Ernährungs-Initiative kommt
Der Bauernschreck nimmt zweiten Anlauf

Mit der Trinkwasser-Initiative hat Fitnesstrainerin Franziska Herren praktisch im Alleingang die Bauern zum Zittern gebracht. Jetzt will sies ein zweites Mal wissen: Die nötigen Unterschriften für die Ernährungs-Initiative sind zusammen.
Publiziert: 19.07.2024 um 17:12 Uhr
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Aktualisiert: 19.07.2024 um 18:03 Uhr
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Tobias BruggmannRedaktor Politik

Eineinhalb Jahre lang durfte Franziska Herren (57) nicht sitzen. Ein Autounfall 2004 zwang sie dazu. Die Diagnose: Schleudertrauma. «Ich sollte nur stehen und liegen. Das hat mich gelehrt, was ich erreichen kann, wenn ich mich fokussiere und auf ein Ziel konzentriere.» Die Heilung gelang, Herren ist heute schmerzfrei. Jetzt steht sie wieder auf.

Im Sommer 2021 hatte die Schweiz ihre Trinkwasser-Initiative, die die Direktzahlungen für Bauern an ein Pestizidverbot knüpfen wollte, abgelehnt. Es war einer der aggressivsten Abstimmungskämpfe in der Schweizer Geschichte – mit zerstörten Plakaten, Verunglimpfungen, ja sogar Morddrohungen gegen Herren und ihre Familie. Trotzdem nimmt sie nun einen neuen Anlauf.

Mehr Produktion in der Schweiz

Für die Ernährungs-Initiative hat Herren mehr als 100'000 Unterschriften gesammelt, Mitte August wird die Vorlage in Bern eingereicht. Vereinfacht gesagt, fordert die Initiative, dass Schweizer Bauern mehr pflanzliche statt tierische Produkte produzieren. «So kann sich die Schweiz vermehrt selbst versorgen.» Heute sei die Lebensmittelversorgung zu 50 Prozent vom Ausland abhängig und nicht gewährleistet, wenn Importe wegfallen. «Wie schnell das Realität werden kann, zeigen uns Krisensituationen wie Kriege, Pandemien und Klimaextreme.»

Franziska Herren hat eine neue Initiative lanciert.
Foto: Keystone
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Die Initiative will einen Selbstversorgungsgrad von mindestens 70 Prozent anstreben. Durch die Initiative werde auch die Biodiversität als Produktionsgrundlage der Landwirtschaft und die Trinkwasserversorgung sichergestellt – und das Klima geschützt. «Wir müssen handeln, sonst ist unsere Ernährung gefährdet», sagt Herren.

Vor drei Jahren sagte sie noch, sie könne sich eine weitere Initiative nicht vorstellen. Doch jetzt ist sie zurück. Der erneute Abstimmungskampf sieht sie nicht als Belastung. Sie habe viel gelernt und bislang kaum negative Rückmeldungen erhalten. Trockenheit und Starkregen würden auch die Landwirte vor Probleme stellen. «Auch diese Herausforderungen geht die Initiative an.»

Ein Unfall als «Reset»

Herren hat das KV gemacht und arbeitete als Trainerin im eigenen Fitnesscenter. «Der Unfall war ein Reset.» Nur wenig später beginnt ihr politisches Engagement. Zuerst mit einer Initiative, um den lokalen Wald von Wiedlisbach BE zu retten, später für die Abschaltung des AKW Mühleberg – bis zur Trinkwasser-Initiative.

Mittlerweile arbeitet sie fast Vollzeit für die Initiative – finanziell unterstützt von verschiedenen Organisationen. «Als Fitnesstrainerin arbeite ich nur noch zwei Stunden pro Woche für die Stammkunden.» Auch ihre Tochter und ihr Sohn unterstützen sie, wenn sie sich in den nächsten Abstimmungskampf stürzt. «Sie kennen mich ja und wissen, dass die Initiative für ihre Zukunft wichtig ist.»

Herren beschreibt sich selbst als geduldige Person – «aber ich kann doch nicht ruhig sitzenbleiben, wenn unsere Lebensgrundlage gefährdet ist». Das erklärt vielleicht auch, warum sie auch die Ernährungs-Initiative allein startet. Zwar mit einem Verein im Rücken, aber ohne grosse Partei dahinter. Doch sie gibt sich zuversichtlich: «Wir haben eine wirkliche Volksinitiative lanciert. Im nächsten Schritt gehen wir auf die Parteien zu.»

SVP wettert über «Veganer-Initiative»

Einer, der Herren schon beim ersten Abstimmungskampf gegenüberstand, ist der Zürcher SVP-Nationalrat Martin Haab (62), selbst Bauer. «Ich habe die Stimmung an den gemeinsamen Podien nicht schlimmer erlebt als üblich», sagt er. Er hofft auf einen fairen Abstimmungskampf – auch wenn er wiederum intensive Auseinandersetzungen befürchtet. «Die Initiative trägt einen verführerischen Titel, ist aber noch extremer als die letzte Vorlage. Eigentlich sollte man sie Veganer-Initiative nennen.»

Dadurch, dass ein Selbstversorgungsgrad von 70 Prozent erreicht werden soll, müssten alle Schweizer ihren Fleischkonsum «faktisch halbieren», sagt Haab. «Das ist eine unglaubliche Bevormundung.»

Das Kino muss warten

Sie sei keine schlechte Verliererin, sagt Herren zu ihrem erneuten Anlauf. «Die Initiative ist essenziell für eine sichere Ernährung der Schweizer Bevölkerung, dazu gehört auch sauberes Trinkwasser.»

Während der Zeit, als Herren nur stehen und liegen durfte, hätte sie das Kino sehr vermisst, sagt sie rückblickend. Dafür bleibt auch jetzt wenig Zeit. Stattdessen wird sie mit ihrer Initiative erneut Anlass für eine Grundsatzdebatte zur Schweizer Landwirtschaft bieten.

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