Falsche Koks-Vorwürfe und seltsame Beschattungs-Aufträge
Das wirre Vorgehen des Fifa-Sonderermittlers

Das Verfahren gegen Fifa-Chef Infantino und Ex-Bundesanwalt Lauber sollte das Vertrauen in die Justiz stärken. Doch der Ex-Sonderermittler agierte chaotisch, voreingenommen – und mit falschen Spekulationen.
Publiziert: 02.11.2023 um 14:01 Uhr

Die Sache wird immer haarsträubender. Seinen Job ist Stefan Keller (46) schon lange los. Ende Mai 2021 hatte der ehemalige Fifa-Ermittler das Handtuch geworfen. Notgedrungen, das Bundesstrafgericht in Bellinzona hatte ihm zuvor untersagt, weiter gegen Fifa-Boss Gianni Infantino (53) zu ermitteln. Damit war es Keller faktisch gar nicht mehr möglich, als ausserordentlicher Bundesanwalt die nicht protokollierten Geheimtreffen des ehemaligen Bundesanwalts Michael Lauber (57) mit Infantino zu untersuchen.

Der Verdacht hatte es in sich: Infantino soll Lauber instrumentalisiert haben, um beim Weltfussballverband die Macht zu übernehmen. Dank Laubers Ermittlungen gegen Fifa-Präsident Sepp Blatter (87) und Uefa-Präsident Michel Platini (68) habe es Infantino im Februar 2016 auf den Fifa-Thron geschafft. Nun aber ist amtlich festgehalten: An dem Verdacht ist nichts dran. Vergangene Woche haben Kellers Nachfolger, die ausserordentlichen Bundesanwälte Hans Maurer und Ulrich Weder, das Strafverfahren offiziell eingestellt.

Abgehörte Rentnerin bis falsche Koks-Vorwürfe

Doch die 221-seitige Einstellungsverfügung deutet vor allem auf ein juristisches Chaos hin, wie der «Tages-Anzeiger» berichtet. Die Zeitung hatte Einsicht in die Verfügung. Deren Fazit: Die Untersuchung von Ex-Sonderermittler Keller fusste lange auf Spekulationen statt Ermittlungen. Das wirft kein gutes Licht auf die Schweizer Justiz.

Oberrichter mit Erinnerungslücke: Stefan Keller wurde als Fifa-Sonderermittler vom Bundesstrafgericht in den Senkel gestellt.
Foto: keystone-sda.ch
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So habe Keller die St. Galler Kantonspolizei mit umfangreichen Ermittlungen zu Lauber beauftragt: «Wie sieht das Freizeitverhalten aus? Existieren private Bezüge zu Infantino?» Und dann noch «Betäubungsmittel-Missbrauch»: «Gibt es Anhaltspunkte dafür?» Alles sollte sehr diskret verlaufen.

Noch skurriler: Keller wollte nicht nur die Telefonanschlüsse von André Marty, damals noch Kommunikationschef der Bundesanwaltschaft, überwachen – in Echtzeit. Er habe sogar in Auftrag gegeben, Martys über 80-jährige Mutter abzuhören. Der Grund: Als ihr Sohn einmal Opfer eines Diebstahls geworden war, hatte er ihre Telefonnummer bei der Polizei als Kontakt angegeben.

Die Telefonüberwachung hat wenig überraschend keine verdächtigen Hinweise ergeben. Auch zu möglichem Drogenkonsum sollen die Kantonspolizisten nicht den geringsten Hinweis gefunden haben. Es erscheint offensichtlich: Mehr als ein kolportiertes Gerücht hatte Keller nicht in der Hand.

Nun wollte sich der Ex-Sonderermittler nicht mehr erinnern

Aber das ist noch längst nicht alles. Gleichzeitig fühlte sich der Sonderermittler selbst verfolgt. «Aus zuverlässiger Quelle habe ich heute Infos bekommen, dass ich überwacht/beschattet werde», habe Keller am 4. November 2020 in einem Brief der Kantonspolizei St. Gallen mitgeteilt. «Wie soll ich mich verhalten? Gefahrenpotenzial?», zitiert der «Tages-Anzeiger» aus den Akten.

2021 wurde es dann auch dem Bundesstrafgericht zu bunt. Es beendete den Spuk und versetzte Keller in den Ausstand, womit es ihm weitere Ermittlungen verunmöglichte.

Richtig peinlich wurde es, als Keller, der bis heute das Obwaldner Obergericht präsidiert, seinen beiden Nachfolgern Red und Antwort stehen sollte. Sie wollten von Keller wissen, wer ihn über seine angebliche Beschattung und Überwachung informiert habe. Leider aber habe er sich nicht mehr erinnern können. Ähnlich tönte es beim Verdacht auf Kokain-Konsum, der sich ebenfalls in Luft aufgelöst hat. Auf Medienanfragen habe Keller nun nicht reagiert. 

Seine Nachfolger Maurer und Weder sollen rasch festgestellt haben, dass die These eines Putsches bei der Fifa nicht aufgehe. Schon nur, weil Infantino Lauber erst getroffen habe, nachdem er bereits Fifa-Präsident geworden war. Allerdings: Die Beteiligten wollen sich bis heute nicht an die Geheimtreffen erinnern. So blieben diese gemäss Einstellungsverfügung «suspekt und undurchsichtig». Die ganze Wahrheit bleibt im Dunkeln. (dba)

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