Bundesrat aus Ausland bedroht
Darum holte Sondereinheit Tigris Schweizer Erpresserin von Berset ab

Die Bedrohung von Bundesratsmitgliedern hat seit Corona stark zugenommen. Aber schon vorher gab es öfter Drohungen. Und einen Versuch, Innenminister Alain Berset zu erpressen. Lange war unklar, ob der Erpressungsversuch mit Drohanrufen aus Deutschland zu tun hat.
Publiziert: 16.09.2021 um 20:04 Uhr
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Aktualisiert: 16.09.2021 um 22:23 Uhr
Pascal Tischhauser und Lea Hartmann

Knapp drei Wochen waren es noch zu den Bundesratswahlen, als bei Innenminister Alain Berset (49) am 21. November 2019 das verhängnisvolle E-Mail einging. In einer englischsprachigen Nachricht forderte eine Frau 100'000 Franken vom SP-Bundesrat. Sonst gebe sie Informationen bekannt, die ihm schaden würden. Im Anhang zur Mail fanden sich private Fotos und Korrespondenzen zwischen ihr und dem Innenminister.

Zur selben Zeit waren mehrere Drohanrufe von deutschen Anschlüssen aus eingegangen. Involvierte sprechen von einer «Gefährdungssituation». Es war unklar, ob das Erpresser-Mail damit in Verbindung stand oder nicht.

Strafklage nach Bundesratswahl

Da die Erpresserin aus Bersets persönlichem Umfeld stammte, schaltete der Innenminister gleichentags privat den Berner Anwalt Patrik Eisenhut ein.

Unter der Bundeshauskuppel war es ruhig geworden rund um die versuchte Erpressung von ...
Foto: imago images/Andreas Haas
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Bersets Seite versuchte lange, die Frau von ihrem Vorhaben abzubringen. Am Tag nach der Bundesratswahl legte Bersets Anwalt schliesslich bei der Bundesanwaltschaft Strafklage wegen Erpressung ein.

Die «Weltwoche» hatte vergangenen November bereits über die versuchte Erpressung berichtet. Nun legt das Blatt von SVP-Nationalrat Roger Köppel (56) nach. Dem Magazin liegen eigenen Angaben zufolge die streng unter Verschluss gehaltenen Untersuchungsakten zum Fall Scarlett Gehri vor, wie die «Weltwoche» die Frau mit Pseudonym nennt.

Die Sondereinheit Tigris der Bundeskriminalpolizei hielt die Frau in ihrer Wohnung an.
Foto: zvg

Laut dem Wochenmagazin hat die Bundesanwaltschaft daraufhin sofort das Abhören von Gehris Smartphone eingeleitet. Am Freitag, 13. Dezember 2019 wurde sie am frühen Morgen vor ihrer Wohnung von Bundespolizisten der Sondereinheit Tigris angehalten. Zu siebt sei die «terrorerprobte Kampfeinheit» in das Haus der Frau eingedrungen, schreibt das Magazin.

Wie Blick-Recherchen zeigen, bestand bei den Behörden zum Zeitpunkt der Hausdurchsuchung noch Unsicherheit darüber, ob die Erpressung nicht doch im Zusammenhang mit den Drohanrufen stand. Denn als die in verschiedenen Sprachen geäusserten Drohanrufe aus Deutschland eingingen, hatte sich die Frau zeitweise in Deutschland befunden.

«Sehr kooperativ»

Dass in einem solchen Fall eine Einsatzgruppe wie die Tigris-Einheit beigezogen wird, sei normal, versichert Cathy Maret, Sprecherin des Bundesamts für Polizei (Fedpol). «Bei der vorliegenden Anhaltung hielten sie sich im Hintergrund und waren selbstverständlich auch nicht in Vollmontur.» Nicht die Spezialkräfte, sondern eine Ermittlerin und ein Ermittler in Zivil hätten die Frau auf der Strasse angesprochen. «Es verlief alles sehr kooperativ», sagt Maret zu Blick.

Die Polizei beschlagnahmte Handys und Computer. Laut «Weltwoche» suchte sie in der Wohnung der Frau auch einen handschriftlichen Brief. Dieser sei allerdings bereits auf der Post gewesen. Aus dem Strafbefehl gegen Gehri, der Blick vorliegt, geht hervor, dass sie die Erpressung abbrechen wollte. Sie hatte Unterlagen wie den Brief an Berset zurückgeschickt. So ist sie auch nur wegen «versuchter Erpressung» schuldig gesprochen worden.

Vorwürfe nicht erhärtet

Im «Weltwoche»-Artikel des früheren SVP-Nationalrats Christoph Mörgeli (61) werden diverse Vorwürfe erhoben. So habe Berset beispielsweise sein Amt missbraucht und seinen Generalsekretär Lukas Bruhin die private Angelegenheit auf Staatskosten erledigen lassen.

Und laut dem Magazin hat Bersets Anwalt vor Einreichen der Klage einen Psychiater beigezogen. Dieser solle der Frau per Ferndiagnose – ohne auch nur einmal persönlich mit ihr gesprochen zu haben – eine «narzisstische Störung» diagnostiziert haben.

Die Vorwürfe lassen sich kaum stützen. So hat Bruhin wohl etwa zwei Arbeitsstunden fürs Bearbeiten der Erpressung aufgewendet – auch weil man die Verbindung zur Gefährdungslage eruieren musste, sagen zwei Involvierte. Und den Psychiater hatte der Anwalt um eine Einschätzung gebeten, weil der Verdacht bestand, die Frau könnte in einem labilen psychischen Zustand sein. Der Vorwurf, es habe sich um ein Gutachten gehandelt, mit dem die Frau hätte fertiggemacht werden sollen, sei «Bullshit», so einer der beiden Involvierten.

Verfahren möglich

Während das Verfahren wegen Erpressung mit der Verurteilung rechtlich abgeschlossen ist, könnte es wegen des Artikels ein Verfahren geben: «Wer aus Akten, Verhandlungen oder Untersuchungen einer Behörde, die durch Gesetz oder durch einen gesetzmässigen Beschluss der Behörde als geheim erklärt worden sind, etwas an die Öffentlichkeit bringt, wird mit Busse bestraft», heisst es im Strafgesetzbuch. Es wird zu untersuchen sein, ob ein Verstoss dagegen vorliegt.

Bei den Behörden bestehen laut Blick-Informationen Anzeichen dafür, dass die Prozessunterlagen vom Fedpol aus an die «Weltwoche» gelangt sein könnten. Erhärte sich der Verdacht, müsse das untersucht werden.

Weiter geht die Geschichte auch politisch. Laut den Zeitungen von CH Media stellt SVP-Nationalrat Alfred Heer (59) in der Geschäftsprüfungskommission (GPK) den Antrag, sich des Falls anzunehmen.

Bundesrat Berset, der Pflichtanwalt der Verurteilten sowie der beigezogene Psychiater wollten sich auf Blick-Anfrage nicht zum Fall äussern. Bersets Verteidiger Eisenhut verweist auf den Strafbefehl, der alle relevanten Unterlagen zum Fall würdige. Und das Innendepartement lässt ausrichten: «Bundesrat Alain Berset wurde Ende 2019 Opfer eines Erpressungsversuchs. Es gibt ein rechtskräftiges Strafurteil zu diesem Erpressungsversuch mit unwahren und ehrverletzenden Behauptungen einer Privatperson gegenüber Bundesrat Berset. Die Täterschaft hat ihre unwahren und ehrverletzenden Aussagen zurückgezogen.»

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