Fall Nawalny: US-Politiker setzen Bern unter Druck
«Kriminelle wollen die Schweiz missbrauchen»

Die Schweiz hat das Vermögen eines Unterstützers des russischen Oppositionsführers Alexei Nawalny gesperrt. Dafür setzt es jetzt Kritik aus den USA.
Publiziert: 21.03.2021 um 17:10 Uhr
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Aktualisiert: 01.05.2021 um 20:37 Uhr
Russlands Präsident Wladimir Putin (68) wollte den Regime-Kritiker Alexei Nawalny (44) ermorden.
Foto: keystone-sda.ch
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Danny Schlumpf

Wladimir Putin (68) wollte den Regimekritiker Alexei Nawalny (44) ermorden lassen. Das sagt kein Geringerer als Joe Biden (78): Russlands Präsident sei ein «Killer», liess der US-Präsident die Weltöffentlichkeit am Mittwoch wissen. Die Stimmung zwischen den beiden Supermächten ist auf dem Siedepunkt.

Gemeinsam mit der EU verhängten die Amerikaner Anfang März Sanktionen gegen ranghohe russische Funktionäre, die im Fall Nawalny aktiv sind. Die Botschaft ist klar: Nawalny und seine Unterstützer müssen geschützt werden – vor ihrem eigenen Staat, der Dissidenten vergiftet, erschiesst oder vom Balkon wirft.

Auf der Sanktionsliste stehen auch der russische Generalstaatsanwalt Igor Krasnow (45) und sein Stellvertreter Viktor Grin (69). Denn wenn der Kreml Oppositionellen nicht gerade nach dem Leben trachtet, verfolgt er sie juristisch – und zwar weltweit.

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Vorwürfe an die Schweiz

Das hat jetzt auch Folgen für die Schweiz: Ihr Botschafter in Washington, Jacques Pitteloud (58), hat in den letzten Tagen Post von drei Kongressabgeordneten erhalten. Die Briefe liegen SonntagsBlick vor. Ihr Inhalt ist heftig: Die Politiker werfen der Schweiz vor, sich bei der Verfolgung von Oppositionellen von Russland einspannen zu lassen.

Einer der US-Parlamentarier ist der Republikaner Michael Waltz (47) aus Florida. Der ehemalige Eliteoffizier leistete Kampfeinsätze in Afghanistan und diente als hochrangiger Berater des früheren US-Präsidenten George W. Bush (74). Seit 2019 sitzt Waltz im Repräsentantenhaus.

Jetzt schreibt er an den Schweizer Botschafter: «Ich bin beunruhigt zu erfahren, dass Kriminelle, die auf der US-Sanktionsliste stehen, das Schweizer Rechtssystem missbrauchen wollen, um Unterstützer von Alexei Nawalny zu attackieren.»

Flucht gelungen, Konto gesperrt

Mit den Kriminellen meint Waltz den russischen Generalstaatsanwalt und seinen Stellvertreter. Und wenn er von Missbrauch spricht, meint Waltz deren Methode. Die ist denkbar einfach: Die russischen Strafverfolger werfen Dissidenten frei erfundene Delikte vor und hetzen sie damit rund um den Globus. Häufig unterstellen sie ihnen Geldwäscherei – so auch dem Nawalny-Unterstützer Jaroslaw Alekseew (51).

Dem Oppositionellen gelang zwar die Flucht aus Russland, doch sein gesamtes Vermögen liegt auf dem Konto einer Schweizer Bank. 2019 schickte Moskau deshalb ein Rechtshilfegesuch nach Bern. Das Bundesamt für Justiz übergab den Fall der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, die Alekseews Konto umgehend sperren liess.

Daran hat sich bis heute nichts geändert: Die Gelder sind immer noch eingefroren – ganz im Sinne der russischen Behörden, die auf diese Weise flüchtige Oppositionelle zermürben. Aber auch die Schweiz zeigte kein Interesse, den Fall zügig abzuschliessen.

Lieber den Adler wecken, als den Bären reizen

Sollte sie nämlich zum Schluss kommen, dass der Kreml den Nawalny-Unterstützer Alekseew aus politischen Gründen verfolgt, muss sie das Gesuch der Russen ablehnen. Doch in Bern will man den Bären im Osten lieber nicht reizen.

