Bundesrätin Amherd fordert
«Müssen Diskussion über Neutralität führen»

Was heisst Neutralität, wenn in Europa Krieg herrscht? Bundesrätin Amherd findet, darüber brauche es eine breite Debatte.
Publiziert: 08.05.2022 um 00:37 Uhr
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Aktualisiert: 12.05.2022 um 14:33 Uhr
Camilla Alabor

Der Krieg in der Ukraine wirft Fragen auf, von denen man glaubte, sie stellten sich gar nicht mehr. Jene nach der Bedeutung der Neutralität zum Beispiel. Mitte-Präsident Gerhard Pfister (59) hatte unlängst klargemacht, dass aus seiner Sicht die strikte Auslegung der Neutralität der Vergangenheit angehören sollte. So forderte er den Bundesrat auf, Deutschland zu erlauben, Schweizer Kriegsmaterial in die Ukraine zu exportieren.

Auch an der gestrigen Delegiertenversammlung der Mitte-Partei in Näfels GL kam Pfister auf das Thema zu sprechen. Warum die Schweiz Waffen an Saudi-Arabien liefere, nicht aber an die Ukraine, fragte der Mitte-Chef rhetorisch. Für ihn stelle sich die Frage: «Ab wann ist Neutralität unanständig?»

Bundesrätin Viola Amherd (59) gab sich an der Delegiertenversammlung zurückhaltender. Doch auch sie ruft im Gespräch mit SonntagsBlick zu einer Debatte über die Neutralität auf – und verteidigt den Entscheid ihrer Partei, das Armeebudget aufzustocken.

Der Krieg in der Ukraine wirft alte Gewissheiten über den Haufen. Die Schweiz müsse eine Diskussion über die Neutralität führen, findet Bundesrätin Viola Amherd.
Foto: keystone-sda.ch
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SonntagsBlick: Frau Bundesrätin Amherd, die Bürgerlichen wollen mehr Geld für die Armee. Gibt es überhaupt Projekte, die angesichts der veränderten Ausgangslage bereit zur Umsetzung wären?
Viola Amherd: Es ist nicht so, dass sich die Ausgangslage komplett verändert hätte. Die aktuellen Bedrohungen wurden schon in früheren Berichten skizziert, aber wir mussten anhand der vorhandenen Mittel priorisieren. Mit der aktuellen Situation ist die Dringlichkeit grösser geworden. Deshalb ist es wichtig, dass wir gewisse Projekte, die schon vorgesehen waren, vorziehen können. Mit einer schrittweisen Erhöhung der Mittel bis 2030 können wir jene Projekte realisieren, die dringlich, sinnvoll und bereit sind.

Die Kommandanten erzählen von der Wertschätzung für die Armee, die sie plötzlich erfahren. Machen Sie diese Erfahrung auch?
Ich spüre schon, dass sich die Sensibilität für die Armee stark verändert hat. Praktisch überall, wo ich auftrete, kommen die Leute auf mich zu und sagen: «Kauft diesen Flieger, wir können nicht länger zuwarten.»

Apropos Kampfjet: Sie hatten den Gegnern des US-Kampfjets F-35 gesagt, sie sollen ihre Initiative zurückziehen. Ist das demokratiepolitisch nicht etwas fragwürdig?
Ich hatte keinen Appell gemacht, die Initiative zurückzuziehen. Ich hatte gesagt, es wäre gut, wenn die Initianten in Betracht ziehen würden, die Initiative zurückzuziehen. In der heutigen Situation ist es berechtigt, dass man diese Überlegung macht.

Trotzdem: Ist es nicht eine Kompetenzüberschreitung, wenn eine Bundesrätin die Bürger dazu auffordert, auf ihr Recht, eine Initiative zu ergreifen, zu verzichten?
Nein. Ich nehme ja keinen Einfluss auf die Initianten. Diese sind frei zu entscheiden, wie sie wollen. Aber ich darf eine Meinung dazu haben, auch als Bundesrätin. Und es hat ja schon eine Abstimmung über den Kampfjet gegeben – die Bevölkerung hat damals Ja gesagt.

Braucht es angesichts der aktuellen Lage ein Update der Neutralitätspolitik?
Das Neutralitätsrecht ist klar: Waffenexporte sind nicht erlaubt. Aber wir müssen eine breite politische Diskussion über die Neutralitätspolitik führen.

«Schweiz muss die Neutralität neu definieren»
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