Foto: Valeriano Di Domenico

Diplomat spricht Klartext
«Cassis soll sich nicht persönlich einmischen»

Philippe Welti, der frühere Schweizer Botschafter in Teheran, warnt die Schweiz davor, ihr Vermittler-Mandat zwischen den USA und dem Iran zu überdehnen.
Publiziert: 04.01.2020 um 23:44 Uhr
|
Aktualisiert: 09.01.2020 um 21:02 Uhr
Interview: Tobias Marti

SonntagsBlick: Herr Welti, erleben wir gerade einen Wendepunkt im Nahen Osten?
Philippe Welti: Eher die logische Fortsetzung einer bestehenden Dynamik. Das Ganze ist ja keine Überraschung, sondern die konsequente Weiterentwicklung einer Eskalation. Und die läuft seit dem Rückzug der Amerikaner aus dem Atomvertrag. Die Iraner sind frustriert: Sie haben Konzessionen gemacht, aber den Lohn, die Reintegration in die Weltwirtschaft, gab es nicht.

Warum schlugen die Amerikaner jetzt zu?
Auslöser dürften die Proteste in Bagdad gewesen sein. Die US-Botschaft wurde von Iran-treuen Demonstranten regelrecht gestürmt. Das erinnert die Amerikaner ex­trem an die Szenen von 1979, der Besetzung der US-Botschaft in ­Teheran. Dass die Amerikaner ­damals aus dem Land geworfen wurden, war eine Demütigung, die sie nicht verdaut haben. Jetzt kam das gleiche Bild wieder hoch.

Für das Regime in Teheran kommt die Ermordung Soleimanis einer Kriegserklärung gleich. Stehen wir vor einem Krieg?
Einen totalen konventionellen Krieg halte ich für unwahrscheinlich. Realistischer als nächste Stufe ist Rache, und die kommt jetzt, sie wird asymmetrisch sein. Die Iraner können nur so zurückschlagen, zu einem offenen Krieg gegen die USA sind sie nicht in der Lage. Die Vergeltung wird sich also vorläufig auf den Irak beschränken.

Der Sturm auf die US-Botschaft in Bagdad weckte unschöne Erinnerungen an früher.
Foto: Getty Images
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Wie könnte dieser Angriff aussehen?
Höchstgradig gefährdet sind alle amerikanischen Installationen im Irak, aber auch in Syrien. Dort werden die Iraner angreifen. Sie kalkulieren rational und handeln nicht unüberlegt. Der Angriff auf saudi-arabische Ölanlagen etwa wäre strategisch unvernünftig. Eine ­Katastrophe wäre es, wenn die US-Botschaft in Bagdad angegriffen würde. Daran haben wir ja bereits geschnuppert. Die Regierung des Irak versucht das zu verhindern, ist dazu aber nicht in der Lage.

Die Amerikaner müssten notfalls den Irak verlassen?
Sie schicken jetzt schon ihre zivilen Leute heim und installieren zugleich einen eigenen militärischen Schutz der US-Botschaft. Das ist natürlich eine eklatante Missachtung der irakischen Souveränität, aber nachvollziehbar.

Die Iraner könnten die Strasse von Hormus sperren, eine der wichtigsten Ölverbindungen.
Das hilft nur als Drohung, in der Realität wäre die Sperrung selbstmörderisch. Keiner kann mit Seeminen selektiv etwas sperren, das geht nur ganz oder gar nicht. Die Minen explodieren bei jedem Kontakt. Dann käme auch kein iranisches Schiff mehr raus.

Das Regime könnte sein Atomprogramm weiter hochfahren.
Sie können ihre Kapazität für die Urananreicherung hochfahren, derzeit erreichen sie drei bis fünf Prozent. Für waffentaugliches Uran braucht man aber 90 Prozent. Bis man eine transportfähige Waffe hat, dauert es weit länger als die acht oder zehn Monate, auf die ­Israel immer hinweist.

Apropos: Der Iran könnte den Konflikt mit einem Angriff auf Israel ausweiten.
Das sehe ich weniger als Gefahr, da die Israelis zurückschlagen. Ich halte die Iraner für clever genug, ­Israel nicht offen in den Konflikt hineinzuziehen. Das Land ist ja berechenbar: Sobald es seine Sicherheit ­gefährdet sieht, handelt es sofort.

Hat sich Donald Trump schon den nächsten Schritt überlegt?
Das amerikanische Vorgehen in der Region verdient den Ausdruck Strategie nicht. Der letzte Präsident, der mit Weitsicht gehandelt hat, war Bush senior, der Saddam Hussein damals nicht gestürzt hat, weil er ihn als Bollwerk gegen den Iran brauchte. Das war 1991, seither sehe ich bei den Amerikanern keine wohlüberlegten strategischen Entscheide mehr. Washington reagiert immer häufiger situationsgetrieben.

Was bedeutet die Eskalation für die Schweiz? Immerhin haben wir im Iran ein Schutzmacht-Mandat für die USA.
Wir sind mittendrin und als Par­teienvertreter direkt involviert. Drei Dinge sind dabei wichtig: Die Nachrichten sind inhaltlich unverfälscht weiterzugeben. Zweitens müssen Mitteilungen so schnell wie möglich weitergereicht werden, also innert Minuten. Und drittens muss die Vertraulichkeit vollkommen gewährleistet sein.

