«Ein Verschleissjob»
Petra Gössi rechnet ab

Die scheidende FDP-Präsidentin redet im SonntagsBlick-Interview offen über den privaten Preis ihres Amtes, über Hassmails in der Pandemie – und rechnet mit ihren parteiinternen Kritikern ab.
Publiziert: 18.07.2021 um 00:48 Uhr
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Aktualisiert: 19.07.2021 um 06:42 Uhr
Interview: Simon Marti und Reza Rafi

Frau Gössi, Sie haben die ökologische Wende des Freisinns eingeleitet, treten nun aber zurück. Ist damit die umweltpolitische Erneuerung Ihrer Partei schon wieder vorbei?
Petra Gössi: Die Ziele, die unsere Delegierten definiert haben, bleiben bestehen. Die Frage stellt sich einzig bei den Mitteln, wie wir diese Ziele erreichen.

Da steuert Ihre Partei auf einen Konflikt zu.
Wir wissen, dass das CO2-Gesetz, über das wir abgestimmt haben, nicht der Weg ist, den die Bevölkerung einschlagen will. Einzelne Stimmen in der Partei verlangen, dass sich die FDP künftig wieder auf Finanz- und wirtschaftspolitische Fragen konzentriert. Aber das ist eine kleine Minderheit. Das Schweizer Ziel des Pariser Klimaabkommens bleibt bestehen und die FDP bietet Hand, für die kommenden Generationen eine neue Lösung zu finden.

Aber welche konkreten Vorschläge macht die FDP nun?
Wir werden in einem nächsten Anlauf wohl eine Haltung einnehmen, die weniger Kompromisse zulässt. Die Schwierigkeit ist, dass das Volk einerseits Lenkungsabgaben abgelehnt hat und wir andererseits nicht mithelfen wollen, staatliche Subventionen massiv aufzustocken. Unser Vorteil ist aber, dass nun alle gesehen haben, dass es auch in der Umweltpolitik nur Lösungen gibt, wenn der Freisinn mitmacht.

«Bei mir ist einmal eine frühere Beziehung daran gescheitert»: Petra Gössi über die Bürde des Amtes.
Foto: Thomas Meier
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Wie wollen Sie sich aus diesem Dilemma befreien?
Es wird nicht einfach, aber ich sage Ihnen, der Freisinn wird sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Wir setzen vorerst auf liberale Lösungen wie den Ausbau des Emissionshandelssystems. Und wir wollen, dass alle Unternehmen die Möglichkeit haben, ihre Abgaben zurückzuerhalten, wenn sie ihren CO2-Ausstoss reduzieren. Umweltfragen beschäftigen die Menschen noch immer, und sie werden auch für die Unternehmen immer wichtiger. Wenn wir uns nicht auch um solche Fragestellungen kümmern, laufen wir Gefahr, zu einer Partei zu werden, die sich nur auf einem politischen Thema profiliert – und die Wahlen verliert, wenn dieses Thema gerade keine Konjunktur hat. Vergessen wir nicht: Diese Selbstbeschränkung hat uns die letzten 20 bis 30 Jahre zehn Prozent unseres Wähleranteils gekostet. Eine Volkspartei muss aber Antworten auf die Fragen haben, die die Bevölkerung beschäftigen.

Und warum sollen junge, ökobewusste Städter die FDP wählen und nicht die Grünliberalen?
Alle etablierten Volksparteien, die nicht nur auf Proteststimmen schielen, haben mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Wir stellen zwei Bundesräte und zig Regierungsräte in den Kantonen. Diese Verantwortung kann nur eine Partei wahrnehmen, die mehr zu bieten hat als Schlagworte.

Gerade in den Städten sind Massnahmen wie das Projekt «FDP Urban» gescheitert.
Die Idee der FDP Urban haben wir im Frühling mit neuen Ressourcen wiederbelebt. Dieses Gremium erarbeitet Lösungen für die Städte und soll die FDP in den Ballungszentren wieder stärken.

Das werden wir sehen. Wussten Sie eigentlich, was es alles mit sich bringen würde, als Sie das Präsidium 2016 übernahmen?
Nein. Aber ich erachtete das als Vorteil (lacht).

Was bewog Sie damals zum Amt?
Ich liebe Herausforderungen. Ich wurde von der Findungskommission angefragt. Für mich zählte die Aussicht, nicht als Hinterbänklerin meine Zeit im Nationalrat zu verbringen, sondern möglichst viel gestalten zu können. Und es half, dass mein Arbeitgeber mir die Möglichkeit bot, mein Pensum stark zu reduzieren.

