Bundesrat könne machen, was er wolle
Cassis stösst Parlamentarier vor den Kopf

Das Parlament schaut argwöhnisch auf die Landesregierung, die wegen des Corona-Notstands eigenmächtig agiert. Nun hat Ignazio Cassis das Vertrauen in den Bundesrat aber zusätzlich geschwächt: Die Regierung könne jetzt machen, was sie wolle, liess er Politiker wissen.
Publiziert: 27.04.2020 um 19:52 Uhr
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Aktualisiert: 06.01.2021 um 11:25 Uhr
Pascal Tischhauser

Parlamentarier sorgen sich darum, wie die Schweiz wieder aus dem Corona-Notrecht herauskommt. Und das, obwohl am Montag in einem ersten Schritt Coiffeursalons und Gartencenter wiedereröffneten.

Dass die Landesregierung wegen der Pandemie das öffentliche Leben am 16. März heruntergefahren hatte, findet grossmehrheitlich die Zustimmung der Politiker. Nun aber befürchten Parlamentarier, dass der Bundesrat sich an die Macht gewöhnt und ihm das Loslassen schwerfallen könnte – ungeachtet der Lockerungen beim Lockdown.

Bundesrat könne sowieso alles selbst entscheiden

Genährt hat diese Befürchtung am Montag vor einer Woche Aussenminister Ignazio Cassis (59, FDP). In der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats (APK-N) ging es darum, ob die APK-N eine Kommissionsmotion beschliessen soll oder nicht. Der Tessiner Cassis sagte laut mehrerer Mitglieder aus drei verschiedenen Parteien, es reiche ja, wenn die Kommission der Regierung einen Brief schreibe. Der Bundesrat könne in der ausserordentlichen Lage ja sowieso selbst entscheiden.

Bundesrat Ignazio Cassis hat sich unter den Aussenpolitikern keine Freunde gemacht.
Foto: Keystone
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Die Aussage kam bei den Parlamentariern schlecht an. Dabei scheint Cassis kein Einzelfall zu sein: Ein weiteres Parlamentsmitglied, das kein Mitglied der APK-N ist, berichtet ebenfalls von Machtgelüsten, die der Notrechtszustand bei Regierungsmitgliedern wecke.

Auch Cassis selbst ist die gefährliche Verführung der Macht sehr wohl bewusst, wie er zu BLICK sagte: «Man muss möglichst rasch wieder zurück zur Normalität finden. Sonst könnte der Chef plötzlich Freude daran bekommen, Chef zu sein», sagte er letzte Woche im Interview. «Ich bin froh, dass das Parlament bald wieder tagt.»

«Anhaltend im Corona-Modus»

Der Ausserrhoder FDP-Ständerat und Rechtsanwalt Andrea Caroni (40) hat sich schon mehrfach zum Ausstieg aus dem Notrecht geäussert. Er meint: «Wir sollten bei den Gesetzesgrundlagen fürs bundesrätliche Handeln nochmals über die Bücher. Unser aktuelles System ist darauf ausgelegt, einmalig eine Bank zu retten.» Nicht aber auf eine länger anhaltende Situation. «Jetzt sind wir anhaltend im Corona-Modus. Der Bundesrat muss laufend auf die neusten Entwicklungen reagieren.» Aber wenn er immer wieder neue Entscheidungen fällen müsse, sei zu wenig klar, wie und wann diese auslaufen müssten.

Notrechtsverordnungen enden erstens, wenn der Bundesrat diese aufhebt. Zweitens, wenn er sie nicht innert einer Frist von sechs Monaten dem Parlament unterbreitet. Oder drittens, wenn das Parlament danach die Massnahmen nicht weiterführt. So die gesetzlichen Regeln.

Fristen sind unklar

«Da der Bundesrat den Lockdown Mitte März ausrief, müsste dieser Mitte September spätestens enden. Aber gilt die Frist auch, wenn die Massnahmen immer wieder verändert werden?», fragt Caroni. «Und was ist, wenn die Landesregierung bei einer zweiten Welle im November erneut einen Lockdown verfügt? Es braucht hier klare Regeln.»

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