So soll die zweite Welle gestoppt werden
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Coronakrise:«Wir müssen eine erneute Abschottung verhindern»

Corona-Taskforce will Alte besser schützen
So soll die zweite Welle gestoppt werden

Die wissenschaftliche Taskforce des Bundes will über 65-Jährige im Fall einer zweiten Corona-Welle besser schützen – mit ungewöhnlichen Massnahmen. Die Pro Senectute warnt bereits vor einer Stigmatisierung der Alten.
Publiziert: 23.06.2020 um 22:55 Uhr
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Aktualisiert: 27.06.2020 um 11:31 Uhr
Ladina Triaca und Ruedi Studer

Spezielle Einkaufszeiten für Seniorinnen und Senioren, Rentner-Abteile im Zug oder markierte Wege einzig und allein für Ältere: Was komisch klingt, könnte in der Schweiz wegen Corona zur Realität werden.

So empfiehlt die wissenschaftliche Taskforce, die den Bundesrat in Corona-Fragen berät, die Schaffung von Sonderräumen für Senioren. Konkret schlägt sie vor, «in öffentlichen Verkehrsmitteln, Geschäften oder auf Spazierwegen» gewisse Räume «zeitlich oder örtlich» ausschliesslich für über 65-Jährige zu reservieren, um diese besser vor Ansteckungen zu schützen. Denn trotz Corona-Gefahr sollen Senioren und Seniorinnen «am gesellschaftlichen Leben teilnehmen und sich gleichzeitig ausreichend schützen können», heisst im Papier der klinischen Expertengruppe.

So soll die zweite Welle gestoppt werden
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Corona-Taskforce schlägt vor:So soll die zweite Welle gestoppt werden
Im ÖV gilt kein Maskenzwang. Für Rentner könnten aber in Bahn und Co. spezielle Bereichezum Schutz vor Corona reserviert werden.
Foto: keystone
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Schutz für zweite Welle

Diese hat sich in erster Linie mit der Situation in Altersheimen befasst, will mit ihrer Empfehlung aber auch einen gesellschaftlichen Denkanstoss geben. «Auch wenn die Corona-Fallzahlen derzeit tief sind, muss man die Situation der Senioren besonders betrachten – gerade auch mit Blick auf eine mögliche zweite Welle», sagt Infektiologe Manuel Battegay (60) vom Universitätsspital Basel zu BLICK.

Dabei gehe es nicht nur um den Gesundheitsschutz, sondern auch um soziale Fragen. «Manche Senioren haben immer noch Angst, nach draussen zu gehen», sagt Battegay. Für sie reservierte Räume oder Terminfenster könnten diese vermindern und ihnen so die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben wieder ermöglichen.

«Abschottung verhindern»

Er denkt dabei nicht an gesetzliche Vorschriften, sondern an freiwillige Massnahmen. «Wieso nicht einen Rentner- statt Ruhewagen bei den SBB einführen, in dem auch Maskenpflicht gilt?», fragt er. «Oder ein Senioren-Säli im Restaurant, wo die Tische weit auseinanderstehen und das Servicepersonal konsequent Schutzmasken trägt?»

Für Battegay ist nämlich klar: «Wir müssen eine erneute Abschottung von Betagten und Risikopersonen verhindern, deshalb sind kreative Lösungsansätze gefragt, die auch individuellere Entscheide ermöglichen.»

Rentner-Wagen oder spezielle Ladenöffnungszeiten für Alte? Die SBB zeigen sich auf Nachfrage von BLICK grundsätzlich offen: «Sollte das BAG eine entsprechende Empfehlung abgeben, würde die ÖV-Branche das selbstverständlich prüfen.» Ähnlich klingt es beispielsweise bei Coop – man halte sich in diesem Bereich an die Empfehlungen des BAG.

Das BAG hingegen spielt den Ball an die Unternehmen zurück: «Es ist an den Institutionen und Unternehmen zu entscheiden, ob sie solche Räume einrichten wollen.» Wichtig sei einzig, dass die Räume «für alle vulnerablen Personen offen sind, damit die Seniorinnen und Senioren nicht stigmatisiert werden».

Pro Senectute fürchtet Stigmatisierung
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Coronavirus-Taskforce:Pro Senectute fürchtet Stigmatisierung

Pro Senectute fürchtet Stigmatisierung

Die Pro Senectute sieht die Vorschläge der Corona-Taskforce sehr kritisch. «Die Schaffung von Sonderzonen könnte zu einer Stigmatisierung der Nutzenden führen», warnt sie. Zudem böten Sonderzonen wenig Schutz – viel sinnvoller sei eine generelle Maskentragepflicht in Bus, Bahn und Tram.

In der Tat mussten viele ältere Menschen während der Corona-Krise böse Blicke oder Beleidigungen über sich ergehen lassen, wenn sie zum Einkaufen oder Spazieren nach draussen gingen. Ähnlich könnte es ihnen gehen, wenn sie sich nicht in den für sie vorgesehenen Zonen aufhalten.

Versuchslabor Tessin

Die Generationen trennen, um Ansteckungen zu vermindern – im Tessin hat man darin bereits Erfahrung. Nachdem die Kritik am kantonalen Einkaufsverbot für über 65-Jährige zu gross wurde, beschloss die Tessiner Regierung Anfang April ein spezielles «Einkaufsfenster» für Senioren einzuführen: Personen über 65 konnten jeweils am Vormittag vor 10 Uhr einkaufen, während die restliche Bevölkerung dazu aufgerufen wurde, während dieser Zeit den Supermärkten und Dorfläden fernzubleiben.

«In den allermeisten Fällen befolgten die Menschen die Regelung», sagt der Tessiner Regierungsrat Norman Gobbi (43, Lega). Viele ältere Menschen hätten es allerdings trotz Einkaufsfenster vorgezogen, ganz zu Hause zu bleiben und die Einkäufe durch Verwandte erledigen lassen. Gobbi glaubt, dass die Tessiner Bevölkerung aufgrund der Erfahrung für eine zweite Welle gerüstet wäre: «Sollte das Einkaufsfenster nochmals eingeführt werden, würden sich die Tessinerinnen und Tessiner wohl besonders gewissenhaft daran halten.»

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Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.

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