Economiesuisse-Boss Christoph Mäder kämpft gegen 13. AHV-Rente
«Bis 70 arbeiten wäre für mich überhaupt kein Problem»

Der Wirtschaftsverband Economiesuisse bekämpft die 13. AHV mit drei Millionen Franken. Präsident Christoph Mäder will, dass wir alle länger arbeiten.
Publiziert: 04.02.2024 um 00:20 Uhr
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Aktualisiert: 04.02.2024 um 08:20 Uhr
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Peter AeschlimannRedaktor

Herr Mäder, im Sommer werden Sie 65. Ist die Kreuzfahrt schon gebucht?
Christoph Mäder:
(Lacht) Was für eine schreckliche Vorstellung!

Wie lange wollen Sie noch arbeiten?
Bis 70 zu arbeiten wäre für mich überhaupt kein Problem. Mein Wunsch ist es, das Pensum kontinuierlich zu reduzieren.

Sie befürworten die Renten-Initiative, die verlangt, dass wir länger arbeiten – und bekämpfen die 13. AHV. Was haben Sie gegen Rentnerinnen und Rentner?
Überhaupt nichts. Wir haben ein hervorragend aufgestelltes Sozialversicherungssystem, dem wir Sorge tragen müssen. Dazu gehört, dass wir die erste Säule, also die AHV, nicht mit Aufgaben belasten dürfen, die sie gar nicht stemmen kann. Die 13. Rente hätte Mehrkosten von fünf Milliarden Franken pro Jahr zur Folge. Bezahlen müssten das die Jungen. Eine gewaltige, nicht finanzierbare Umverteilung!

Economiesuisse-Präsident Christoph Mäder wird im Sommer 65. Ans Aufhören denkt er noch lange nicht.
Foto: Mattia Coda
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90 Prozent bekämen im Alter mehr ausbezahlt, als sie einbezahlt haben. Die Umverteilung fände von reich zu arm statt.
Das System sieht dieses Solidaritätsprinzip vor, das ist richtig. Was wir jedoch ablehnen, ist eine Giesskannenlösung, die vor allem jenen zugutekäme, die es gar nicht nötig haben.

So ist die AHV nun einmal gebaut: alle profitieren.
Nochmals: Was die Gewerkschaften mit der 13. AHV fordern, führt zu enorm hohen Kosten. Wenn die Gesamtfinanzierung der Sozialversicherungen nicht mehr gesichert ist, geht das auch zulasten jener, die tatsächlich bedürftig sind. Die Lösung mit den Ergänzungsleistungen funktioniert gut. Sie kommt richtigerweise dort zum Tragen, wo Bedarf vorhanden ist.

Economiesuisse investiert drei Millionen Franken in den Abstimmungskampf. Was steht in Ihren Augen auf dem Spiel?
Die Konsequenzen bei einem Ja wären, dass die Mehrwertsteuer oder die Lohnabzüge angehoben werden müssten – oder sogar beides. Mit anderen Worten: Die Kaufkraft aller würde beeinträchtigt. Das halten wir für eine schlechte Idee. Aufgrund der höheren Lebenserwartung und der demografischen Entwicklung haben wir immer mehr Rentner und damit auch höhere AHV-Ausgaben. Mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer zugunsten der AHV aufs neue Jahr haben wir Zeit gewonnen. Packen wir jetzt eine 13. AHV-Rente obendrauf, gerät die AHV noch mehr in Schieflage. Dagegen wehren wir uns.

Zur zweiten AHV-Vorlage, über die wir am 3. März abstimmen, der Renten-Initiative: Kürzlich konnte man im Blick lesen, dass die Altersguillotine mit voller Wucht zurückkehre. Wer älter als 50 ist und seine Stelle verliert, hat wieder mehr Mühe, einen Job zu finden. Und just jetzt wollen Sie, dass die Menschen länger arbeiten?
Von dieser vermeintlichen «Altersguillotine», die mit Getöse niederkrachen soll, spüre ich in der Wirtschaft nichts. Grundsätzlich leben wir heute deutlich länger. Da man die Demografie nicht austricksen kann, kommen wir um eine Debatte über die Verlängerung der Lebensarbeitszeit nicht herum.

Die Pharmabranche baut ab, Banken entlassen Mitarbeitende, die Medien ebenfalls, Kurzarbeit wird wieder zum Thema. Ist der Fachkräftemangel bereits vorbei?
Keineswegs. Wir haben nach wie vor eine sehr tiefe Arbeitslosigkeit. Und im Vergleich zum Ausland haben wir gute wirtschaftliche Aussichten. Die Nachfrage nach Fachkräften bleibt in fast allen Branchen hoch, von einer Trendumkehr kann keine Rede sein. Auch hier spielt die Demografie eine Rolle. Bis 2040 fehlen uns rund 430'000 Arbeitskräfte aufgrund des Babyboomer-Effekts: Die geburtenreichen Jahrgänge kommen jetzt ins Pensionsalter.

Wie lässt sich diese Lücke füllen?
Wir müssen das inländische Arbeitskräftepotenzial besser nutzen. Und die Schweiz wird auch in Zukunft auf Zuwanderung angewiesen sein. Lebensnotwendige Bereiche wie das Spitalwesen kommen ohne sie nicht aus. Wer das in Abrede stellt, verkennt die Realität.

Konkret: Wie viel Zuwanderung benötigen wir?
Eine Zahl kann ich Ihnen nicht nennen. Die sogenannte 10-Millionen-Schweiz ist ein politisches Argument, das der Abschottung dient. Klar ist: Zuwachsraten, wie wir sie in der jüngsten Zeit gesehen haben, darf es nicht mehr geben. Deshalb müssen wir das inländische Potenzial besser ausschöpfen.