Worauf muss die Schweiz ausserdem achten?
Sie darf bei der Mandatserfüllung keine Fehler machen. Das ist eine Herausforderung. Wenn die eine oder andere Seite mehr als Nachrichten übermitteln will, also inhaltlich sondieren, dann müssen unsere Diplomaten auch das organisieren können. Ich sehe derzeit aber keine aktiven Gespräche, die über die Briefträgerrolle hinausgehen.

Raten Sie Ignazio Cassis, die gegenwärtige Krise zur Chefsache zu machen?
Nein. Wenn sich der Aussenminister persönlich einmischen würde, bekäme das auch hierzulande eine politische Dimension. Das wäre eine Überschreitung des Mandats. Da es kein Vermittlungsmandat ist, gibt es in der Öffentlichkeit nichts zu punkten.

Persönlich

Kaum ein Schweizer kennt den Iran besser als Philippe Welti (70). Von 2004 bis 2009 verantwortete er als Botschafter in Teheran die Schweizer Iran-­Diplomatie. Aktuell amtet er als Präsident der Wirtschaftskammer Schweiz-Iran. Welti ist mit Myrtha Welti verheiratet, der früheren SVP-Generalsekretärin und späteren Generalsekretärin der Bergier-Kommission. Die beiden haben drei Kinder, darunter die Sängerin Sophie Hunger.

Kaum ein Schweizer kennt den Iran besser als Philippe Welti (70). Von 2004 bis 2009 verantwortete er als Botschafter in Teheran die Schweizer Iran-­Diplomatie. Aktuell amtet er als Präsident der Wirtschaftskammer Schweiz-Iran. Welti ist mit Myrtha Welti verheiratet, der früheren SVP-Generalsekretärin und späteren Generalsekretärin der Bergier-Kommission. Die beiden haben drei Kinder, darunter die Sängerin Sophie Hunger.

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Was tut die Schweiz?

Die Schweiz als Briefträgerin. Die Rolle Berns im Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran beschränkt sich auf Botendienste, erklärt der ehemalige Teheran-Botschafter Philippe Welti (70) im Interview mit SonntagsBlick. Mehr, etwa eine aktive Vermittlerrolle, gebe das seit 1980 bestehende Schutzmachtmandat nicht her.

Das Aussendepartement rief nach der Tötung des iranischen Generals Qassem Soleimani (†62) in der Nacht auf Freitag dazu auf, jegliche Eskalation zu vermeiden. Der Appell der Schweiz richte sich an beide Seiten, erklärte das EDA der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Das iranische Aussenministerium seinerseits hat den Schweizer Geschäftsträger einbestellt und ihm erklärt, die USA sei «für die Folgen der Tat voll verantwortlich».

Auch wenn Ex-Botschafter Welti nicht mit einem ­militärischen Flächenbrand rechnet, macht sich in der Schweiz Sorge breit. Das zeigt sich auch am Interesse der Leser an Onlinenachrichten auf Blick.ch und an vielen besorgten Kommentaren dort. Tatsächlich ist das iranische Regime für sein unzimperliches Vorgehen bekannt.

So geht es unter anderem aus dem Jahresbericht des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) von 2019 hervor. Dort heisst es: «Regionalmächte wie die Türkei oder Iran verfolgen Regimegegner auch auf europäischem Territorium und schrecken nicht vor Entführungen beziehungsweise im Fall Irans Anschlagsversuchen zurück.» Ob sich die Gefahr aufgrund der jüngsten Entwicklungen auch hierzulande verschärft – diese Frage lässt man beim Nachrichtendienst unbeantwortet.

Die Schweiz als Briefträgerin. Die Rolle Berns im Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran beschränkt sich auf Botendienste, erklärt der ehemalige Teheran-Botschafter Philippe Welti (70) im Interview mit SonntagsBlick. Mehr, etwa eine aktive Vermittlerrolle, gebe das seit 1980 bestehende Schutzmachtmandat nicht her.

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Das iranische Aussenministerium seinerseits hat den Schweizer Geschäftsträger einbestellt und ihm erklärt, die USA sei «für die Folgen der Tat voll verantwortlich».

Auch wenn Ex-Botschafter Welti nicht mit einem ­militärischen Flächenbrand rechnet, macht sich in der Schweiz Sorge breit. Das zeigt sich auch am Interesse der Leser an Onlinenachrichten auf Blick.ch und an vielen besorgten Kommentaren dort. Tatsächlich ist das iranische Regime für sein unzimperliches Vorgehen bekannt.

So geht es unter anderem aus dem Jahresbericht des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) von 2019 hervor. Dort heisst es: «Regionalmächte wie die Türkei oder Iran verfolgen Regimegegner auch auf europäischem Territorium und schrecken nicht vor Entführungen beziehungsweise im Fall Irans Anschlagsversuchen zurück.» Ob sich die Gefahr aufgrund der jüngsten Entwicklungen auch hierzulande verschärft – diese Frage lässt man beim Nachrichtendienst unbeantwortet.

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