Ex-Mafiajäger Paolo Bernasconi (75) hofft auf Gesetzesverschärfung
«Fast alle Waffen der Mafia kommen aus der Schweiz»

Das Schicksal der in Neapel von Schüssen getroffenen Noemi gehe auch die Schweiz etwas an, sagt der ehemalige Tessiner Staatsanwalt Paolo Bernasconi. Denn die Schusswaffen der Mafia kämen fast alle von hier.
Publiziert: 13.05.2019 um 00:17 Uhr
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Aktualisiert: 08.04.2021 um 19:53 Uhr
Myrte Müller

Die Bilder von der Piazza Nazionale in Neapel geben Ex-Mafiajäger Paolo Bernasconi (75) zu denken. Dort ballerte ein Mann am Nachmittag des 3. Mai auf dem Trottoir mit einer grosskalibrigen Pistole herum, um einen Rivalen zu töten. Mit sechs Kugeln streckte er sein Opfer nieder, traf aber auch die kleine Noemi (3), die seither um ihr Leben kämpft. Dass sein Mordanschlag von mehreren Überwachungskameras gefilmt wird, schien ihn nicht zu kümmern: So abgebrüht ist die Camorra in Neapel.

«Der Anschlag geht besonders uns Schweizer etwas an», sagt Paolo Bernasconi. Der ehemalige Tessiner Staatsanwalt weiss: «Fast alle Schusswaffen in den Händen der italienischen Mafia kommen aus unserem Land.» Vielleicht auch die Neun-Millimeter-Pistole, deren Geschoss beide Lungen des dreijährigen Mädchens zerfetzte?

Immer wieder plauderten Mafiapaten in Verhören aus, wie leicht es sei, in der Schweiz an Waffen zu kommen. «Unser Land ist für die Mafia der reinste Supermarkt», sagt Bernasconi. Seit 50 Jahren habe er als Jurist mit der Mafia in der Schweiz und in Italien zu tun. «Bereits 1969 wurde bei der Camorra in Neapel ein Arsenal entdeckt mit Waffen, die allesamt aus Lugano stammten», sagt der Ex-Staatsanwalt.

Ex-Mafiajäger und Tessiner Anwalt Paolo Bernasconi zeigt, was man in einem Schweizer Waffenladen alles erwerben kann. Er fordert eine Verschärfung des Schweizer Waffenrechts.
Foto: zVg
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Waffen in PKW und Linienbussen nach Italien geschafft

Pistolen, Revolver oder Sturmgewehre werden zu Hunderten jedes Jahr über die Grenze geschafft. Meist im Kofferraum von Autos oder im Reisegepäck an Bord regulärer Buslinien von der Schweiz nach Süditalien. «In Italien ist es extrem schwer, Schusswaffen zu erhalten», sagt Paolo Bernasconi, «auch in Deutschland und in Österreich ist der Erwerb nicht leicht. In der Schweiz aber sind die Registrierungen beim Waffenkauf lasch. Mafiosi schmieren Schweizer, oder sie kommen als gut integrierte Bürger selber mühelos sogar an halbautomatische Waffen heran.»

Im Juli 2011 werden in einer Garage in Campobasso (I) Dutzende von Maschinengewehren des Typs Kalaschnikow, zudem Gewehre, Pistolen, Schalldämpfer, kugelsichere Westen und Munition gefunden. «Alles aus der Schweiz», stellte die ermittelnde Staatsanwältin später fest.

Als 2014 die Frauenfelder Zelle aufflog (BLICK berichtete), wurde in Kalabrien auch ein Mafioso mit Spitznamen «Zikade» verhaftet. Er brachte Waffen aus der Schweiz ins Land. Seit Dezember 2017 sitzt ein weiterer Waffenhändler der Mafia in Zürich in Abschiebehaft. Im vergangenen Jahr stand in Bellinzona ein 61-Jähriger aus Biel BE unter anderem wegen jahrelangen mafiösen Waffenhandels vor Gericht. Aber auch kriminelle Organisationen aus Frankreich profitieren vom laschen Waffengesetz. Staatsanwalt Brice Robin schätzt, dass 2014 bis 2016 rund 400 Waffen aus der Schweiz nach Marseille (F) und Toulouse (F) geschafft wurden.

«Wir müssen unsere Ordnungshüter schützen»

«Die Fahndungserfolge sind nur die Spitze eines Eisbergs», sagt Paolo Bernasconi. Dieser Meinung ist auch Nicola Gratteri (60). In einem Interview mit «Il caffè» bestätigt Italiens berühmtester Antimafia-Staatsanwalt: «Die Mafia ist in der Schweiz im Drogen-, aber vor allem auch im Waffenhandel aktiv.»

Paolo Bernasconi warnt: «Die Mafia nutzt die Waffen für ihre blutigen Bandenkriege, für Erpressungen, richtet sie aber auch gegen Polizisten und Grenzwächter.» Der Tessiner Anwalt hofft auf die Verschärfung des Schweizer Waffengesetzes, wie sie am kommenden 19. Mai zur Abstimmung steht. «Wir müssen unsere Ordnungshüter schützen», sagt Bernasconi. In den vergangenen Jahrzehnten sei eine sogenannte «vierte Mafia» entstanden.

Die Clans haben sich in der Lombardei und im Piemont angesiedelt, in direkter Nachbarschaft zur Schweiz. Dort seien schon ganze Wirtschaftszweige wie beispielsweise die Baubranche fest in Mafia-Hand. Bernasconi: «Auch in der Schweiz fassen sie zunehmend Fuss. Wir müssen aufpassen und uns wehren!»

Eidgenössische Abstimmungen am 19. Mai 2019

Die Schweiz stimmt im Mai über zwei Vorlagen ab. BLICK erklärt, um was es genau geht.

  • Bundesgesetz über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung
    Die Grundlagen und kniffligsten Fragen verständlich erklärt
  • Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Richtlinie zur Änderung der EU-Waffenrichtlinie
    Das veränderte Waffenrecht in 12 Punkten erklärt.

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Die Schweiz stimmt wieder ab: Erklärungen zu allen Initiativen, aktuelle News und prominente Stimmen zum Thema finden Sie hier.

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