Der Genfer Regierungsrat Pierre Maudet (39) über sein politisches Double Emmanuel Macron
«Er verhält sich ungeschickt»

Maudet ähnelt Macron: jung, pragmatisch und hart beim Thema Sicherheit. Doch für dessen Wahlkampf kritisiert der Genfer Regierungsrat den französischen Präsidentschafts-Kandidaten.
Publiziert: 01.05.2017 um 15:24 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 05:25 Uhr
Interview: Benno Tuchschmied

Herr Maudet, Sie sind umgeben von Le-Pen-Wählern.
Pierre Maudet: Das stimmt nicht ganz. In der direkten Umgebung von Genf stimmten die Bürger zwar konservativ, aber nicht für Le Pen. Je weiter weg die Gemeinden von Genf liegen, desto stärker ist der Front National. Es gibt im Département Ain viele kleine Städte, in denen eine grosse Zahl von Zuwanderern nordafrikanischer Herkunft lebt. Migration ist dort das grosse politische Thema. Und im anderen grossen Nachbarsdépartement Haute-Savoie leben leider auch viele radikalisierte Islamisten. Das macht den Menschen Angst.

Wie erklären Sie sich, dass Franzosen, die direkt neben der Schweiz leben, gegen ­Marine Le Pen stimmen?
Wem es gut geht, stimmt nicht rechtsextrem. Die Grenzgänger sind zufrieden mit den bilateralen Verträgen. Sie wissen auch, wenn Marine Le Pen gewählt wird, haben wir sofort ein Problem mit der Frankenstärke. Die Franzosen haben dann zwar kurzfristig mehr Kaufkraft, dafür schadet es der Genfer Wirtschaft, für die sie arbeiten. Die Menschen verstehen diese Zusammenhänge.

Gibt es auch Anti-Schweiz-Tendenzen? Wegen des Booms in der Schweiz steigen in Frankreich die Mietkosten.
Aber was wäre die Alternative? Eine wirtschaftliche Situation wie im Norden Frankreichs? Klar, der Wohnungsmarkt wird vom Boom am Genfersee beeinflusst, aber alle wissen, dass die ökonomische Situation in der Grenzregion ohne die Schweiz schlecht wäre. Es gibt keinen Hass gegen die Schweiz. Im Gegenteil. Sogar Le Pen mag die Schweiz.

Der Genfer Sicherheitsdirektor Pierre Maudet glaubt, der Ausnahmezustand überfordere die französische Polizei.
Foto: Eddy Mottaz
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Sie dagegen kritisieren Frankreich und plädieren für stärkere Grenzkontrollen.
Das war vor allem eine Reaktion auf französische Massnahmen. Die Franzosen hatten selbst verschärfte Kontrollen angekündigt. Es blieb bei der Ankündigung. Ich sehe nicht mehr französische Polizisten oder Zöllner an der Grenze. Wir können nicht alle an der Grenze kontrollieren. Das wäre ein ökonomisches Problem. Die Frage für uns ist eher, wie wir Tag für Tag im Bereich des Nachrichtendienstes zusammenarbeiten.

Wie meinen Sie das?
Das neue Nachrichtendienstgesetz ist noch nicht in Kraft – der NDB (Nachrichtendienst des Bundes; Anm. der Red.) ist personell nicht üppig ausgerüstet. Es wäre aber wichtig, die Fülle an Informationen, die wir von den französischen Sicherheitsbehörden erhalten, genau zu prüfen. Wir müssen sicher sein, dass die Nachrichten korrekt sind.

Das sind sie nicht?
Wenn ein Polizeikorps derart erschöpft ist wie das französische, dann nehmen auch die Fehler zu. In Frankreich herrscht seit 18 Monaten Ausnahmezustand. Das ist eine enorme Belastung für die Polizisten. Und damit stellt sich auch die Frage: Haben wir alle gefährlichen Elemente wirklich auf dem Radar?

Zumindest den Schweizer Imam Hani Ramadan hatten die Franzosen auf dem Radar – und schoben ihn ab.
Die Franzosen haben Hani Ramadan ausgewiesen, weil sie eine von ihm veranstaltete Konferenz als Gefährdung der öffentlichen Ordnung betrachteten. Die Gefahr ging nicht von ihm direkt aus. Ramadan ist Schweizer. Wir können ihn nicht ausweisen. Aber wenn er hier eine Konferenz veranstalteten will, dann haben auch wir die Möglichkeit, diese zu verbieten. Wir haben in Genf übrigens vor 30 Jahren dasselbe mit Jean-Marie Le Pen gemacht, als er in Genf eine Veranstaltung durchführen wollte.

Emmanuel Macron ist jung, gesellschaftlich liberal, sicherheitspolitisch streng. Wie Sie.
(Lacht) Ich habe ihn letztes Jahr in Davos getroffen, kurz bevor er aus der Regierung Hollande ausgetreten ist. Ja, er ist interessant. Ich habe ja den französischen Pass und war letzte Woche dort in den Ferien. Ich spürte in der Bevölkerung das starke Bedürfnis nach einer anderen Politik. Das braucht Frankreich. Aber ist Macron politisch stark genug dafür? Ich weiss es nicht.

Was würde ein Präsident Macron für Genf bedeuten?
Er kennt Genf. Er war als Bankier mehrmals hier. Wir haben zusammen über den Arbeitsmarkt gesprochen, er war wie viele französische Politiker sehr an unserem dualen Bildungssystem interessiert. Aber auch an der Schweizer Sozialpartnerschaft. Die Art und Weise, wie Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammen Lösungen finden, ohne dass der Staat immer in der ersten Reihe sitzt. Ich denke Macron wäre gut für Genf.

Für viele gilt er als gewählt.
Davor warne ich. Macron verhält sich ungeschickt. Die Schlagzeilen nach seiner Wahlfeier in einer teuren Brasserie waren schädlich. Es ist kein Zufall, dass Le Pen nun versucht einen Keil zwischen das rurale und urbane Frankreich, zwischen Reich und Arm zu treiben. Das kann funktionieren.

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