Datenschützer Adrian Lobsiger hat Bedenken gegenüber Mobility Pricing
«Das betrifft die Selbstbestimmung»

Um das Verkehrsverhalten der Bevölkerung besser lenken zu können, will Verkehrsministerin Doris Leuthard das Mobility Pricing einführen. Datenschützer Adrian Lobsiger will sich dafür einsetzen, dass die dafür notwendigen Bewegungsdaten schnell anonymisiert und nicht zu lange gespeichert werden.
Publiziert: 30.07.2016 um 21:59 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 14:28 Uhr
Ruedi Studer und Matthias Halbeis

Herr Lobsiger, Bundesrätin Doris Leuthard will Mobility Pricing einführen. Läuten beim Eidgenössischen Datenschutzbeauftragter bereits die Alarmglocken?
Adrian Lobsiger: Das ist ein absolut datenschutzrelevantes Dossier, in welches ich mich konstruktiv-kritisch einbringen werde. Ich bin froh, dass das Verkehrsdepartement diese Diskussion so früh lanciert und nicht erst dann, wenn Gesetzesentwürfe vorliegen.

So, wie das Ganze angedacht ist, könnten mit einem Erfassungsgerät aber ganze Bewegungsprofile erstellt werden. Damit droht der totale Überwachungsstaat.
Nein, das werde ich verhindern! Die Bürger geben ihre Daten – und ich werde mich dafür einsetzen, dass diese auch zweck- und verhältnismässig genutzt werden.

Konkret?
Das betrifft einerseits Big Data: Will man unsere Daten etwa für die Verkehrsstatistik oder die Forschung nutzen, müssen sie entpersonalisiert und anonymisiert werden. Andererseits werde ich mich dafür einsetzen, dass die Daten des Einzelnen nur solange  aufbewahrt werden wie nötig. Da gibt es aber noch einige Probleme zu lösen.

Der neue Datenschützer Adrian Lobsiger will bei allen relevanten Fragen rund um das Mobility Pricing mitreden.
Foto: Peter Mosimann
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Welche Probleme meinen Sie?
Eine Knacknuss ist die automatische Rechnungsstellung, denn diese führt automatisch auf unser Bankkonto. Wie lange wird man die Daten speichern, z.B. damit jemand bestreiten kann, dass er an einem gewissen Tag auf einer bestimmten Strecke unterwegs war?  Heute dokumentieren die Banken als Erfüllungsgehilfen des Staates unsere Finanzdaten vollumfänglich und halten sie über Jahre bereit. Darauf werde ich ein Auge halten.

Rein technisch könnte man einen Fahrtenschreiber auch für die Verkehrssicherheit nutzen – etwa um gegen Raser vorzugehen. Was halten Sie davon?
Das Gesetz muss die Zwecke klar definieren! Wenn man mit Mobility Pricing auch gleich Tempo-Kontrollen durchführen will, muss das gesetzlich definiert werden. Sonst ist es unzulässig.

Mit Mobility Pricing liesse sich wohl auch feststellen, wer wann wo durchgefahren ist. Würde der Fahrtenschreiber damit auch zum neuen Mittel der Verbrechensaufklärung?
Grundsätzlich kann ein Richter – und nicht die Polizei – den Zugriff auf jede Information eines Verdächtigen erlauben. Werden auch die Randdaten des Mobilitätsverhaltens während einer gewissen Zeit gespeichert, ist es durchaus denkbar, dass darauf zurückgegriffen wird. Aber sicher nicht für jede Verkehrsbusse, sondern bei schweren Straftaten.

In einem Fall Rupperswil wäre dann eine Art Fahrtenschreiber-Suchlauf denkbar?
Die Strafverfolgung kann theoretisch auf alles zugreifen. Entscheidend ist aber die Verhältnismässigkeit. Betrifft es einen eng umfassten Personenkreis oder viele Unbeteiligte? Wie schwer ist die Tat? Es ist immer ein Abwägen. Wo die Grenzen der Rasterfahndung zu ziehen sind, entscheiden die urteilenden Gerichte. Das ist ja auch im Fall Rupperswil noch nicht abschliessend beantwortet.

