Bund und Polizei haben Schnauze voll von Fangewalt-Strategie
«Fussballklubs schiessen aus allen Rohren, wenn ihnen etwas nicht passt!»

Nach wiederholten Fanausschreitungen haben Städte und Kantone gemeinsam mit der Fussballliga und Clubs einen Massnahmenplan vorgelegt. Vorerst aber passiert erst einmal gar nichts. Beim Bund zeigt man sich herb enttäuscht.
Publiziert: 16.03.2023 um 00:35 Uhr
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Aktualisiert: 16.03.2023 um 07:47 Uhr

Im Herbst 2021 lupfte es Bund und Kantonen den Hut: Nach erneuten Ausschreitungen beim Zürcher Stadtderby drängte Sportministerin Viola Amherd (60) auf die Einführung von personalisierten Tickets. Auch die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) sprach sich einstimmig dafür aus. Schon auf die Saison 2022/23 sollte es so weit sein. Flächendeckend. Swiss Football League (SFL) und Klubs waren dagegen. Stadion-Eintritte mit ID-Kontrolle sind ein heisses Eisen, weil sie das Publikum vergraulen könnten.

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Anderthalb Jahre sind die Verantwortlichen zusammengesessen. Am Montag stellten sie ihren Bericht vor. Von der Entschlossenheit der Behörden ist wenig übrig geblieben. Vorgesehen ist ein stufenweiser Massnahmenplan. Vorerst aber passiert erst einmal: gar nichts. SFL und Vereine haben sich durchgesetzt.

«Der Entscheid ist nicht nachvollziehbar»

In Amherds Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) kommt der Entscheid gar nicht gut an. Die Sportministerin selber will ihn nicht kommentieren. Auch sonst fehlt eine offizielle Stellungnahme. Die Bundesbeamten wollen ihren Kollegen aus Kantonen und Städten nicht öffentlich in den Rücken fallen.

Nach erneuten Ausschreitungen beim Zürcher Stadtderby im Oktober 2021 war der Aufschrei gross.
Foto: Claudio Thoma/freshfocus
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Hinter vorgehaltener Hand aber fallen deutliche Worte: «Der Entscheid ist nicht nachvollziehbar. Es erstaunt schon sehr, dass man jetzt gar keinen Schritt vorwärtsmacht», heisst es etwa. Der Druck der Klubs und aus der Fanszene sei sehr gross. Offensichtlich habe man es sich in einem Wahljahr nicht mit der Bevölkerung verscherzen wollen.

Liessen sich Behörden unter Druck setzen?

Beim Bund hat man ganz offensichtlich die Nase voll. «Jedes Mal, wenn wieder ein Zugwagen auseinandergenommen wird, sagen Polizeien und Regierungen: Jetzt muss etwas passieren», heisst es konsterniert. «Nur: Das sind immer leere Worte.»

Auch in Polizeikreisen ist Ernüchterung spürbar. Schliesslich müssen die Korps bei Fangewalt regelmässig den Kopf hinhalten. Auch hier ist der Verdacht aufgekommen, dass sich Städte und Kantone unter Druck setzen liessen. «Die Klubs sind äusserst gut organisiert. Wenn denen was nicht passt, schiessen sie aus allen Rohren und stellen unliebsame Meinungen auch mal öffentlich an den Pranger.» Das habe man schon erleben müssen, berichtet ein Insider.

«Meine Hoffnung hängt nicht im luftleeren Raum»

Die Direktbeteiligten aus Städten und Kantonen, die am Entscheid beteiligt waren, sehen das Glas hingegen als halb voll an. «Wichtig ist, dass dieses Mal alle mit im Boot sind», betont der Stadtberner Sicherheitsdirektor Reto Nause (51). Bisher hätten jeweils die Behörden einseitig verfügen müssen, was immer zu vielen Diskussionen über die Verhältnismässigkeit geführt habe.

Und: Personalisierte Tickets seien nicht vom Tisch. Es brauche aber viele rechtliche Abklärungen. «Das hat man etwas unterschätzt», so Nause. Nun aber werde erst der konkrete Massnahmenplan erstellt. Dann wüssten Fans genau, welche Konsequenzen folgen, wenn sie sich nicht an die Regeln halten.

VBS will nichts mehr damit zu tun haben

Die Erarbeitung des detaillierten Massnahmenplans wird aber noch zu reden geben. «Da bin ich schon noch gespannt», sagt Nause. Liga und Klubs stünden jetzt in der Pflicht, mitzuziehen. «Hier ist heute aber mehr Bereitschaft erkennbar», findet er. «Meine Hoffnung hängt deshalb nicht im luftleeren Raum.»

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Beim Bund ist man da weniger optimistisch. Amherds Departement werde bei den nächsten Ausschreitungen nur noch darauf verweisen, dass die Kantone diesen Entscheid gefällt hätten. Das VBS wolle sich nur noch sehr zurückhaltend äussern und keine runden Tische mehr durchführen.

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