Cassis zum Rahmenabkommen
«Ich fühlte mich wie Harry Potter»

Aussenminister Ignazio Cassis ist schon dabei, die Beziehungen mit der EU zu kitten. In einem Interview in Deutschland erklärt er das Nein zum Rahmenabkommen – und wie schwierig der Entscheid war.
Publiziert: 30.05.2021 um 16:11 Uhr
Ein Ende mit Ansage: Das Rahmenabkommen mit der EU ist gescheitert. Dies gab der Bundesrat am Mittwoch bekannt.
Foto: Keystone
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Nach dem Nein zum Rahmenabkommen ist Aussenminister Ignazio Cassis (60) schon dabei, die Wogen zu glätten. Und er tut das nicht direkt in Brüssel, sondern in einem der wichtigsten Mitgliedstaaten. In einem Interview mit der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» erklärt er den für die EU so überraschenden Entscheid.

Er habe «wirklich versucht», den Schritt einer institutionellen Anbindung an die EU möglich zu machen, so der Tessiner. «Mit dem Rahmenvertrag hätten wir unseren Marktzugang zur EU stabilisiert. Aber das Abkommen enthält Elemente im Bereich Personenfreizügigkeit und Lohnschutz, die für eine Mehrheit der politischen Kräfte nicht akzeptabel sind.»

Unterschiedliche Signale

Damit macht er die fehlende politische Mehrheit in der Schweiz für das Aus verantwortlich. Im Volk hätte insbesondere die «sehr sensible Frage der Personenfreizügigkeit», die mit der Unionsbürgerrichtlinie wahrscheinlich ausgeweitet werden würde, keine Chance.

Auch aus Parteien, Verbänden und Wirtschaft seien immer wieder sehr unterschiedliche Signale gekommen, so der Aussenminister. Das habe es für ihn sehr schwierig gemacht. «Manchmal habe ich mich gefühlt wie Harry Potter, der in seinem Zauberschloss Treppen hinauflaufen will, die sich ständig bewegen.»

«Unsinnig, uns zu piesacken»

Der Schweiz sei bewusst, dass der Abbruch der Verhandlungen mit Nachteilen verbunden ist, so Cassis. Auch wenn er davor warnt, «zu schwarz zu malen». Vieles werde von der Reaktion in Brüssel abhängen.

Und genau wie Bundespräsident Guy Parmelin (61) in der «NZZ am Sonntag» warnt auch Cassis die Europäer vor Nadelstichen. 1,4 Millionen EU-Bürger lebten in der Schweiz, täglich pendelten 340'000 Grenzgänger in unser Land, die Handelsbeziehungen seien eng. «Viel Strom für Italien fliesst durch die Schweiz», nennt er als Beispiel für die enge Zusammenarbeit. «Es wäre unsinnig, uns auf diesem Feld zu piesacken, statt zu kooperieren.»

Die Schweiz erwarte, dass sie – etwa bei der Forschungszusammenarbeit – genau gleich behandelt werde wie Drittstaaten, zum Beispiel Singapur oder Israel. «Versuche, die Schweiz unter Druck zu setzen, erachten wir als kontraproduktiv und sachfremd. Vergessen Sie nicht: Unsere Forscher gehören zu den besten der Welt.»

Ausland versteht die Schweiz nicht

Das Interview zeigt einmal mehr, wie wenig das Ausland das System der Schweiz versteht. Denn Cassis muss sich den Vorwurf anhören, die «Trägheit» der Schweiz «mit ihren langen Abstimmungsprozessen und komplizierten Institutionen» schade dem Image im Ausland.

Worauf sich Cassis wehrt: «Wer von Imageverlust spricht, zeigt keinen Respekt davor, dass dieses Land einfach anders funktioniert.» Die Schweiz habe sich über 700 Jahre langsam entwickelt. «Das hat uns stabil und zuverlässig gemacht und uns viel Achtung im Ausland eingetragen.» (sf)

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