Welche Gefahren sehen Sie sonst noch beim Mobility-Pricing-Konzept?
Wir haben bisher vor allem über die technische Ebene gesprochen, aber es gibt auch einen gesellschaftlichen Aspekt: Den des Society Shaping.

Erklären Sie.
Das politische Anliegen des Mobilitiy Pricing ist durchaus verständlich. Wir haben eine enge Schweiz mit bald einmal zehn Millionen Einwohnern und einer beschränkten Infrastruktur. Deshalb will Bundesrätin Doris Leuthard mit Mobility Pricing unser aller Mobilitätsverhalten auf Schiene und Strasse beeinflussen. Das betrifft die Selbstbestimmung der Leute – und diese ist mir als Datenschützer neben der Privatsphäre ein besonderes Anliegen. Da werde ich mich sicher noch einbringen.

Trotzdem bekommt man oft den Eindruck, dass vielen der Schutz ihrer Privatsphäre gar nicht so wichtig ist, wenn man etwa auf Facebook schaut, wie freizügig sie mit persönlichen Angaben umgehen.
Den Leuten ist der Schutz ihrer Privatsphäre durchaus wichtig. Doch es ist auch eine Frage der Sensibilisierung. Ich möchte erreichen, dass die Leute nicht nur die nächsten drei Wochen nach einem Datenschutz-Skandal  wie etwa im Fall Snowden auf ihre Privatsphäre achten, sondern ein permanentes Bewusstsein für die Bedeutung ihrer Daten entwickeln, und sich etwa die Zeit nehmen, die Geschäftsbedingungen von Facebook und Co. lesen. Die müssen aber auch verständlich formuliert sein.

Da hängen wir gleich ein: Die EU-Kommission hat mit den USA soeben ein «Privacy Shield»-Abkommen vereinbart, mit welcher die Daten von EU-Bürgern bei amerikanischen Internet-Unternehmen besser geschützt werden sollen. Hinkt die Schweiz hinterher?
Ich verfolge dieses Dossier intensiv. Der Bundesrat hat das Staatssekretariat für Wirtschaft bereits beauftragt, mit den USA Gespräche zu führen, um eine gleichwertige Regelung zu treffen. Schweizer Bürger dürfen in Sachen Datenschutz nicht schlechter gestellt werden als EU-Bürger.

Was können Sie beitragen?
Ich werde beurteilen, ob wir tatsächlich ein gleichwertiges Abkommen erhalten. Und ich werde darauf drängen, dass wir nicht nur ein schönes Papier bekommen, sondern auch die Umsetzung genau evaluieren und kontrollieren.

Sie sind nicht nur für den Datenschutz zuständig, sondern auch für das Öffentlichkeitsgesetz – sollten also auch dem Bürger den Zugang zu den Daten der Verwaltung ermöglichen. Das Gesetz ist seit 10 Jahren in Kraft: Was ist Ihre Bilanz?
Es hat sich auf jeden Fall bewährt. Ich kann das in meiner jetzigen Funktion sagen, als auch aus meiner ehemaligen Tätigkeit beim Bundesamt für Polizei. Die Zugangsgesuche, für die ich zuständig war, haben nie Probleme bereitet. Die Polizeikultur hat sich nie am Öffentlichkeitsprinzip gestossen. Dazu kommt: Wenn wir anschauen, was unabhängig von diesem Prinzip von der Verwaltung im Internet zugänglich gemacht wird, dann ist das Disneyland im Vergleich zur Situation vor zehn Jahren. Das Öffentlichkeitsgesetz und die Digitale Revolution zusammen haben diese Entwicklung befeuert.

Was ist sonst noch passiert?
Die Verfahren sind bekannter geworden. Das zeigen die jährlich neuen Höchststände an Zugangsgesuchen – 600 allein im letzten Jahr. Dazu tragen auch die Journalisten bei, die begriffen haben, dass sie so an Informationen kommen, die nicht schon im Internet verfügbar sind.

