«Nördlich Lägern hat die grössten Sicherheitsreserven»
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Nagra-CEO Matthias Braun:«Nördlich Lägern hat die grössten Sicherheitsreserven»

Atom-Müll soll ins Zürcher Unterland
Im Notfall würden 22 Grundeigentümer enteignet

Nach jahrzehntelanger Suche ist klar: Das Tiefenlager für das radioaktive Material aus den Schweizer AKW soll im Untergrund der Kantone Zürich und Aargau gelagert werden. Verpackt werden soll der Atommüll in Würenlingen AG. Ein politischer Entscheid sei das nicht.
Publiziert: 12.09.2022 um 08:35 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2022 um 10:48 Uhr
Sermîn Faki und Sophie Reinhardt

Nördlich Lägern: Dieser Name dürfte bisher nur wenigen etwas gesagt haben. Das hat sich am Wochenende geändert – denn auf den 65 Quadratkilometern dieses Gebiets in den Kantonen Zürich und Aargau soll in 900 Metern Tiefe künftig der Schweizer Atommüll gelagert werden.

Der Eingang zum Tiefenlager soll in der Gemeinde Stadel ZH auf dem Gebiet Haberstal gebaut werden. Vom Anlagenbau dort sind 18 Grundeigentümer sind betroffen. Wenn sie das Land nicht verkaufen, werden sie notfalls enteignet.

Deutschland fordert Entschädigung

Entschädigungen könnten all jene enthalten, deren Land wegen des Endlagers an Wert verliert. Und die beiden Standortregionen sollen zudem Abgeltungen erhalten. Wie hoch diese ausfallen, ist noch unklar. Das Geld sollen aber nicht einzelne Gemeinden erhalten, sondern die Region als Ganzes. Auch der grenznahe deutsche Landkreis Waldshut fordert, daran beteiligt zu werden.

«Die Geologie hat gesprochen», begründet Matthias Braun, CEO der Nagra, den Entscheid für Nördlich Lägern.
Foto: keystone-sda.ch
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Zwei Standortregionen? Ja. Verpackt werden soll der Atommüll nämlich im Kanton Aargau. Genau: Im heutigen Zwischenlager Würenlingen – wo man bereits Erfahrungen habe und wo nur ein Ausbau nötig sei. Auch hier müssen vier Eigentümer Land abgeben.

Droht erneute Kehrtwende?

Bis Endlager und Verpackungsanlage stehen, dürfte es noch 30 Jahre dauern. Zunächst arbeitet die Nagra ein Rahmenbewilligungsgesuch aus, das die Sicherheitsbehörden prüfen müssen. Etwa 2029 entscheidet dann der Bundesrat über die Bewilligung, später auch das Parlament. Gegen diese Bewilligung kann das Referendum ergriffen werden, was sicherlich passiert.

Der definitive Standortentscheid erfolgt daher nicht vor 2031. Optimistische Experten rechnen damit, dass die Abfälle voraussichtlich ab 2050 im Tiefenlager deponiert werden.

Theoretisch ist übrigens möglich, dass Nördlich Lägern doch noch davonkommt. Denn mit der Rahmenbewilligung wird die Aufsichtsbehörde Ensi auch Eignungskriterien festlegen. Dass diese erfüllt werden, muss die Nagra mit einem Felslabor am Standort beweisen. Wenn das nicht gelingt, wird dort kein Tiefenlager gebaut.

«Das Gestein heilt sich selbst»

Doch davon geht heute niemand aus. Es sei ein eindeutiger Entscheid gewesen, sagte Matthias Braun (53), CEO der Genossenschaft für die Entsorgung radioaktiver Abfälle (Nagra), – und er sei allein aus geologischen Gründen gefällt worden. Opalinuston – jenes Gestein, in dem der Atommüll verklappt werden soll – komme zwar an allen drei Standorten vor.

Doch in Nördlich Lägern sei diese Schicht besonders geeignet: Sie sei besonders gut, besonders gross und mit besonders grosser Distanz zu wasserführenden Schichten. «Das Gestein ist dicht, bindet radioaktive Materialien und heilt sich, wenn es doch einmal einen Riss geben sollte, von selbst», so Braun.

«Kein politischer Entscheid»

Der Entscheid für Nördlich Lägern ist insofern überraschend, weil der Standort schon mal abgeschrieben war. 2015 wollte die Nagra die Region nicht weiter untersuchen, sondern sich auf das Zürcher Weinland und Jura Ost konzentrieren. Begründung damals: Im optimalen Tiefenbereich von 600 bis 700 Metern sei das Platzangebot für den Lagerbau zu klein. Ein Lager in grösserer Tiefe wäre zwar gut vor Erosion geschützt, doch bautechnisch habe der Ort klare Nachteile.

Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) und die Kantone wollten das so nicht hinnehmen: Die möglichen bautechnischen Nachteile seien nicht ausreichend mit Daten untermauert, kritisierten sie. Und tatsächlich: Als die Nagra alle drei Gebiete nochmals ausführlich untersuchte, «zeigte sich, dass das Gestein in Nördlich Lägern stabiler ist als gedacht», so Nagra-Chef Braun. «Da hatten wir aus heutiger Sicht zu vorsichtig entschieden.»

Die Gegner eines Tiefenlagers in Nördlich Lägern sind davon nicht überzeugt und sprechen von einem politischen Entscheid: Die Region sei ausgewählt worden, weil dort der Widerstand am geringsten sei. Dem widersprach nicht nur der Nagra-Chef, sondern auch der Zürcher Regierungsrat Martin Neukom (36): «Ich bin definitiv der Meinung, dass dies kein politischer Entscheid ist.» Seine Fachleute seien schon im Frühsommer zum Schluss gekommen, dass Nördlich Lägern am besten geeignet sei.

MK Nagra 12.9.22


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