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Eklat an Botschafterkonferenz
Maurer erklärt den Rahmenvertrag für tot

Der Bundespräsident betonte vor EDA-Diplomaten, das Abkommen mit Brüssel sei gescheitert. Der Vorfall heizt den Konflikt mit Aussenminister Ignazio Cassis an.
Publiziert: 31.08.2019 um 23:24 Uhr
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Aktualisiert: 02.09.2019 um 14:01 Uhr
Simon Marti und Reza Rafi

Diese Woche waren die Schweizer Diplomaten für einmal nicht über den Erdball verstreut. Sie trafen sich an der jährlichen Botschafter-Konferenz des Aussendepartements (EDA) in Bern.

Die Folge der hochkarätigen Begegnung waren Irritation und Ärger – ausgelöst vom Bundes­präsidenten, der bei dem Anlass traditionsgemäss eine Rede hielt.

Als Ueli Maurer (68) am Mittwoch im Berner Stade de Suisse das Wort ergreift, ist ihm nicht nach diplomatischen Floskeln. Ohne Umschweife kommt er auf das brisanteste Dossier zu sprechen: Vor zweihundert Zuhörern erklärt der SVP-Magistrat das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU für gescheitert. Der Vertrag werde ohnehin nicht unterzeichnet, sagt er sinngemäss, es müsse nach «Alternativen» gesucht werden.

Zwischen Ignazio Cassis und Ueli Maurer harzt es laut EDA-Mitarbeitern.
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Überraschte EDA-Angehörige

Maurer habe das Thema «süffisant» ausgeschlachtet, wie einer der anwesenden Botschafter SonntagsBlick schildert – wohl, um seinem Bundesratskollegen Ignazio Cassis (58) «eins auszuwischen». Mehrere EDA-Mitarbeiter berichten von einem schwelenden Konflikt zwischen dem Finanz- und dem Aussenminister.

Die EDA-Angehörigen waren von Maurers Ansage offenbar überrascht. Der Abschluss des «Insta» mit Brüssel gilt in ihrem Departement als höchstes Ziel, mehrere Taskforces arbeiten unter Hochdruck daran. Ebenso wie EDA-Chef Cassis und sein Staats­sekretär Roberto Balzaretti (54).

Eigentlicher Adressat, so deuten diplomatische Kreise Maurers Äusserungen, sei die Europäische Union – in erster Linie Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (64) und dessen designierte Nachfolgerin Ursula von der Leyen (60). So torpediere der Schweizer Bundespräsident Cassis’ Brüssel-Mission.

Ganz anderer Inhalt des Schreibens

Der Widerspruch von Maurers Rede zu dem Schreiben, das die Landesregierung erst am 7. Juni nach Brüssel geschickt hat, ist laut einem anderen Zuhörer offenkundig. Dort heisst es: «Der Bundesrat will die Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten konsolidieren und weiterentwickeln. Er anerkennt, dass dies auch den Abschluss eines neuen institutionellen Rahmens und die Fortsetzung eines umfassenden und nachhaltigen politischen Dialogs miteinschliesst.»

Zwar sprach der Bundesrat auch kritische Punkte an: den Lohnschutz, die staatlichen Beihilfen und die Unionsbürgerrichtlinie. Grundsätzlich aber erachte man den Entwurf des institutionellen Abkommens «in weiten Teilen als im Interesse der Schweiz».

Unterzeichnet war der Brief von Bundeskanzler Walter Thurnherr (56) – und von Ueli Maurer.

Gesprächsthema Nummer eins

Das Finanzdepartement stellt die Rede vom Mittwoch auf Anfrage etwas anders dar als jene Zuhörer, die mit SonntagsBlick gesprochen haben: «Bundespräsident Ueli Maurer hat in seinen Worten die Haltung des Bundesrats bestätigt. Dass nämlich das institutionelle Rahmenabkommen in der vorliegenden Form nicht mehrheitsfähig ist und dass wir deshalb weiterdiskutieren müssen», so ein Sprecher.

Am Apéro der Botschafter am Mittwochabend auf dem Berner Gurten war Maurers Auftritt Gesprächsthema Nummer eins. Auch einige Aussenpolitiker des Bundesparlaments waren anwesend. «Das Befremden jener Leute aus dem EDA, welche die Rede gehört hatten, war deutlich spürbar», bestätigt die Zürcher CVP-Nationalrätin Kathy Riklin (66).

Hans-Peter Portmann reichts

«Die Verblüffung der Beamten aus dem Aussendepartement war mit Händen zu greifen», meint auch FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann (56, ZH). «Die Rede des Bundespräsidenten ist ein Schuss in den Rücken unserer Mannschaft in Brüssel, die sich seit Monaten um eine Lösung mit der EU bemüht.»

Portmann sieht Maurers Rede als Beweis für Bestrebungen in der Landesregierung, eine Einigung beim Rahmenabkommen zu hintertreiben.

«Es reicht!», sagt er. Die «unheilige Allianz» im Bundesrat zwischen der SVP und der SP, die wegen des Lohnschutzes die Europapolitik blockiert, gefährde die internationale Glaubwürdigkeit der Schweiz. Morgen Montag will Portmann in der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats beantragen, dass sich der Bundesrat zur Maurer-Rede erklären muss.

Nicht zum ersten Mal sorgt Maurer in seinem Präsidialjahr für ­Wirbel. Am 6. Januar forderte er am Rande einer SVP-Veranstaltung Nachverhandlungen zum Rahmenabkommen. Am WEF irritierte er mit Aussagen zum Mord am saudiarabischen Journalisten Jamal Khashoggi. Maurer ist noch weitere vier Monate Bundespräsident.

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