Das Netzwerk der Atom-Nostalgiker
Für eine strahlende Atomzukunft

Sagt das Stimmvolk am 21. Mai Ja zum neuen Energiegesetz, ist der schrittweise Atomausstieg besiegelt. Dagegen wehren sich zahlreiche Organisationen. Sie wollen, dass man sich die Atom-Option offenhält.
Publiziert: 19.05.2017 um 00:11 Uhr
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Aktualisiert: 02.12.2023 um 12:30 Uhr
Ruedi Studer

Eigentlich ist die Rechnung schnell gemacht: Allein schon aus ökonomischen Gründen hat die Atomkraft in der Schweiz keine Zukunft. Erst recht nicht aus politischen, denn das Stimmvolk hätte das letzte Wort – und wer will schon ein neues AKW vor der Haustür?

Präsident des Vereins Kettenreaktion: Hans-Rudolf Lutz
Foto: ZVG

Doch die Atom-Nostalgiker geben nicht auf. Die Abstimmung am Sonntag über das Energiegesetz wird zum Fanal: Mit einem Ja werden neue AKW in der Schweiz verboten. Bei einem Nein bleibt die Atom-Option offen.

Am 21. Mai entscheidet das Stimmvolk, ob der schrittweise Atomausstieg in der Schweiz definitiv besiegelt wird oder nicht.
Foto: Keystone

«Technologieverbot wäre ein grosser Fehler»

Ein Netzwerk von Atomfreunden kämpft an vorderster Front gegen das Energiegesetz und für für die Atomenergie. Sie haben sich in verschiedensten Organisationen zusammengeschlossen. So etwa im Verein Kettenreaktion, der sich für den Bau neuer AKW ausspricht. «Wir sind keine ewiggestrigen Atom-Nostalgiker, sondern ‹Ewig-Übermorgige›, die vorausdenken», sagt Präsident Hans-Rudolf Lutz.

Der frühere KKW-Mühleberg-Direktor glaubt an die Zukunft der Kernenergie – auch in der Schweiz. «Die Entwicklung von neuen, absolut sicheren Reaktortypen ist auf gutem Weg. Ein Technologieverbot wäre ein grosser Fehler», sagt der frühere Solothurner SVP-Kantonsrat. «Neue KKW sind mir lieber als umweltschädigende Gas- oder Kohlekraftwerke.»

«Zukünftige Reaktortypen nicht verteufeln»

Auch Physikerin Irene Aegerter will, dass man sich die Atom-Option offenhält. Schon vor Jahrzehnten gründete die Jeanne d’Arc der Atombefürworter die Organisation Frauen für Energie oder die Women in Nuclear, jetzt präsidiert sie das atomfreundliche Netzwerk Energiesuisse.net.

«Das Energiegesetz ist eine Mogelpackung, mit einem Nein ermöglichen wir eine vertiefte Diskussion über die künftige Grundversorgung mit Strom», sagt Aegerter. «Wir dürfen die zukünftigen Reaktortypen dabei nicht verteufeln. Sie müssen in die Überlegungen einbezogen werden wie Gaskombikraftwerke mit hohem Wirkungsgrad, wenn wir den Klimaschutz ernst nehmen.»

In der TV-«Arena» trat Irene Aegerter an der Seite von SVP-Nationalrat Toni Brunner gegen das neue Energiegesetz an.
Foto: photo siggi bucher

So betreibt Aegerter zusammen mit ihrem Mann Simon seit 2013 den Blog «Kalt duschen mit Doris», in welchem sie den Energiekurs von Bundesrätin Doris Leuthard scharf kritisiert. «Ihre Strategie gefährdet die stabile Stromversorgung.» Privat hat sie, die in einem Minergiehaus lebt, bereits vorgesorgt: «Vor zwei Jahren haben wir zu Hause eine Notstrom-Anlage installiert, denn mit Solarstrom kann das Netz nicht stabilisiert werden.»

Im Öko-Mäntelchen für Atomenergie

Auch ihr Sohn, der Unternehmer und Multimillionär Daniel Aegerter, mischt in der Energiedebatte mit. Seine Stiftung Energy for Humanity engagiert sich für einen «sinnvollen Energiemix» und dabei auch für eine «moderne und saubere Nukleartechnologie». Die Organisation warnt nun gar davor, dass ein Vulkanausbruch die Solaranlagen lahmlegen könnte.

Zahlreiche weitere Gruppierungen tummeln sich im Feld der Atomfreunde, so auch die «Aktion für eine vernünftige Energiepolitik» unter SVP-Chef Albert Rösti.

Eher skurril muten die «Naturfreunde für Atomstrom» um «Weltwoche»-Autor Alex Baur an, welche «die Umwelt vor den Grünen retten» wollen und unter dem Slogan «Atomstrom? Jo gärn» die Kernenergie als «sauber, sicher und günstig» anpreisen.

Im Öko-Mäntelchen kommt auch die Studentische Gemeinschaft für (echten) Umweltschutz daher. Und die Arbeitsgruppe Christen + Energie hält die Atomenergie sogar «aus christlich-ethischer Sicht» für «sehr empfehlenswert».

Am Sonntag wird sich entscheiden, ob die Schweiz einer strahlenden Atomzukunft weiterhin ein Hintertürchen offen lässt oder definitiv dem schrittweisen Ausstieg den Weg ebnet.

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