David Gamez wollte seine Homosexualität therapieren lassen
«Ich dachte, ich könne normal werden»

David Gamez wuchs streng religiös auf. Weil er schwul ist, musste er eine sogenannte Konversionstherapie machen. Solche «Therapien» sind in einigen Kantonen bereits verboten. Am Montag entscheidet der Nationalrat, ob das schweizweit gelten soll.
Publiziert: 05.12.2022 um 07:00 Uhr
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Aktualisiert: 06.12.2022 um 13:29 Uhr
Sara Belgeri

David Gamez (27) spricht langsam und bedacht. Er lässt sich auch dann nicht aus der Ruhe bringen, wenn er davon erzählt, was er erlebt hat. Und das ist happig. Denn: Der Musikpädagoge ist in einer evangelikalen Freikirche im Kanton Bern aufgewachsen. Mit etwa 13 Jahren merkt er, dass er sich zu Männern hingezogen fühlt. «Als meine Mutter davon erfuhr, hatte sie einen Nervenzusammenbruch. Für sie brach eine Welt zusammen», sagt Gamez.

Homosexualität gilt in streng religiösen Kreisen noch immer als Sünde oder als Krankheit. Auch deshalb haderte Gamez als Jugendlicher lange mit seiner sexuellen Orientierung: «Mir wurde gesagt, dass Homosexuelle drogensüchtig sind und ständig Sex haben, dass eine monogame Partnerschaft unmöglich sei.» Und, dass Homosexualität der «direkte Weg in die Hölle» sei. Mit einer «Therapie» wollte Gamez seine sexuelle Orientierung deshalb ändern. Mit fatalen Folgen für seine psychische Gesundheit.

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Wie viele dieser sogenannten Konversionstherapien in der Schweiz durchgeführt werden, ist nicht bekannt. Oftmals werden sie als «ergebnisoffene Beratung» oder «individualpsychologische Begleitung» bezeichnet und von Lebensberaterinnen oder Seelsorgern aus dem evangelikalen Milieu durchgeführt. Dass solche «Therapien» gang und gäbe sind, zeigte eine Undercover-Recherche von SRF.

Der Musikpädagoge David Gamez wuchs in einer streng religiösen Gemeinschaft auf. Als er sich outete, sollte eine sogenannte Konversionstherapie helfen, heterosexuell zu werden.
Foto: Ramona Schelbert
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«Mir wurde gesagt, dass Homosexuelle drogensüchtig sind und ständig Sex haben, dass eine monogame Partnerschaft unmöglich sei.»
David Gamez
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In anderen Ländern und einigen Schweizer Kantonen sind diese Konversionstherapien verboten, in anderen wurden entspreche Vorstösse eingereicht. Um einen kantonalen Flickenteppich zu vermeiden, fordert die Rechtskommission des Nationalrats jetzt ein schweizweites Verbot. Am Montag berät der Nationalrat darüber.

Therapie beim geheilten Pfarrer

Um seine sexuelle Orientierung zu ändern, liess sich Gamez von einem Pfarrer therapieren, der als therapeutischer Berater bei Wüstenstrom Schweiz tätig ist. Er gibt an, seine «homosexuelle Neigung» hinter sich gelassen zu haben. Er bestreitet, Konversionstherapien anzubieten, schreibt aber gleichzeitig, dass er gegen ein Verbot sei. Es sei wichtig, dass man «junge Leute weiterhin ergebnisoffen begleiten dürfe». In einem Rundbrief aus dem Jahr 2011, der Blick vorliegt, fordert er Freikirchen zudem dazu auf, homosexuelle Menschen aktiv zu ermutigen, sich verändern zu lassen. Auf eine Anfrage von Blick hat der Mann nicht reagiert.

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«Eine Stunde bei ihm kostete etwa 150 Franken», sagt Gamez. Für die Therapie pendelte er einmal die Woche ins Zürcher Oberland. Anfangs war er voller Hoffnung: «Ich dachte, ich könnte normal werden.» Der Pfarrer erzählte ihm von seiner eigenen Erfolgsgeschichte, dass er jetzt verheiratet sei und Kinder habe. «Er riet mir, den Kontakt zu heterosexuellen Männern zu pflegen.» So sollte er in einen Fussballverein gehen oder typische Männerdinge machen. «Er gab mir zu verstehen, dass etwas mit meiner Identität nicht stimmt, dass ich zum richtigen Mann werden muss, um hetero zu werden.»

Missbrauch durch Kirchen-Mentor

Gleichzeitig spielte sich bei Gamez zu Hause Schreckliches ab. Ein Mentor aus seiner Kirchgemeinde – die erste Person, gegenüber der er sich outete – bot ihm an zu helfen, seine Homosexualität hinter sich zu lassen. Gamez wird sichtlich unbehaglich, wenn er daran zurückdenkt: «Er ermutigte mich dazu, mich auszuziehen, damit wir unsere Körper vergleichen und berühren konnten. Ich weiss nicht, wie mir das hätte helfen sollen.» Heute wisse er, dass das Missbrauch gewesen sei.

Gamez ging es zunehmend schlechter. Er entwickelte eine Essstörung, brauchte psychiatrische Hilfe. Nach einem halben Jahr brach er die «Therapie» beim Pfarrer schliesslich ab. «Irgendwann merkte ich, wie widersprüchlich das alles war, und dass die Therapie nichts nützte.»

Auch das Verhältnis zu seinen Eltern verschlechterte sich, schliesslich stellten sie ihn auf die Strasse. Halt fand er unter anderem im Verein Zwischenraum, von dem ihm ausgerechnet sein «Therapeut» erzählt hatte. «Er sagte mir, dass dort die landen würden, die es nicht geschafft hätten, hetero zu werden», sagt Gamez.

Ein sicherer Hafen

Zwischenraum ist ein Verein für Menschen aus dem freikirchlich-evangelikalen Umfeld, für die sich Glaube und Homosexualität nicht ausschliessen. «Wir wollen einen sicheren Hafen für die LGBTQ+-Gemeinschaft bieten, denen der christliche Glaube wichtig ist», sagt Co-Präsident Roland Weber.

Es gebe einige Mitglieder, die Konversionstherapien durchgemacht hätten, zum Teil mit fatalen Folgen. «Wenn man merkt, dass man nach einer Therapie noch gleich homosexuell ist wie vorher, fängt die Krise erst richtig an.» Oftmals würden die Leute Depressionen bekommen und Suizidgedanken entwickeln. «Ich kenne Menschen, die mehr als einmal versucht haben, sich das Leben zu nehmen, und die sind unter Umständen noch keine 30 Jahre alt», sagt Weber.

Heute ist er Atheist

Bei Zwischenraum realisierte David Gamez, dass es Leute gibt, die schwul sind und an Gott glauben. «Und ich sah, dass das ganz normale Menschen sind.» Viele Freundschaften, die er damals knüpfte, würden auch heute noch bestehen.

Den Glauben aber hat er hinter sich gelassen. Seiner Familie, zu der er lange keinen Kontakt mehr hatte, nähert er sich langsam wieder an. «Ich hoffe, dass sie mich irgendwann vollends akzeptieren werden», sagt Gamez.

Durch seine Therapie sei Schaden entstanden, das könne er nicht mehr ändern. Umso wichtiger sei es, dass Konversionstherapien verboten und die Therapeuten zur Rechenschaft gezogen würden. «Ich wünsche mir, dass mit einem Verbot endlich ein Zeichen gesetzt wird», sagt er. «Ein Zeichen auch dafür, dass man gut ist, so wie man ist und nicht therapiert werden muss.»

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