Die wichtigsten Antworten zum Gerichtsurteil
Haben Eritreer nun keine Chance mehr auf Asyl?

Das Bundesverwaltungsgericht zieht die Schraube für Eritreer weiter an. Was bedeutet das für die Asylpraxis des Bundes? BLICK beantwortet die wichtigsten Fragen.
Publiziert: 12.07.2018 um 18:54 Uhr
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Aktualisiert: 18.09.2018 um 09:43 Uhr
Müssen jetzt mehr Eritreer die Koffer packen?
Foto: manuel geisser
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Ruedi Studer

Das Bundesverwaltungsgericht zieht die Schraube für abgewiesene Asylsuchende aus Eritrea weiter an. Allein die Möglichkeit, bei einer Rückkehr in die Heimat in den Nationaldienst eingezogen zu werden, steht neu einer Wegweisung nicht entgegen (BLICK berichtete).

Doch was bedeutet dieser Entscheid nun für die aktuelle Asylpraxis? BLICK hat bei den zuständigen Stellen nachgefragt und beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was bedeutet das Urteil für die Asylpraxis?

«Mit dem heutigen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ändert sich nichts an der Wegweisungspraxis des SEM», sagt Martin Reichlin vom Staatssekretariat für Migration (SEM). Im Sommer 2016 hat das SEM die Praxis bereits verschärft. Es sieht sich mit dem neuen Urteil in seiner Einschätzung bestätigt. Reichlin betont aber: «Das SEM überprüft in jedem Einzelfall sorgfältig, ob der Vollzug einer Wegweisung im Kontext der individuellen Verhältnisse zulässig, zumutbar und möglich ist.»

Wie viele Eritreer sind potenziell betroffen?

Potenziell betroffen sind rund 3200 Eritreer, die heute über eine vorläufige Aufnahme ohne Flüchtlingsstatus verfügen. 200 davon werden seit letztem Februar in einem Pilotprojekt speziell überprüft. Resultate dazu liegen aber noch keine vor. Eine Auswertung erfolgt diesen Sommer. Das SEM wird zudem das neue Urteil bei der Überprüfung berücksichtigen. Doch auch hier gilt: Jeder Fall wird individuell geprüft und beurteilt. 

Werden abgewiesene Eritreer überhaupt in ihre Heimat zurückgeführt?

Die Schweiz kann derzeit keine zwangsweisen Rückschaffungen nach Eritrea durchführen, weil das Land keine geflüchteten Staatsangehörige aufnimmt. Es besteht auch kein Rückübernahmeabkommen. «Damit ist nur eine freiwillige Rückkehr möglich», sagt Reichlin. «2017 waren die Kantone in rund 530 neuen Fällen bereit, eine Wegweisung von Eritreern aus der Schweiz zu vollziehen», so Reichlin. «Effektiv kehrten letztes Jahr 31 Personen freiwillig nach Eritrea zurück und 142 Personen wurden in Dublin-Staaten überstellt.» Mehrere Hundert seien zudem unkontrolliert abgereist – der neue Aufenthaltsort ist damit unbekannt. Weggewiesene, die in der Schweiz bleiben und nicht zurückgeschafft werden können, haben nur noch Nothilfe zugute.

Was ist mit Deserteuren und Dienstverweigerern – werden diese immer noch als Flüchtlinge anerkannt?

«Ja», sagt Reichlin. Allerdings reichen Dienstverweigerung und Desertion für sich alleine nicht als Asylgrund aus, wie das Asylgesetz explizit festhält. Droht einer betroffenen Person aber wegen ihrer Rasse, Religion oder Staatszugehörigkeit oder ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung eine unverhältnismässig strenge Bestrafung, wird dies berücksichtigt. «Im Falle Eritreas droht Deserteuren und Dienstverweigerern eine unmenschliche Bestrafung aus politischen Gründen, insbesondere wegen staatsfeindlicher beziehungsweise oppositioneller Haltung», erklärt Reichlin.

Der eritreische Nationaldienst ist umstritten. Immer wieder hört man Berichte von Misshandlungen und sexuellen Übergriffen. Nimmt das SEM dies in Kauf, wenn es Menschen nach Eritrea wegweist und diese dann in den Nationaldienst einberufen werden?

«Gemäss Urteil des Bundesverwaltungsgerichts gibt es keine Anhaltspunkte für systematische Misshandlungen oder sexuelle Übergriffe im Nationaldienst», sagt Reichlin dazu. Man überprüfe aber jeden Fall sorgfältig. «Wenn ein abgewiesener Asylsuchender ein konkretes Risiko für eine Misshandlung oder einen Übergriff im Falle der Rückkehr glaubhaft machen kann, ist die Wegweisung nicht zulässig.»

Und was sagt die Flüchtlingshilfe zum neuen Urteil?

Die Schweizerische Flüchtlingshilfe kritisiert den Entscheid scharf. «Das Bundesverwaltungsgericht heisst den Wegweisungsvollzug eines eritreischen Asylsuchenden in seine Heimat gut, obwohl es davon ausgeht, dass ihm dort verbotene Zwangsarbeit droht», schreibt die Organisation in einer Mitteilung. Das Gericht nehme damit bewusst das Risiko von Misshandlungen der Betroffenen in Kauf. «Dem Schutzgedanken des Asylrechts wird damit nicht ausreichend Rechnung getragen.» Die Schweiz gehe mit dieser «ungerechtfertigten Praxisverschärfung» weiter als alle anderen europäischen Länder. Das sei aus einer menschenrechtlichen Perspektive äusserst bedenklich, kritisiert die Flüchtlingshilfe.

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