Bürgermeisterin ist sich keiner Schuld bewusst
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Deutsche Exklave kassierte:Büsingen-Bürgermeisterin ist sich keiner Schuld bewusst

Bund meinte, Büsingen gehöre zur Schweiz
Jahrelang Gelder an deutsche Vereine bezahlt

Bundesbeamte meinten jahrelang, dass Büsingen eine Schweizer Gemeinde sei. Die dortigen Sportvereine kamen deshalb in den Genuss finanzieller Unterstützung – zu Unrecht.
Publiziert: 20.12.2022 um 00:18 Uhr
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Aktualisiert: 20.12.2022 um 13:57 Uhr
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Georg NopperRedaktor News

Das Bundesamt für Sport (Baspo) hat jahrelang Fördergelder von «Jugend+Sport», dem grössten Sportförderungsprogramm des Bundes für Kinder und Jugendliche, an Vereine in der Ortschaft Büsingen bezahlt. Was dem Baspo in Magglingen BE dabei entgangen ist: Büsingen gehört gar nicht zur Schweiz. Es ist eine deutsche Exklave, die vollständig von Schweizer Staatsgebiet umgeben ist.

Die örtlichen Sportvereine hätten somit gar nie Anrecht auf die Gelder gehabt. Beim Baspo ist das aber jahrelang keinem aufgefallen. Kommunikationschef Christoph Lauener verteidigte sich gegenüber den «Schaffhauser Nachrichten», die die Angelegenheit publik machten: «Es war den Mitarbeitenden nicht ersichtlich, dass es sich bei Büsingen nicht um eine Schweizer Gemeinde handelt.» Die Anträge für die Fördergelder seien dem Baspo jeweils durch die kantonale Dienststelle für Sport des Kantons Schaffhausen übermittelt worden.

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Geografie: mangelhaft. Dem Bundesamt für Sport war lange Jahre unklar, dass die Gemeinde Büsingen zu Deutschland gehört.
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Lauener bestätigt, dass man im Bundesamt davon ausgegangen war, dass Büsingen eine Gemeinde des Kantons Schaffhausen ist. Doch offenbar sind es nicht bloss mangelnde Geografiekenntnisse, die zum Fehler führten: Die «SonntagsZeitung» berichtete schon 2011, dass in den Jahren 2008 bis 2010 jeweils in 25 bis 30 Fällen geschwindelt worden war, wie das Amt der Zeitung damals bestätigte.

2008 waren laut dem Artikel zwei grosse Betrugsfälle in der Gesamthöhe von 97'318 Franken aufgeflogen. 2009 musste das Baspo fünf Fälle mit einer Deliktsumme von fast 170'000 Franken verbuchen. Und ein Jahr später waren es noch immer 29'032 Franken, die das Amt von Vereinen zurückforderte.

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Rückzahlung nicht nötig

Erst diesen November war dem Baspo aufgefallen, dass Büsingen zu Deutschland gehört. Danach wandte sich das Bundesamt in einem Schreiben an die betroffenen Sportvereine. Sie hätten ihren Sitz auf deutschem Staatsgebiet und damit eigentlich gar nie Anrecht auf Unterstützung gehabt, hiess es. Doch: Die bereits einkassierten Fördergelder müssen die Vereine nicht zurückzahlen.

Laut Baspo erhielt der Tennisclub Büsingen seit 2009 Unterstützungsgelder, der Turnverein seit 2011 und der FC Büsingen seit 2015. Dem Fussballklub wurden demnach in den Jahren 2018 bis 2021 jährlich zwischen 9000 und 15'000 Franken ausbezahlt. Er hat mit Abstand am meisten Geld erhalten. Insgesamt sind rund 60'000 Schweizer Franken in die deutsche Gemeinde geflossen.

