt ging es bei jedem Lösungsvorschlag nur darum, dass die einzelnen Parteien ihre Sitze halten können – gerade auch die CVP. Das ist auch verständlich. In der Politik geht es um Macht. Will man schon einen solchen Konkordanzgipfel, muss man bereit sein, das Thema breit zu diskutieren.

Als Nächstes müsste ja die FDP einen Europagipfel fordern. Die Europapolitik ist unter Ihrem Aussenminister Ignazio Cassis blockiert.
In der Europafrage geht es auch ohne Gipfel weiter. Wir haben im Mai die Abstimmung über die Kündigungs-Initiative der SVP. Unmittelbar darauf wird der Bundesrat sagen müssen, mit welchen Lösungsvorschlägen er in Brüssel die nötigen Präzisierungen zum Rahmenabkommen herbeiführen will. Sollte die Kündigungs-Initiative aber an der Urne durchkommen, muss man gar nicht mehr weitermachen.

Wo sehen Sie innenpolitisch den grössten Stolperstein?
Es sind immer noch die Gewerkschaften, die das Rahmenabkommen seit über anderthalb Jahren blockieren. Aber unsere Bundesrätin Karin Keller-Sutter ist mit dem Vorschlag für Überbrückungsleistungen auf die Gewerkschaften zugegangen.

Aber gerade FDP-Ständeräte haben den Vorschlag der eigenen Bundesrätin torpediert.
Wir können den Gewerkschaften nicht einfach nur Geschenke machen, damit sie sich endlich bewegen. Die FDP spricht sich ja nicht gegen die Überbrückungsleistungen aus. Aber es geht um Korrekturen, damit der Sozialausbau nicht überbordet und Arbeitgeber nicht Anreize erhalten, Angestellte frühzeitig in die Sozialversicherung abzuschieben.

Mit dem FDP-Vorschlag, die Überbrückungsrente nur bis zur möglichen Frühpensionierung zu gewähren, werden ältere Arbeitnehmer wieder in die Sozialhilfe oder zu einer lebenslang gekürzten Frührente gezwungen. Das kann ja nicht freisinnige Politik sein.
Zumindest aber können wir das Thema nun nochmals grundlegend diskutieren. Ohne die Vorschläge der FDP hätte die Gefahr bestanden, dass das Geschäft gleich ganz bachab geschickt wird. Letztlich geht es darum, mit guten Lösungen die Kündigungs-Initiative zu bekämpfen.

Neben den Überbrückungshilfen steht ein neuer Anlauf zur Rentenreform an. Kann der gordische Knoten endlich zerschlagen werden?
Ja, denn wir müssen, dies tun. Ich glaube, der Leidensdruck ist mittlerweile gross genug, dass man sich auf gemeinsame Lösungen einigen wird. Uns ist wichtig, dass die Massnahmen auch in Zukunft finanziert werden können. Zu solchen Lösungen werden wir Hand bieten – und ich appelliere an SVP und CVP, uns das gleichzutun. Sonst kommen letztlich die linken Forderungen durch.

Es gibt eine einfache Lösung, um das AHV-Loch zu stopfen: Die Schweizerische Nationalbank macht mit Negativzinsen Milliardengewinne. Die lassen sich doch abschöpfen.
Rund um die Negativzinsen und die AHV gibt es keine einfachen Lösungen. Das Thema betrifft unter anderem die Beschäftigung in der Schweiz, die Exportindustrie und noch vieles mehr. Zudem ist die Nationalbank nicht dazu da, die Löcher in der AHV beziehungsweise in den Sozialversicherungen zu stopfen. Damit würde das strukturelle Problem umschifft, aber nicht gelöst. Und es wäre eine gefährliche Entwicklung, denn die Begehrlichkeiten in anderen Bereichen würden massiv steigen. Nach jahrelangem Boom an der Börse können sich die Börsengewinne der Nationalbank auch sehr schnell in Verluste umwandeln. Deshalb soll sie auch in Zukunft politisch unabhängig bleiben.

Sehen Sie in den Negativzinsen kein Problem?
Doch! Das Problem ist aber komplexer, als es der erste Blick erahnen lässt. Die positive Handelsbilanz und der positive Haushalt der Schweiz führen seit Jahrzehnten zu einem starken Franken. Die Negativzinsen tragen dazu bei, die Attraktivität des Frankens zu senken und sie helfen damit der Beschäftigung im Export, beeinträchtigen aber die Erträge zum Beispiel der Pensionskassen. Es gilt hier abzuwägen, was das kleinere Übel ist. Deshalb wird sich die FDP dem Thema annehmen. Ich habe es bereits bei den nächsten Von-Wattenwyl-Gesprächen traktandieren lassen.

Mit welchem Ziel?
Ich will vom Bundesrat wissen, wie er zur Problematik der Negativzinsen steht und ob sich das Problem entschärfen lässt. Zudem möchte ich von den anderen Parteien wissen, was sie darüber denken. Die Negativzinsen sind ein heisses Eisen, über das niemand sprechen will. Die Politik muss sich dieser Frage annehmen, denn in den Negativzinsen steckt soziales Sprengpotenzial.

Dann muss der Bundesrat eben doch bei der Nationalbank durchgreifen.
Eine politische Fernsteuerung der Nationalbank kommt nicht infrage. Wir müssen dennoch Klarheit über die Prioritäten schaffen. Wir können die Negativzins-Problematik zudem entschärfen, indem wir die Wirtschaft generell stärken und wettbewerbsfähiger machen. Dafür braucht es etwa die Abschaffung der Stempelsteuer oder den Wechsel zu einem Mehrwertsteuer-Einheitssatz.

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