Experte Urs Altermatt prophezeit
Der Bundesrat wird bald noch weiblicher

Kein Historiker kennt die Gesetze der Wahl in die Landesregierung besser als Urs Altermatt. Er schreibt, dass die Schweiz bald vier Frauen im Bundesrat haben wird.
Publiziert: 02.12.2018 um 14:40 Uhr
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Aktualisiert: 03.12.2018 um 09:05 Uhr
Urs Altermatt

Seit den Anfängen des Bundes­staats wecken die Bundesratswahlen wie kaum ein anderes Ereignis der schweizerischen Politik breites mediales Interesse und lebendige Gespräche an Stammtischen hervor. Was fällt bei den kommenden Ersatzwahlen für die Aargauer Bundesrätin Doris Leuthard (CVP) und den Berner Bundesrat Johann Schneider-Ammann (FDP) als Besonderheiten auf?

Parteipolitischer Frieden

Nachdem die SVP als wählerstärkste Partei 2015 nach dem Rücktritt von Eveline Widmer-Schlumpf (BDP) ihren zweiten Bundesratssitz zurückerobern konnte, beruhigte sich das ­allgemeine parteipolitische Klima. Parteipolitisch sind die beiden ­Sitze nicht bestritten.

Frauenfrage

Da mit Doris Leuthard die eine von zwei Bundesrätinnen in der siebenköpfigen Landesregierung zurücktritt, ­beherrscht dieses Mal die ­Geschlechterfrage den Diskurs. Die Wahl von mindestens einer zweiten Bundesrätin ist durch den Zeitgeist zur politischen Pflicht geworden. Dabei sieht sich vorab die FDP mit dem Frauenthema konfrontiert, da sie seit der ­Demission von Elisabeth Kopp 1989 fast 30 Jahre keine ­Bundesrätin gestellt hat.

Bundesratshistoriker Urs Altermatt schreibt, was an dieser Bundesratswahl besonder ist.
Foto: Andre Albrecht
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 Medienmacht

Von Anfang an mischten die Medien, vorab die Zeitungen, bei der öffentlichen Debatte über die Nachfolge an vorderster Stelle mit. Es waren die Printmedien, die die St. Gallerin Karin Keller-Sutter zur freisinnigen Kronfavoritin erkoren − bevor sich diese und die FDP formell geäussert hatten. Das Vorpreschen der Medien hatte die wohl unbeabsichtigte ­Nebenwirkung, dass sich andere freisinnige Politikerinnen bereits im Vorfeld selbst aus dem Rennen nahmen. Enttäuscht musste sich die Parteileitung der FDP mit dem Wegfall von anderen Frauenkandidaturen abfinden und stellte ­neben Keller-Sutter in der Person von Ständerat Hans Wicki einen Mann auf. Dass dabei auf dem Doppelticket der regionale Faktor aufgeht, tröstet über das Frauen­thema hinweg. Keller-Sutter stammt aus dem Kanton St. Gallen, der seit dem Rücktritt von Kurt Furgler 1986 nicht mehr im Bundesrat vertreten ist, und der Nidwaldner Wicki kann sogar ­darauf hinweisen, dass der kleine Urschweizer Halbkanton noch nie einen Bundesrat hatte.

Urs Altermatt

Der Solothurner Urs Altermatt (76) war Professor für Zeitgeschichte und Rektor an der Universität Freiburg. Er gilt als Kenner der Bundesstaats-geschichte, insbesondere der -Geschichte des Bundesrats. Sein Standardwerk, das «Bundesrats-lexikon», erscheint, aktualisiert mit den Ergebnissen der Wahl vom 5. Dezember, in einer neuen Ausgabe Ende Januar 2019.

Der Solothurner Urs Altermatt (76) war Professor für Zeitgeschichte und Rektor an der Universität Freiburg. Er gilt als Kenner der Bundesstaats-geschichte, insbesondere der -Geschichte des Bundesrats. Sein Standardwerk, das «Bundesrats-lexikon», erscheint, aktualisiert mit den Ergebnissen der Wahl vom 5. Dezember, in einer neuen Ausgabe Ende Januar 2019.

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Alibimänner

Obwohl dies offiziell vehement bestritten wird, kommt dem Mann auf dem Fraktions­ticket die Rolle des Alibikandi­daten zu. Bei vergangenen gemischten ­Tickets war das noch anders: Bundesrat Pascal Couchepin war 1998 als ehemaliger Fraktionspräsident Favorit. Allerdings ­musste sich der Walliser den Bundesratssitz hart erkämpfen und siegte erst im ­fünften Wahlgang gegen die Waadtländer Nationalrätin ­Christiane Langenberger. 2003 war der Sieg von Ständerat Hans-­Rudolf Merz gegen die sozial­liberale Ständerätin Christine Beerli eher eine Überraschung, die dem Rechtsruck nach der ­Blocher-Wahl zuzuschreiben war.

 Zweiertickets

Den Mut zu ­einem Einer­ticket besass die FDP aus taktischen Gründen nicht − um der Bundesversammlung einerseits eine Auswahl zu bieten und damit andererseits eine unberechenbare wilde Kandidatur zu vermeiden. Vor eine ähnliche Lage gestellt, waren die Christdemokraten 2006 forscher und setzten mit der ­Einerkandidatur von Doris Leuthard klar auf eine Frauenwahl.

 Zwei Anläufe

Sofern Karin ­Keller-Sutter − was wahrscheinlich ist − gewählt wird, ist sie in neuerer Zeit mit Ausnahme von Christoph Blocher die Erste, die die Wahl im zweiten Anlauf als ­offizielle Kandidatin geschafft hat. Normalerweise kommt es nicht
zu einer zweiten Chance.