Anträge waren dank Schweizer Postleitzahl möglich

Doch wie konnte das passieren? Zur Beantragung der Fördergelder musste jeweils Büsingens Postleitzahl angegeben werden. Die Verantwortlichen haben sich dabei den Umstand zunutze gemacht, dass Büsingen neben einer deutschen auch eine Schweizer Postleitzahl hat. Laut den «Schaffhauser Nachrichten» bedienten sich die Verantwortlichen deshalb eines Tricks: Sie trugen einfach die schweizerische Postleitzahl ein. «Uns wurde gesagt, wir sollen das so machen, damit die Subventionen ausbezahlt werden können», räumt Daniel Spitz (47), Leiter der Dienststelle Sport, Familie und Jugend des Kantons Schaffhausen, im Artikel ein.

Offenbar war man sich in Schaffhausen also durchaus bewusst, dass man hier zumindest in einem Graubereich handelt. Dennoch teilt Lauener Blick mit: «Wir werden keine Anzeige erstatten. Es besteht ein Ermessensspielraum gemäss Subventionsgesetz.»

Der grosszügige Umgang mit den Steuergeldern durchs Baspo erstaunt umso mehr, weil wohl auch dem Amt aufgefallen sein dürfte, dass Daniel Spitz nicht nur beim Kanton arbeitet, sondern gleichzeitig noch die Junioren des FC Büsingen leitet.

Man habe im Glauben gehandelt, erklärt sich Spitz, dass den Vereinen das Geld zustehe, «da auch viele Schaffhauser Kinder und Jugendliche in den Büsinger Sportvereinen beheimatet sind».

Im Schweizer Sportsystem integriert

Und der FC-Büsingen-Präsident Heinz Wipf (66) doppelt nach, die meisten Nachwuchsspieler in seinem Verein seien ja Schweizer. «Sicher 85 Prozent wohnen in der Schweiz», sagt Wipf zu Blick. «Wir orientieren uns ganz klar nach der Schweiz.» Das ist auch beim Tennisclub Büsingen der Fall. Vizepräsident Christian Risch (64) erklärt: «Die Büsinger Vereine sind bei den Schweizer Dachorganisationen und nicht bei den deutschen. Wir sind bei Swiss Tennis Mitglied. Wir sind vollumfänglich ins Schweizer Sportsystem integriert.»

Der Tennisclub Büsingen hat sogar seinen Ursprung in der Schweiz: «Wir sind 2007 aus Schaffhausen nach Büsingen umgezogen», sagt Risch. «Ich bin selber Schaffhauser.» Beim Tennisclub sei man «befremdet und überrascht» über die Kursänderung des Bundesamts. Die Förderbeiträge für den Tennisclub betrugen laut Risch vor Corona maximal 3000 bis 4000 Franken pro Jahr.

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«Es trifft uns schon sehr empfindlich»
Heinz Wipf, Präsident FC Büsingen
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Beim FC Büsingen waren die Summen wie oben geschildert höher. «Diesen gut fünfstelligen Betrag haben wir bereits im Budget drin», sagt Wipf. «Es trifft uns schon sehr empfindlich, dass die Fördergelder jetzt ausfallen. Wir waren schon von Corona stark betroffen, weil für uns die viel strengeren deutschen Verordnungen galten.» Während rundherum in der Schweiz wieder trainiert worden sei, habe in Büsingen noch das deutsche Verbot gegolten.

Mit Hannes Germann (66) hat der FC Büsingen sogar einen Vertreter in Bundesbern. Auch der Schaffhauser SVP-Ständerat, der in der Seniorenmannschaft des Vereins spielt, unterstreicht die wirtschaftliche und gesellschaftliche Vernetzung von Büsingen mit der Schweiz. «Nach dem Buchstaben des Gesetzes war der Entscheid des Baspo sicher richtig», sagt er. «Aber es spricht jetzt alles für eine pragmatische Lösung.»

Es bräuchte Staatsvertrag

Und auch das Baspo hat Verständnis für die Enttäuschung der Vereine. «Zumal die Gelder von den vier Vereinen zweckmässig eingesetzt worden sind», so Sprecher Lauener zu Blick. «Aber die gesetzlichen Grundlagen lassen kein anderes Vorgehen zu.» Dafür bedürfte es eines Staatsvertrags, wie er mit Liechtenstein besteht.

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