Leuthard nach Ausstiegs-Nein
So gehts mit der Energiewende weiter

Heute gilt es für die Atomausstiegs-Initiative ernst. Schlägt das Stimmvolk ein rasches Ausstiegstempo an? Oder will es doch noch länger zuwarten? BLICK berichtet live.
Publiziert: 27.11.2016 um 08:55 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 19:56 Uhr
Live-Ticker: Christof Vuille

Heute entscheidet das Stimmvolk über das Marschtempo beim Atomausstieg. Die Grünen wollen mit ihrer Atomausstiegs-Initiative bis 2029 dem letzten Schweizer AKW den Stecker ziehen. CVP-Energieministerin Doris Leuthard möchte es mit ihrer Energiestrategie 2050 etwas langsamer angehen. Und die SVP will von einem Atomausstieg gar nichts wissen – und hat gegen die Energiestrategie das Referendum ergriffen.

Mit dem heutigen Entscheid gibt das Stimmvolk nicht nur das Marschtempo, sondern auch die Marschrichtung vor. BLICK erklärt die Abstimmungsszenarien und ihre Folgen:

Das Überraschungsresultat: Volk und Stände sagen Ja

Sagen Volk und Stände Ja zu Initiative, wäre das ein grüner Überraschungscoup! Dann muss nämlich im Jahr 2029 das letzte AKW vom Netz. Allerdings würde den drei kleineren AKW Beznau I und II sowie Mühleberg bereits 2017 der Stecker gezogen (falls man sich im Parlament nicht noch auf andere Fristen einigt).

In diesem Fall wäre die Schweiz vorübergehend auf zusätzliche Stromimporte aus den benachbarten Ausland angewiesen. Doch das Ja zur Initiative wäre ein klarer Auftrag an die Politik, den Ausbau der erneuerbaren Energien kompromisslos zu forcieren und dafür auch massiv mehr Geld bereit zu stellen. Möglichkeiten wären jedenfalls genügend vorhanden: Derzeit stehen nämlich rund 40'000 Projekte auf der sogenannten KEV-Warteliste, welche auf Fördergelder durch die kostendeckende Einspeisevergütung hoffen.

Das Parlament müsste bei einem Ja auch bei der Energiestrategie nochmals über die Bücher und einen Zacken zulegen. Eine Herausforderung, die aber zu meistern wäre. Und für die SVP wäre ein Ja der klare Auftrag, die laufende Unterschriftensammlung für das Energiestrategie-2050-Referendum per sofort einzustellen.

Das Standardresultat: Volk und Stände sagen Nein

Anti-Atom-Initiativen konnten in den letzten Jahrzehnten zwar einige Achtungserfolge einheimsen und 1990 wurde sogar das AKW-Moratorium gutgeheissen. Doch bei der letzten nationalen Atom-Abstimmung 2003 holten sich die AKW-Gegner mit zwei deutlichen Niederlagen gleich zwei blaue Augen.

Die bisherigen Umfragen zeigen zwar ein diffuses Bild, doch Initiativen haben es immer schwer, eine Mehrheit auf sich zu vereinigen.

In diesem Fall kommt hinzu, dass die Allianz der Initiativ-Gegner zwei unterschiedliche Lager vereinigt: Jene, welche einen Atomausstieg grundsätzlich verhindern wollen (insbesondere SVP und Teile der FDP), sowie jene, welche den Ausstieg zwar befürworten, aber dafür mehr Zeit einräumen wollen (insbesondere CVP und BDP).

Ein Nein von Volk und Ständen ist damit das zu erwartende Standardresultat.

Dessen Folgen hängen davon ab, wie stark oder knapp das Nein ausfällt. Gibt es ein knappes Resultat, ist das ein deutlicher Fingerzeig für die Energiestrategie 2050 von Doris Leuthard – denn links-grüne Ausstiegs-Fundis und Mitte-Ausstiegs-Pragmatiker würden für diese Kompromiss-Vorlage eine Mehrheit bilden. Und auch dieser Fall wäre ein Wink mit dem Zaunpfahl für die SVP, ihr Referendum einstampfen.

Gibt es aber ein deutliches Nein, erhält die SVP unerwartet Schub für ihr Referendum. Dann ist die Energiezukunft der Schweiz plötzlich wieder offen und würde erst mit der Referendumsabstimmung – wohl 2017 – entschieden.

Das Sowohl-als-auch-Resultat: Volk und Stände widersprechen sich

Es kommt selten vor, aber es kommt vor! Volk und Stände widersprechen sich – und die Vorlage geht damit bachab.

Letztmals 2016: Damals scheiterte die Heiratsstrafe-Initiative der CVP mit 51 Prozent Volks-Nein knapp, obwohl sie 16,5 Standesstimmen auf sich zu vereinigte. Insgesamt viermal machte das Volk den Ständen bisher einen Strich durch die Rechnung. Etwas öfter – bisher neunmal – kam es umgekehrt, und die Stände gingen als lachende Sieger über die Volksmehrheit hervor. Letztmals 2013, als der neue Familien-Artikel in der Bundesverfassung trotz 54 Prozent Volks-Ja am knappen Ständemehr (13 zu 12 Stimmen) scheiterte.

Ein solches Szenario ist auch bei der Atomausstiegs-Initiative nicht ausgeschlossen. Wenn, dann eher mit einem Volks-Ja (aufgrund der Frauen) und einem Stände-Nein (wegen der Deutschschweizer Kantone).

Auch hier wäre die Interpretation klar: Rückendeckung für die Energiestrategie 2050 als freundeidgenössischer Kompromiss. Verbunden aber mit dem Anspruch, doch noch etwas – und sei es nur ein bisschen – schneller vorwärts zu machen. Zum Beispiel mit einer zusätzlichen Erhöhung der KEV-Fördergelder. Und auch hier mit dem Auftrag an die SVP: Referendum kübeln. (Ruedi Studer)

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