So tickt Ignazio Cassis
Ein Cantautore als Landesvater

Im zweiten Wahlgang ist Ignazio Cassis zum 117. Bundesrat gewählt worden. Wer ist der Mann, der das Tessin in der Landesregierung vertritt?
Publiziert: 20.09.2017 um 14:45 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 16:58 Uhr
Cinzia Venafro

«Che sarà, che sarà, che sarà?», singt Ignazio Cassis (56) und spielt Gitarre. Das macht der neue FDP-Bundesrat am liebsten, wenn er kurz entspannen kann. Denn bevor der Nachfolger von Didier Burkhalter (56) Tessiner Kantonsarzt wurde – zehn Jahre lang war der Mediziner das Bindeglied zwischen den Behörden und der Medizin – wollte der junge Cassis Cantautore «oder halt DJ», wie er sagt, werden.

Erster Tessiner Bundesrat seit 20 Jahren

Jetzt ist dieser mit 171 cm eher klein gewachsene Mann, den im Tessin die meisten kumpelhaft Ignazio nennen, ein neuer Landesvater. Nach knapp 20 Jahren – und seit Flavio Cotti (77) – hat die Südschweiz wieder ein Mitglied in der Landesregierung.

Der Barde mit seiner Gitarre: Für ein italienisches Lied ist Ignazio Cassis immer zu haben.
Foto: Philippe Rossier

Cassis’ Kurs: Hart im Migrationsdossier, liberal in der Drogenpolitik. Der neue Bundesrat ist für eine Beschränkung der Zuwanderung und für eine Legalisierung von Marihuana und Kokain.

Aber trotz dieser Haltung zu Betäubungsmitteln: An Ignazio Cassis reiben sich wenige im Parlament. Der manchmal auch hemdsärmlige Politiker ist keine Reizfigur. Auch deshalb hat er sich die Stimmen der SVP-Fraktion gesichert. Und als FDP-Fraktionschef hat er die letzten Jahre gezeigt, dass er seine Leute auf Linie bringen kann – und in der Mitte seiner Partei politisiert.

In seiner Tessiner Heimat knallen jetzt die Korken, respektive fliesst der Merlot aus dem Boccalino. Und trotzdem: Die Menschen im Sottoceneri – Cassis lebt in Montagnola oberhalb des Luganersees – verlieren ihren Bundesrat, kaum ist er gewählt.

Drei Schwestern und ein Badezimmer

Ignazio Cassis hat vor seiner Wahl bereits angekündigt, als Bundesrat nach Bern zu ziehen. Seit Jahren hat er eine Zweitwohnung in der Bundesstadt. Seine Frau Paola, seit gut 20 Jahren an seiner Seite, wird vorerst im Tessiner Haus bleiben. Sollte ihr Mann künftig auch immer am Wochenende in der Deutschschweiz arbeiten müssen, wird die Chefärztin der Radiologie einen Job im Norden suchen und es ihrem Gatten gleichtun.

Dann wird Cassis sein Badezimmer wieder teilen müssen. Eine seiner Lieblingsanekdoten lautet denn auch: «Ich bin mit drei Schwestern und einem Bad aufgewachsen. Glauben Sie mir, ich weiss, dass streiten nichts bringt.»

Cassis bewundert alt Bundesrat Couchepin

Alles andere als harmoniesüchtig ist einer der drei politischen Väter des neuen Landesvaters: alt Bundesrat Pascal Couchepin (75). «Seine Liebe für die Konfrontation war ansteckend. Couchepin hatte wirklich Feuer fürs Politisieren», sagt Cassis. «Auf intellektueller Ebene» fühlt er sich alt Bundesrat Kaspar Villiger am nächsten. 

Von seinem dritten politischen Vater, FDP-Stratege Fulvio Pelli (66), lernte Cassis, politische Prioritäten zu setzen und strategisch vorzugehen. Von ihm habe er auch die liberale Devise: «Liberal ist derjenige, der bis zum Schluss das Gefühl hat, der Gesprächspartner könnte auch recht haben.» Der Tessiner Politstratege hatte Cassis’ Kandidatur eingefädelt und aus der Deckung heraus koordiniert.

Vernetzt ist der Arzt vor allem im Medizinbereich: Er war bis zur Wahl Präsident des Krankenkassenverbandes Curafutura. Diese Interessensbindung verhinderte so einige Stimmen aus der Parlamentshälfte. Seine hochbezahlten Mandate – bei Curafutura verdiente Cassis 180’000 Franken im Jahr – sorgten für die lauteste Kritik im Vorfeld der Wahl.

Der Ex-Italiener würde bald nach Rom reisen

Als Aussenminister würde Ignazio Cassis eine der ersten Reisen nach Italien führen. Denn mit unserem südlichen Nachbarn hat die Schweiz so einige Dossiers offen: Grenzgänger, Neat-Zubringer, Flüchtlinge.

Zur Erinnerung: Um auch nur den Hauch eines Verdachts der Illoyalität im Keim zu ersticken, hat der Sohn eines italienischen Einwanderers seine italienische Staatsbürgerschaft Anfang August freiwillig abgegeben.

Aber auch ohne Doppelbürgerschaft: Spätestens wenn Ignazio Cassis mal wieder die Gitarre zur Hand nimmt und beherzt «Che sarà» schmettert, weiss die Schweiz: Jetzt haben wir Italianità im Bundesrat.

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