Stattdessen hat man nun den Adler im Westen geweckt. «Präsident Putin und seine Kumpane haben keinen Respekt für demokratische Werte und Normen», warnt der Kongressabgeordnete Waltz in seinem Brief an Botschafter Pitteloud. Die westlichen Länder müssten eine gemeinsame Verteidigungslinie gegen russische Angriffe auf ihre Institutionen bilden, schreibt Waltz weiter – und spricht die Causa Alekseew direkt an: «Ich hoffe, dass Ihre Regierung den Fall Alekseew sehr sorgfältig prüft, entschieden zur Tat schreitet, um ihre Institutionen vor bösartigen Akteuren zu schützen, und alles in ihrer Macht Stehende tut, um die Rechte jener zu schützen, die vor Schweizer Gerichtshöfen Gerechtigkeit suchen.»

Botschafter versichert: Schweiz gewähre keine Rechtshilfe

Neben dem Republikaner Waltz haben sich auch zwei demokratische Abgeordnete an Jacques Pitteloud gewandt – in ebenso klaren Worten. Mehr noch: Recherchen von SonntagsBlick weisen darauf hin, dass dem Schweizer Botschafter demnächst Post von weiteren US-Politikern ins Haus steht.

Ein Kongressabgeordneter hat in dieser Sache bereits Antwort von Pitteloud. Darin versichert der Botschafter, dass die Schweiz keine Rechtshilfe gewähre, wenn ein Strafverfahren dazu diene, jemanden aufgrund seiner politischen Haltung zu verfolgen. Was wiederum Justizministerin Karin Keller-Sutter (57) gehörig unter Zugzwang setzt.

«Ein Rechtshilfegesuch, das der politischen Verfolgung dient, muss abgelehnt werden», bestätigt Frank Meyer (45), Strafrechtsprofessor und Experte für internationale Rechtshilfe an der Uni Zürich. «Angesichts des wachsenden internationalen Drucks könnte das Justizdepartement die Zusammenarbeit aber auch unter Hinweis auf wesentliche Interessen der Schweiz verweigern und so vermeiden, Russland direkt politische Verfolgung vorhalten zu müssen.»

«Die Bundesbehörden geben die heisse Kartoffel weiter»

Bundesrätin Keller-Sutter will sich zum Fall nicht äussern. Auch das Aussendepartement von Bundesrat Ignazio Cassis (59) hüllt sich in Schweigen. Beide verweisen auf das Bundesamt für Justiz – das den Ball an den Staatsanwalt in Zürich weiterspielt. Der lässt ausrichten: «Wir prüfen derzeit in diesem Verfahren frei und unabhängig von politischer Einflussnahme, ob die Voraussetzungen für die Gewährung der Rechtshilfe vorliegen oder nicht.»

Polen kam schon 2019 zum Schluss, dass diese Voraussetzungen nicht gegeben sind: Warschau lehnte ein Auslieferungsgesuch für Alekseew mit dem Hinweis auf politische Verfolgung umgehend ab. Anders die Schweiz: «Die Bundesbehörden geben die heisse Kartoffel weiter, bis sie bei einem kantonalen Staatsanwalt landet», sagt SP-Nationalrat Fabian Molina (30). «Je heikler der Fall, desto länger wird er verschleppt.»

Am Donnerstag hat Molina eine Anfrage zur internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen eingereicht. Er will vom Bundesrat wissen, wie dieser den Unmut der USA über die Behandlung des Falls Alekseew einschätzt.

Das Vermögen des Nawalny-Unterstützers bleibt weiter gesperrt – was als Sicherungsmassnahme im Rechtshilfebereich gang und gäbe sei, wie Strafrechtler Meyer erklärt. «Häufig werden auf dünner Faktenbasis gravierende vorläufige Massnahmen ergriffen und persönliche Mittel von einem Tag auf den anderen eingefroren», sagt er. «Das kann Existenzen zerstören, weil solche Sperrungen sehr lange dauern können.»

Qual der Wahl

Bundesrätin Keller-Sutter könnte das Verfahren beschleunigen, indem sie den Fall auf Bundesebene hievt und eine politische Entscheidung fällt.

Ein solcher Schritt sei durchaus denkbar, sagt Frank Meyer. «Die Schweiz hat schon früher Rechtshilfebeziehungen zu anderen Staaten gedrosselt oder eingefroren.» Das sei auch richtig so: «Wenn die Schweiz zum Schluss kommt, vor den Karren menschenrechtswidriger Verfolgung gespannt zu werden, muss sie reagieren. Das kann nicht ein einzelner Staatsanwalt tun. Da ist der Bundesrat gefordert.»

Im Osten der Bär, im Westen der Adler. Die Sache sei dringlich, warnt Kongressmann Waltz. Die Schweiz muss sich entscheiden.

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