Chinesischer Staatsbesuch in Bern
Wie Ogis Kristall die Freundschaft zwischen der Schweiz und China rettete

1999 rettete ein Bergkristall die Schweiz vor einem aussenpolitischen GAU. Der chinesische Präsident Jiang Zemin wollte seinen Staatsbesuch wegen einer Anti-China-Demo abbrechen. Bis der damalige Bundesrat Adolf Ogi eine zündende Idee hatte – und einschritt.
Publiziert: 12.01.2024 um 10:01 Uhr
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Aktualisiert: 12.01.2024 um 19:12 Uhr
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Tobias OchsenbeinRedaktor Politik

Bundespräsidentin Viola Amherd (61) empfängt am Montag in Bern den neuen chinesischen Ministerpräsidenten Li Qiang (64), Chinas Nummer 2. Die Schweiz und die Volksrepublik China unterhalten seit 1950 bilaterale Beziehungen. Das Aussendepartement (EDA) beschreibt diese als «gut und divers». Seit 2010 ist China der wichtigste Handelspartner der Schweiz in Asien und der drittwichtigste Handelspartner überhaupt hinter der EU und den USA.

Ein Blick zurück zeigt allerdings: Es ist Fingerspitzengefühl gefordert! Denn nicht immer gingen Empfänge von hohen chinesischen Staatsvertretern in der Schweiz – den guten Beziehungen zum Trotz – diplomatisch über die Bühne. Vor 25 Jahren, im März 1999, stand die schweizerisch-chinesische Freundschaft gar auf der Kippe.

«Sie haben einen guten Freund verloren»

Beim offiziellen Besuch des damaligen chinesischen Präsidenten Jiang Zemin (1926–2022) in Bern kam es zu Demonstrationen vor dem Bundeshaus. Eine Pro-Tibet-Gruppe protestierte friedlich, verteilte Flyer, schwenkte Tibet-Fahnen und skandierte «Free Tibet». Einige Demonstranten kletterten später auf das Gebäude der UBS. Was das Fass für Jiang zum Überlaufen brachte.

Da war alles bereits wieder vergessen: Dank eines Bergkristalls gaben sich Bundesrat Adolf Ogi (r.) und Chinas Präsident Jiang Zemin wieder die Hand.
Foto: Sobli
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Der chinesische Präsident reagierte empört auf den Protest. Er weigerte sich, die Ehrenkompanie abzuschreiten, und liess den Bundesrat eine halbe Stunde warten, bevor er – ohne Begrüssung – doch noch ins Bundeshaus eilte. Der damalige Bundesrat Adolf Ogi (81) erzählte später in einem Interview mit SRF, Jiang sei fast ins Bundeshaus hineingestossen worden. Nicht von der Schweizer Delegation, aber von den chinesischen Sicherheitsleuten.

Die damalige Bundespräsidentin Ruth Dreifuss (84) versuchte, die Situation zu beruhigen, doch Jiang blieb aufgebracht. Er warf der Schweizer Regierung an den Kopf: «Sie haben einen guten Freund verloren.» Doch damit nicht genug.

Bergkristall rettet Staatsbesuch

Während des Staatsdiners versuchte Dreifuss, die Menschenrechtslage in China anzusprechen. Das erzürnte den chinesischen Staatschef erneut derart, dass er den Tisch verlassen wollte. Ogi schaffte es jedoch, den tobenden Präsidenten zu beruhigen. Er zog einen Bergkristall aus der Tasche und schenkte ihn Jiang. «Ich habe ihm gesagt, er soll nicht böse sein. Das Leben sei zu kurz, um böse zu sein», erinnert sich Ogi im SRF-Interview.

Dieser kleine Bergkristall habe schliesslich den Staatsbesuch gerettet, so Ogi weiter. Tatsächlich: Ein Jahr später reiste Ogi zu Jiang Zemin nach China. Dieser beschied dem Bundesrat bei seinem Besuch im Reich der Mitte: «Die Vorkommnisse in Bern sind vergessen.»

Als 2017 der heutige Präsident Chinas, Xi Jinping (70), Bern besuchte, war es von grosser Bedeutung, ähnliche Zwischenfälle zu vermeiden. Proteste wurden deshalb nur auf dem Berner Waisenhausplatz und nur vor dem Staatsbesuch zugelassen. Die Kantonspolizei Bern bat die Bevölkerung, während des chinesischen Staatsbesuchs Tibet-Flaggen vorübergehend von Balkonen und Fassaden zu entfernen.

Die meisten Polizeiwachen bleiben geschlossen

Auch am Montag dürfte es in Bern wieder weitgehend ruhig bleiben. Bis Donnerstag lag bei der Stadt Bern kein Gesuch für eine Kundgebung von Exil-Tibetern auf dem Tisch, wie Sicherheitsdirektor Reto Nause (52) auf Blick-Anfrage sagte.

Für Xis Besuch ist zudem ein massives Sicherheitsdispositiv vorgesehen. Strassen werden gesperrt, und es wird zu Verkehrseinschränkungen kommen. Im ganzen Kanton bleiben die meisten Polizeiwachen geschlossen, damit genügend Personal für den Einsatz zur Verfügung steht. Denn nicht nur Xi wird in Bern empfangen, auch der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (45) wird in der Bundesstadt erwartet.

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