Sind Sie zufrieden, wie die Bundesverwaltung Auskunft erreicht?
Die Zahl der vorbehaltlos stattgegebenen Gesuche steigt. Das ist positiv. Es gibt aber immer noch fast ein Fünftel der Gesuche, bei denen gar keine Auskunft erteilt wird. Und dazwischen bleibt der beachtliche Graubereich, in dem ein Seilziehen zwischen Geheimhaltungs- und Öffentlichkeitsanspruch stattfindet. Und genau dort sind wir als Schlichtungsstelle gefordert. Auch in diesem Bereich steigen die Fälle.

Was heisst das für Sie?
Dass das mehr Ressourcen voraussetzt, als wir haben.

Vor allem halten Sie die gesetzlichen Fristen schon längst nicht mehr ein, in welchen Sie ein Schlichtungsverfahren durchführen müssten.
Es ist rechtstaatlich unerträglich, dass wir die Fristen nicht wahren können. Aber es ist eine Realität, dass wir nicht das Unmögliche möglich machen können.

Das Parlament hätte doch Ihre Ressourcen längst aufstocken müssen. Werden Sie mehr Ressourcen beantragen?
Wir stehen vor einer Neuauflage des Datenschutz- wie auch des Öffentlichkeitsgesetzes. Bei letzterem gibt es innerhalb der Verwaltung noch gewisse Widerstände. Dort freuen sich nicht alle auf eine öffentliche Diskussion – wohl auch nicht über die Ressourcen-Frage. Stattdessen wird versucht, in Spezialgesetzen unauffällig Ausnahmen vom Öffentlichkeitsprinzip einzubauen. Darum bin ich dezidiert der Ansicht, dass es eine neue politische Diskussion im Parlament braucht, die zur Erneuerung des Gesetzes führt. Sonst laufen wir Gefahr, dass wir laufend Heunadel-Diskussionen haben, wo einmal eine Ausnahme im Verkehrsbereich und dann eine andere im Gesundheitsbereich beschossen wird.

Welche Punkte müssen angegangen werden?
Die Fristen müssen angepasst werden. Ausnahmen vom Gesetz müssen anhand von Beispielen diskutiert werden und wer solche vorschlägt, muss zeigen, wo die Offenheit unserer Gesellschaft schaden kann. Solche Beispiele sehe ich im Moment persönlich nicht.

Wie beurteilen Sie die bisherigen Urteile der Bundesgerichte in Sachen Öffentlichkeitsgesetz? Stehen die Richter eher für Geheimhaltung oder für Offenheit?
Insgesamt ist unsere Erfolgsbilanz bei den Gerichten gut. Im überwiegenden Teil der Fälle, in denen wir den Anspruch der Öffentlichkeit bejaht haben, haben Bundesverwaltungsgericht wie Bundesgericht unsere Haltung gestützt. In gewissen Fällen sind aber auch Daten von Dritten betroffen, dann wird der Zugang oft aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes eingeschränkt.

In zwei Fällen – Nachrichtendienst und internationaler Steuer-Amtshilfe – zog BLICK selber bis vors Bundesgericht. Ein Teil der Beschwerden wurde abgewiesen, worauf selbst einer der unterlegenen Richter monierte, dass das Gesetz zu totem Buchstaben werde, wenn nicht einmal nackte Zahlen publik werden dürfen. Wie sehen Sie das?
Wir waren etwas grosszügiger und hätten es gerne gesehen, wenn man den vollen Zugang hätte gewähren können. Aber wir achten den Rechtsstaat und dessen richterliche Gewalt.

Welchen Einfluss haben die Urteile auf Ihre zukünftigen Entscheide?
Wir berücksichtigen selbstverständlich diese Entscheidungen. Wir werden weiter jeden Einzelfall prüfen und auch weiterhin die Anliegen des Öffentlichkeitsprinzips vertreten. Mir fällt kein Stein aus der Krone, wenn die höheren Instanzen unsere Empfehlungen dann und wann korrigieren.

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