Personal fehlt in der Pflege, in der Gastronomie oder in hoch spezialisierten Berufen. Wollen Sie allen Ernstes einen 60-jährigen Buchhalter als Barkeeper weiterbeschäftigen?
Niemand verlangt das. Ich wäre sehr vorsichtig damit, allgemeine Trends von Einzelschicksalen abzuleiten. Erstens gehört es zur wirtschaftlichen Entwicklung dazu, dass sich die Art der Beschäftigung verändert. Zweitens bleibt das lebenslange Lernen essenziell. Wir können uns nicht wie früher darauf verlassen, bis zur Pension im ursprünglich gelernten Beruf tätig zu bleiben. Die Firmen müssen sicherstellen, dass sich ihre Mitarbeitende ständig weiterentwickeln können.

Wie oft haben Sie in Ihrer Karriere die Branche gewechselt?
Ich bin schon lange in der Chemie- und Pharmabranche tätig. Zunächst in einer Pharmafirma, danach in einer Pflanzenschutz- und Saatgutfirma. Das sind zwei Paar Schuhe. Und als Verwaltungsrat bin ich nun zusätzlich in nochmals ganz anderen Bereichen tätig.

Künstliche Intelligenz und Digitalisierung sind Job-Vernichter, richtig?
Sie verändern die Job-Landschaft, keine Frage. Das ist aber immer so, wenn sich neue Technologien durchsetzen. Ich bin überzeugt, dass die Digitalisierung zwar zum Wegfall gewisser Funktionen beiträgt, gleichzeitig entstehen aber neue Berufe, die es vorher so noch gar nicht gegeben hat. Wer wusste vor zehn Jahren, was eine Mediamatikerin ist? Die Digitalisierung verändert die Berufswelt zum Positiven. Wenn im Dienstleistungsbereich automatisiert wird, macht das im ersten Moment vielleicht Angst. In Tat und Wahrheit ist es ein Gewinn.

Für wen zum Beispiel?
Denken Sie zum Beispiel ans Lösen eines Bahntickets mit der SBB-App. Absolut grossartig! Vermisse ich die Person, die mir am Schalter den Kartonschnipsel ausgehändigt hat? Als Konsument sehe ich nur Vorteile in der digitalen Lösung. Sie macht das Leben einfacher.

Ausser für diejenigen am Schalter, die ihren Job verlieren.
Diese Leute kommen woanders unter im Unternehmen, niemand fällt deswegen aus dem Arbeitsprozess. Die Digitalisierung sorgt nicht für weniger Arbeit, sondern für andere Arbeit, im besten Fall interessantere. Und sie kann auch die Zuwanderung beeinflussen.

Inwiefern?
Wir haben heute gewisse Berufe, die im Wesentlichen von Zugewanderten ausgeübt werden. Können wir in diesen Bereichen automatisieren, benötigen wir auch weniger Zuwanderung. Die Digitalisierung steigert die Produktivität, mildert den Fachkräftemangel und entschärft die Zuwanderungsproblematik.

Um Zuwanderung geht es auch im EU-Dossier. Die Zeit drängt, SVP und Gewerkschaften stellen sich quer. Wie wollen Sie das Ruder herumreissen?
Zunächst möchte ich daran erinnern, dass wir momentan über die Erteilung eines Verhandlungsmandats diskutieren. Am Schluss dieses Prozesses haben wir hoffentlich ein Paket, das wir in seiner Gesamtheit beurteilen können. Ich warne davor, eine Schlacht über Ergebnisse zu führen, die uns noch gar nicht bekannt sind. Natürlich versuchen die Gegner eines Abkommens nun, das Terrain zu besetzen, indem sie Schreckensszenarien entwerfen. Dabei geht es doch um eine einfache Frage: Stehen die Vorteile einer Einigung mit der Europäischen Union in einem guten Verhältnis zu den echten Nachteilen, die uns daraus erwachsen? Wir sind der Überzeugung, es bestehen gute Chancen, dass die Vorteile überwiegen werden. Die Schweiz gibt ihre Souveränität und Eigenständigkeit keineswegs auf.

Was passiert konkret, wenn am Ende wieder kein Abkommen dabei herauskommt?
Es wäre fatal, wenn der Bundesrat nicht in die Verhandlungen einsteigen würde. Innenpolitisch und aussenpolitisch bedeutete das einen massiven Gesichtsverlust. Wenn das Verhandlungsergebnis vorliegt, entscheidet, wie das in der Schweiz üblich ist, der Souverän.

Die EU hat grosse Probleme: In Deutschland streiken die Lokomotivführer, auch in Frankreich gehen Bauern auf die Strasse. Da fahren wir doch allein besser, denken sich viele Schweizerinnen und Schweizer.
Wir haben den Weg der Selbständigkeit gewählt, können aber nicht ignorieren, wie eng die Schweiz wirtschaftlich, gesellschaftlich und wissenschaftlich mit dem Ausland verknüpft ist. Wir sind auf Gedeih und Verderb auf ein Mass an Einwanderung angewiesen. Sonst gibt es bei uns keine funktionierenden Spitäler mehr, keine Beizen, in denen etwas auf den Tisch kommt. Tatsache ist: Die EU bleibt mit Abstand unser wichtigster Handelspartner. Wir müssen nicht alles kopieren, was unsere Nachbarn machen. Wir reden über bilaterale Abkommen, die den Zugang zu den Märkten regeln. Es geht nicht darum, die Schweiz auf den Kopf zu stellen.

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