Die Nachfolge von Leuthard und Schneider-Ammann wird zum Richtungsstreit
Poker um die Macht

Die Bundesratswahlen am 5. Dezember werden zur Weichenstellung. Die Linke will den Rechtsruck in der Regierung rückgängig machen.
Publiziert: 30.09.2018 um 01:51 Uhr
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Aktualisiert: 09.10.2018 um 11:06 Uhr
Simon Marti und Marcel Odermatt

Zwei Rücktritts-Ankündigungen in einer Woche elektrisieren den politischen Betrieb in Bern: Über die Zukunft von Doris Leuthard (55, CVP) und Johann Schneider-Ammann (66, FDP) war bereits ungewöhnlich lang spekuliert worden – doch dass sie ihre Sessel nun zeitgleich auf Ende Jahr räumen wollen, überraschte Politiker und Beobachter gleichermassen, nicht zuletzt die fünf verbleibenden Bundesräte.

Die Doppelvakanz hat einen politischen Richtungsstreit ausgelöst. Die Debatten drehen sich um die Frage, ob sich der Bundesrat in seiner künftigen Zusammensetzung in Richtung Zentrum bewegt – oder ob die Rechte bei den Wahlen vom 5. Dezember ihre Macht zementiert. Klar ist: Die Schweiz steht vor einer bedeutenden politischen Weichenstellung. Auch als sich gestern Samstag die Delegierten der Sozialdemokraten in Olten SO versammelten, ging es bei den meisten Gesprächen um die Zukunft des Bundesrats. Die Genossinnen und Genossen waren sich einig – es müsse zwei weibliche Kandidaten geben.

Die Hoffnungen der Linken

Ein einflussreiches Mitglied der Bundesversammlung glaubt, dass es der Partei gelingen müsse, ein Paket zu schnüren: «Karin Keller-Sutter für die FDP, Viola Amherd für die CVP, damit könnten wir leben!» Das Votum kommt nicht von ungefähr, Amherd politisiert am linken Flügel der CVP und war in ihren 13 Jahren als Parlamentarierin stets eine verlässliche Partnerin des Mitte-links-Lagers. Ein Fraktionskollege betont, die SP müsse Keller-Sutter, sollte sie wie erwartet antreten, früh unterstützen: «So kann die Partei vielleicht von ihrer Wahl profitieren.»

Doris Leuthard und Johann Schneider-Ammann verlassen Ende Jahr den Bundesrat.
Foto: KEYSTONE
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Jeder im Vergleich zu Amherd deutlich rechtere CVP-Bundesratskandidat hingegen würde von den Genossen als Debakel betrachtet – die beiden SP-Vertreter in der Landesregierung wären damit vollends isoliert. Die letzte Bundesratswahl, bei der die Sozialdemokraten keine Rolle spielten, steckt der Partei noch in den Knochen

Erinnerungen an die Ära Blocher/Merz

Doch die Ängste und Hoffnungen der Linken gehen weitaus tiefer. Sie kreisen um die grossen Kämpfe zu Beginn der Nullerjahre, ihre grösste Niederlage und den grossen Triumph der SVP. Denn Richtungswahlen gab es in der jüngsten Vergangenheit mehr als genug: Am 10. Dezember 2003 gelang Christoph Blocher (77), unumstrittenem Chef der SVP, die Wahl in den Bundesrat. Mit dem freisinnigen Hans-Rudolf Merz (75) verlagerte sich das Gewicht in der Landesregierung schon damals weit nach rechts. Die folgende Legislatur war für die Linke verloren.

Dann aber holte Mitte-links zum Gegenschlag aus. Nach nur einer Legislatur löste eine Mehrheit der Vereinigten Bundesversammlung Blocher ab und ersetzte ihn durch die Bündner Regierungsrätin Eveline Widmer-Schlumpf (62). Tief gekränkt trat Blocher den Rückzug an, seine Partei verstiess Widmer-Schlumpf und Samuel Schmid (71) – von diesem Augenblick an war sie nicht länger im Bundesrat vertreten. 2015 gelang es der SVP mit der Wahl von Guy Parmelin (58), wieder zwei Bundesräte zu stellen. Doch es war erst der Abgang des welschen Freisinnigen Didier Burkhalter (58), der im Oktober 2017 den Weg für ein neuerliches rechtsbürgerliches Powerplay frei machte.

Wer setzt sich als Königsmacher durch?

Bei den nun anstehenden Wahlen gibt es daher für die SP-Strategen nur ein Ziel: Der mit der Wahl von FDP-Mann Ignazio Cassis manifestierte Rechtsrutsch im Siebnergremium soll eingedämmt, die rechtsbürgerliche Viererkette nach Möglichkeit aufgeweicht werden.

Gegenwärtig prägen Absprachen zwischen SVP- und FDP-Bundesräten die Politik der Landesregierung. Dazu CVP-Parteichef Gerhard Pfister (55): «Heute erleben wir es immer wieder, dass im Bundesrat mit Mehrheiten entschieden wird, statt dass man versucht, konsensual eine Lösung zu finden, hinter die sich der ganze Bundesrat stellen kann.» Vielleicht, so Pfister, ergebe sich bei den Ersatzwahlen im Dezember eine Chance «diese Gemengelage wieder etwas aufzubrechen».

Rechts der Mitte will man genau das verhindern. SVP-Präsident Albert Rösti (51) lässt da keinen Zweifel: «Mit der Wahl von Ignazio Cassis ist es gelungen, den Wählerwillen im Bundesrat besser abzubilden. Dies gilt es zu verteidigen.» Die SVP werde ihre Stimmen nur Kandidaten geben, «die sich klipp und klar für die Souveränität unseres Landes einsetzen».

Keller-Sutter als Favoritin für den FDP-Sitz

Aber bislang hat sich noch niemand aus der Deckung gewagt, offizielle Kandidaturen sind nicht bekannt geworden. Und zwar aus gutem Grund: Politiker, die sich bei Entscheidungen wie dieser in den Vordergrund drängen, sind meist nicht diejenigen, die am Ende das Rennen machen.
Während das Kandidatenfeld der CVP noch ziemlich offen wirkt, hat sich beim Freisinn bereits eine Favoritin herausgeschält: Die St. Galler Ständeratspräsidentin Karin Keller-Sutter (54).

Die allseits als kompetent gelobte ehemalige Regierungsrätin könnte damit just jenen Sitz erben, bei dessen Besetzung sie vor acht Jahren gegen Schneider-Ammann verlor. Keller-Sutter wird zugetraut, dass sie im Bundesrat rasch eine Führungsrolle übernehmen, auf bürgerlicher Seite sogar den Takt angeben könnte. Umso sinnvoller erscheint es für die SP, sich zügig auf ihre Seite zu schlagen. Die Genossen bräuchten dazu lediglich ein Manöver der SVP zu kopieren: Vor Jahresfrist setzte die Rechtspartei voll auf Ignazio Cassis – er hat nicht vergessen, wer ihm die Stimmen gab.

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