Und, konnten Sie gestalten?
Ja, da gibt es einiges. Etwas, was gegen aussen vielleicht weniger auffällt, aber intern enorm wichtig ist: Dass wir eine starke Frau in den Bundesrat gebracht haben. Das liess die Frauenfrage, die bei der FDP seit Elisabeth Kopp in der Luft lag, über Nacht verschwinden. Wir haben eine Bundesrätin, eine Generalsekretärin und mich an der Parteispitze. Und dass wir das Thema Umwelt wieder aufgenommen und etabliert haben, nachdem mehrere meiner Vorgänger damit gescheitert waren.

Also insgesamt eine positive Bilanz?
Ja. Aber das Corona-Jahr war schwierig. Denn ich bin jemand, die gerne hinaus zu den Leuten geht und die Parteibasis pflegt. Ich finde die Schweiz super.

Jetzt haben Sie schon den Slogan für die kommenden Wahlen.
Man muss das gerne machen. Wenn das einen stresst, ständig mit den unterschiedlichsten Menschen im Austausch zu stehen, wirds schwierig. Es bedeutet auch, dass man ab und zu abends oft erst um elf oder zwölf nach Hause kommt. Wenn jemand daheim wartet, wird es noch schwieriger. Wenn man damit umgehen kann, ist es ein super Amt. Man kommt mit unterschiedlichsten Leuten in Kontakt, man kann etwas bewegen. Aber es ist ein Verschleissjob. Irgendwann kommt der Punkt, an dem du sagst: Jetzt ist es genug, ich möchte noch etwas anderes machen.

Zu allen Entbehrungen standen Sie teils unter heftigem Beschuss in der Öffentlichkeit.
Es gibt einfachere Zeiten, in denen man mit dem Strom schwimmen kann, und Zeiten, in denen man im Gegenwind steht. Diesen Gegenwind muss man aushalten können. Mich hat der Gegenwind oft inspiriert. Kritik darf man nicht persönlich nehmen, man muss wissen, dass das Teil des Spiels ist. Ich habe zum Glück ein privates Umfeld, das die lauten Stimmen in der Presse nicht interessiert, weil es sich ein eigenes Bild macht. Aber das Amt hat seinen Preis. Bei mir ist einmal eine frühere Beziehung daran gescheitert. Man muss damit umgehen können. Ich werde auf der Strasse oft angesprochen, vielfach sind das ganz rührende Momente, selten werde ich auch angepöbelt.

Das scheint sich verschlimmert zu haben. Das Bundeshaus und die Medienkonferenzen des Bundesrats werden heute besser geschützt.
Corona hat unserem Land nicht gutgetan. Verunsicherung, Unzufriedenheit und Emotionen haben sich verstärkt. Vielen fiel die Decke auf den Kopf. Das habe ich extrem gespürt.

Wie haben Sie das gespürt?
Indem ich mehr «böse» E-Mails erhalten habe als sonst. Als exponierte Person kriegt man immer mal ein Mail, das unter der Gürtellinie ist – das gehört dazu. Aber in den letzten Monaten hat das Phänomen massiv zugenommen.

Von welcher Grössenordnung sprechen wir da?
Jetzt, seit den Lockerungen, sind es wieder weniger. Aber es waren über Monate sicher zwanzig Mails pro Tag mit zum Teil äusserst grober Tonalität.

Wie reagieren Sie auf so was?
Ich habe eine Fähigkeit entwickelt: Ich sehe einem Mail sofort an, worum es geht. Ich lösche es dann sofort. Mails mit Drohcharakter habe ich dem Bundessicherheitsdienst weitergeleitet, damit die den Absender auf dem Radar haben. Ich habe auch ein paar Mal unserem Generalsekretariat gesagt: Organisiert ein Foto dieser Person und lasst sie nicht herein. Es gab auch Personen, die ein paar Wochen lang in den schönsten Tönen schrieben, und plötzlich hat es gekehrt. Ich weiss nicht, was in diesen Menschen vorgeht, ich frage mich dann immer: Wie viel braucht es, dass so einer austickt?

Diese Form der Exponiertheit hat ja sicher auch mit dem Internet zugenommen.
Am schwierigsten finde ich die sozialen Medien. Wenn man es richtig macht, braucht es Zeit, wenn man es halbbatzig macht, ist es auch falsch. Das ist nicht meine Welt. Aber das gehört heutzutage halt dazu. Wir haben darum unseren Fraktionsmitgliedern eine Schulung angeboten.

Twitter- und Facebook-Nachhilfe für die FDP-Fraktion?
Für die, die wollten. Schauen Sie doch mal, wie schnell das aufgenommen wird, wenn jemand aus der Session twittert!

Fällt es Ihnen leicht zu schweigen? Wenn Sie zum Beispiel Mutmassungen über Ihre beiden Bundesräte lesen und Sie es eigentlich viel besser wissen?
Das ist Teil des Jobs, aber nicht nur bei den Bundesräten. Bei sehr vielen Artikeln weiss ich nur schon aufgrund des Wordings, wer ihn aufgegleist hat. Manchmal könnte ich diese Personen in die Luft schiessen, vor allem, wenn die Info aus den eigenen Reihen kommt. Das hat auch mit einer Diskussionskultur zu tun. Es freut mich hingegen, dass der Freisinn wieder gelernt hat zu debattieren.