 Frauendoppel

Da die CVP im Bundesrat nunmehr nur noch ­einen einzigen Bundesratssitz inne­hat, stand sie nicht unter demselben Druck einer Frauenwahl wie die Freisinnigen. Die meisten Medien erwarteten einen Zweiervorschlag mit einer Frau und einem Mann − doch sie irrten sich. Zur allgemeinen Überraschung stellte die Fraktion ein Frauendoppel auf. Da sie mit der Nomination der Regierungsrätin Heidi Z’graggen eine Urnerin ­aufnahm, kam sie auch den ­regionalen Ansprüchen der Zentralschweiz nach, die seit dem Rücktritt von Kaspar Villiger 2003 nicht mehr im Bundesrat vertreten ist. Mit dem unerwarteten ­reinen Frauenticket landete die CVP einen Coup und stahl der FDP die mediale Show. Das Rätsel­raten über die künftige christlichdemokratische Bundesrätin ­erzeugt Spannung und dominiert eindeutig den öffentlichen ­Diskurs; die nationale Roadshow der FDP verlor ihre Attraktion.

 Zwei bürgerliche Frauen

Erstmals in der Geschichte des Bundesrats wird es am 5. Dezember mit grosser Wahrscheinlichkeit zur gleichzeitigen Wahl von zwei Bundesrätinnen in die Landes­regierung kommen. Dass die beiden Bundesrätinnen aus den beiden bürgerlichen Volksparteien ­stammen, ist ein Beleg dafür, dass Frauen nach einem ­zögerlichen Start (Einführung des Frauenstimm- und -wahlrechts 1971) ­inzwischen zur Normalität in der Landesregierung geworden sind. Dass es dazu kommen konnte, ist der sonst in den Medien als wenig dynamisch betitelten Mittepartei CVP zu verdanken, die ­bereits 1987 mit der St. Galler ­Nationalrätin Eva Segmüller die erste ­Parteipräsidentin der Bundesratsparteien gestellt hatte.

 Folgsamkeit

Nach den turbulenten Bundesratswahlen in den 90er- und 00er-Jahren gehe ich davon aus, dass sich die Bundesversammlung dieses Mal an die ­offiziellen Parteivorschläge hält. Die Ständeratspräsidentin Keller-Sutter muss kaum mit einer «Nacht der langen Messer» ­rechnen, wie dies die offizielle ­SP-Kandidatin Lilian Uchten­hagen 1983 erleben musste. ­Bekanntlich ­siegte damals der ­wenig bekannte Solothurner Sprengkandidat, alt Nationalrat Otto Stich, mit den Stimmen der bürgerlichen Parteien. 

 Keine «Ladykiller»

Offen ist der Wahlausgang zwischen den beiden Christdemokratinnen. Das Frauendoppel setzte den Spekulationen über einen wilden Kandidaten ein sofortiges Ende. Dieser würde als «Ladykiller» in die Bundesratsgeschichte eingehen − wie damals Otto Stich. 1993 musste der gewählte Bundesrat Francis Matthey sogar auf Druck der ­eigenen Partei, der SP, schweren Herzens auf das Amt verzichten und in einem zweiten Anlauf Ruth Dreifuss den Vortritt lassen.

Da die Wahl des CVP-Bundesrats wegen der längeren Amtsdauer von Bundesrätin Leuthard an erster Stelle erfolgt, ist mit keinem Wahlputsch zu rechnen, denn dies würde zu einem Aufruhr führen und bei der Wahl des zweiten Bundesratssitzes die Unberechenbarkeit erhöhen. 

Darüber, ob die im Parlament bekannte, dossierfeste und mehrsprachige Nationalrätin ­Viola Amherd oder die Urner Regierungsrätin ­Heidi Z’graggen, die als unbekannte Newcomerin Neugierde auf sich zieht, das Rennen macht, gehen die Meinungen auseinander. Die bisherige Geschichte der Bundesratswahlen gibt Amherd, der Vizefraktionspräsidentin, ­einen Insider-Vorteil. 1999 wurde der CVP-Bundesrat Joseph Deiss im sechsten Wahlgang mit einer Stimme mehr und 2008 Ueli ­Maurer (SVP) ebenso knapp gewählt − vermutlich mit seiner ­eigenen Stimme und der sicheren Stimme seines Konkurrenten Hansjörg Walter.

Eine Schlussbemerkung

Sofern die SVP nach dem Rücktritt von Bundesrat Maurer einen gemischtgeschlechtlichen Zweiervorschlag präsentiert, sind in ­Bälde vier Frauen im Bundesrat durchaus denkbar. Nichts Neues für die Schweiz, erinnern Sie sich? Vom 1. November 2010 bis Ende 2011 sassen vier Frauen (Doris Leuthard, Micheline Calmy-Rey, Eveline Widmer-Schlumpf und Simonetta Sommaruga) im Bundesrat.

Bundesratswahlen 2018

Am 5. Dezember wählt die Vereinigte Bundesversammlung die Nachfolger/innen für die zurückgetretenen Bundesräte Johann Schneider-Ammann und Doris Leuthard. Die Wahl verspricht Spannung pur, denn es geht um das wichtigste Amt der Eidgenossenschaft.

Heute Montag beginnt im Bundeshaus die Wintersession. Höhepunkt sind die Bundesratswahlen am 5. Dezember. (Archivbild)
Das Bundeshaus bildet die Kulisse der Bundesratswahlen am 5. Dezember. (Archivbild)
KEYSTONE/PETER SCHNEIDER

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