Was man beim Europadossier nicht erkennen konnte …
Aber dort gab es kein abgeschlossenes Geschäft und keine Botschaft, über die wir hätten diskutieren können. Der Bundesrat hat seinen Entscheid auf die lange Bank geschoben. Das hat Raum geschaffen, sodass sich die unterschiedlichsten Gruppierungen formierten. Was ich aber sagen wollte: Zu einer Diskussionskultur gehört, dass man sachlich bleibt und nicht auf die Person schiesst, um sich selber zu profilieren.

Nochmals zu Ihren Bundesräten: Dass sich hier eine Spannung abzeichnet, ist ja real. Ebenso wie das Szenario einer FDP mit nur einem Bundesrat.
Das wissen wir nach den nächsten Wahlen. Mich stört, dass unsere Leute zum Teil dieses Narrativ übernehmen. Dabei ist die SP in der genau gleichen Situation! Wer sagt, dass die SP ihre beiden Bundesräte wird halten können? Statt sich auf die eigenen Stärken zu besinnen, fixieren wir uns auf drohende Verluste. Das ist schädlich.

Aber der Konflikt über den Ökokurs wird bleiben. Ihre Kritiker reden schon vom gescheiterten «Gössi-Freisinn».
Ich bin überzeugt, dass dieser Flügel, den Sie ansprechen, nicht hinstehen und sagen wird, man solle nichts tun. Das glaube ich nicht, wenn ich die Welt betrachte. Natürlich gibt es Verbände mit dieser Haltung. Wenn aber die Mandatsträger nur noch verbandsgesteuert und nicht für die Basis agieren, dann ist das nicht Erfolg versprechend. Am Schluss entscheiden die Delegierten, und das sind dieselben, die den neuen Kurs mitbestimmt haben.

Ihre Kritiker sind verbandsgesteuert?
Ich finde es allgemein schwierig, wenn man als Politiker seinen Lebensunterhalt dank eines Verbandsmandats verdient. Das entspricht nicht dem Sinn des Milizsystems. Erfahrung sollte ausserhalb der Politik gesammelt werden, damit man die gesamte Vielfalt unserer Gesellschaft unabhängig in die Politik tragen kann. Geld verdient man dann nicht in der FDP – die Partei ist nur der Steigbügel.

Hören wir da Kritik heraus?
Meine Kritiker hatten sicher Mühe damit, dass ich unabhängig bin. Als ich Parteipräsidentin wurde, habe ich alle Verbandsmandate abgegeben, während andere beginnen, Ämter zu sammeln. Mir war und ist meine Unabhängigkeit wichtig. Ich hatte in meinem Amt deshalb auch keine Interessenkonflikte.

Nochmals: Sie sagen, Ihre Widersacher politisieren nicht frei?
Nein, das sage ich nicht. Ich sage, dass meine Unabhängigkeit eines meiner höchsten Güter ist. Es gibt Leute, die gut mit Abhängigkeiten umgehen können, andere jedoch tragen nur noch die Meinung ihres Verbandes vor. Aber das gehört zum Milizsystem.

Das Interesse an Ihrer Nachfolge scheint sich dafür in Grenzen zu halten.
Jetzt müssen sich unsere bekannten Köpfe in der Partei auch zur Verfügung und in den Dienst der Partei stellen. Nur zu fordern und die Verantwortung nicht tragen zu wollen, ist keine Leistung.

Was halten Sie von der Möglichkeit eines Co-Präsidiums?
Ich äussere mich weder dafür noch dagegen. Die Diskussion ist spannend, aber es darf nicht darum gehen, die Verantwortung zu teilen. Verantwortung ist am Ende unteilbar.

Da schwingt Skepsis mit.
Es hängt stark von den Persönlichkeiten ab, die zusammenspannen würden. Zum Teil spüre ich bei gewissen Wortmeldungen die Hoffnung heraus, sich hinter einer anderen Person verstecken zu können. Wenn das die Absicht ist, dann wird es nicht funktionieren.

Welche Beweggründe vermuten Sie bei manchen?
Es gibt eine Überlegung, die aus meiner Sicht nicht geht: Es wird nicht möglich sein, beide Flügel in einem Doppelpräsidium zu vereinen. Wie sollen die zwei Personen bei strittigen Fragen entscheiden?

Müsste das Präsidium denn besser entschädigt werden, um es attraktiver zu machen?
Nein. Klar entspricht das Gehalt nicht dem Aufwand, aber die Attraktivität dieses Amtes ist eine andere: Man kann in der ersten Reihe Politik gestalten. Das ist der Reiz – und nicht das Geld.

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