Blick erklärt
Warum ist der Strom eigentlich so teuer?

Die Strompreise sind explodiert. Privathaushalte zahlen 2023 je nach Gemeinde mehr als das Doppelte für den Strom. Unternehmen auf dem freien Markt sogar das 16-fache. Aber warum ist der Strom so teuer? Blick erklärt, wie die Strompreise an der Börse entstehen.
Publiziert: 16.09.2022 um 10:11 Uhr
Thomas Müller

16 Mal mehr soll Gewerbeverbandspräsident und Mitte-Nationalrat Fabio Regazzi (60) nächstes Jahr für den Strom seiner Metallbaufirma bezahlen. Und für Privathaushalte in der Grundversorgung steigen die Strompreise 2023 durchschnittlich um 27 Prozent. Vor allem kleinere Versorger ohne eigene Kraftwerke mussten ihre Preise stark erhöhen, da sie ihren Strom auf dem Markt einkaufen. In Oberlunkhofen (AG) zahlen Haushalte nächstes Jahr mehr als das Doppelte.

Im Moment sind die Strompreise an der Börse auf Rekordhöhe. Aber wieso ist der Strom eigentlich so teuer?

Schuld ist der Preis-Mechanismus

Die Herstellungskosten pro Kilowattstunde für ein Wasser-, Atom- oder Solarkraftwerk haben sich nicht verändert. Der Grund für die hohen Preise liegt woanders: nämlich an der Strombörse. Die Preise an der Strombörse haben nicht direkt mit den Herstellungskosten der einzelnen Kraftwerke zu tun. Sie werden nach dem sogenannten Merit-Order-Prinzip gemacht. Was kompliziert klingt, ist eigentlich ein relativ einfacher Mechanismus.

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Foto: imago/Christian Ohde
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An der Tages-Strombörse (Spotmarkt) listen alle Stromproduzenten den Strom auf, den sie am nächsten Tag produzieren können. Dazu geben sie jeweils den Preis an, den sie mindestens bekommen möchten. Wer Strom kaufen will, meldet das ebenfalls. Es wird dann so lange das nächst teurere Angebot an Strom angenommen, bis die ganze Nachfrage gedeckt ist. Das teuerste Angebot, dass dann jemand angenommen hat, bestimmt den Tagespreis. Aller Strom wird schliesslich zu diesem Preis verkauft.

Günstige Angebote fehlen

Das Problem ist jetzt, dass in Frankreich momentan mehr als die Hälfte der Atomkraftwerke keinen Strom produzieren. Dadurch fallen viele günstige Angebote weg. Hinzu kommt: Die sonst schon eher teuren Angebote an Strom aus Gaskraftwerken sind im Moment noch teurer, weil Putin den Gashahn zugedreht hat.

Weil er eben teuer ist, kommt der Strom aus den Gaskraftwerken erst zum Einsatz, wenn die anderen Angebote nicht ausreichen, um die Nachfrage abzudecken. Das ist im Moment immer der Fall. Deshalb ist das teuerste Angebot, das angenommen wird, im Moment wesentlich teurer als in den Jahren zuvor. Und dieses bestimmt, wie erwähnt, den Preis für alle Anfragen. Folglich wird der ganze Strom wesentlich teurer.

Was aber nicht heisst, dass der ganze Strom auch teurer produziert wurde. Die Gestehungskosten – das entspricht ungefähr den Herstellungskosten – bleiben gleich. Der Strom ist also nur so teuer, weil es zu wenig günstige Angebote hat. Stromkonzerne wie Axpo oder Alpiq können also massive Gewinne einheimsen.

Ihren Strom, den sie zu ein paar Rappen pro Kilowattstunde produzieren, wird wegen dem Merit-Order-Prinzip viel teurer verkauft. Aber weshalb braucht die Axpo dann einen Rettungsschirm von vier Milliarden?

Jahre im Voraus verkauft

Es gibt noch eine zweite Börse: Den Terminmarkt. Dieser funktioniert grundsätzlich gleich wie der Spotmarkt, aber mit einem grossen Unterschied. Es geht nicht um den Strom, der am nächsten Tag produziert und verkauft wird. Auf dem Terminmarkt werden langfristige Verträge abgeschlossen. Oft mehrere Jahre im Voraus. Eine Firma kauft dort zum Beispiel heute ihren Jahresverbrauch für das Jahr 2025 ein.

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Der Strom, den ein Kraftwerk heute produziert, wurde also schon vor drei Jahren verkauft. Zum damaligen Preis. Damit der Käufer abgesichert ist für den Fall, dass der Strom nicht geliefert wird, muss der Stromhersteller bei diesen Termingeschäften Geld als Sicherheit hinterlegen.

Der Betrag entspricht dem Unterschied zwischen dem abgemachten Preis und dem Preis, den der Strom heute an der Börse kostet. Denn dort müsste der Käufer den Strom ja kaufen, wenn der Stromhersteller nicht liefern kann.

Angst um Liquidität

Eine Firma hat beispielsweise vor drei Jahren bei der Axpo 100 Megawattstunden Strom für 4000 Franken gekauft. Jetzt würde dieselbe Menge Strom an der Börse 40'000 Franken kosten. Deshalb muss die Axpo in diesem Beispiel der Firma 36'000 Franken bereitstellen. Ändert sich der Preis, ändert sich auch der Betrag. Mit der Preisexplosion an den Märkten steigen die benötigten Sicherheiten in atemberaubende Höhen.

Steigen die Preise noch weiter, befürchtet die Axpo, dass ihr das Geld ausgeht. So entsteht die scheinbar paradoxe Situation, dass der Axpo riesige Gewinne in den nächsten Jahren winken, sie aber dennoch beim Bund für Geld anklopfen musste.

Die hinterlegten Sicherheiten wird sie aber, sobald der Vertrag erfüllt – also der Strom geliefert – ist, vollständig zurückerhalten. Sollte sie den Kredit des Bundes beanspruchen, wird sie darauf allerdings Zinsen berappen müssen. Diese sind mit gut zehn Prozent ziemlich hoch.

Bleibt der Preis so hoch?

Wann und ob der Strompreis wieder sinken wird, ist unklar. Längerfristig, also im Verlauf der nächsten Jahre, sollten wieder vermehrt günstige Angebote auf den Markt kommen. Die französischen AKWs dürften schon nächstes Jahr wieder Strom produzieren. Zusätzlich werden im Moment verschiedene erneuerbare Energieprojekte im Eiltempo realisiert.

Wie der Ukraine-Krieg sich entwickelt, ist nicht vorherzusagen. Aber über die nächsten Jahre wird die Abhängigkeit von russischem Gas sicher abnehmen, wenn sich die Lage nicht entspannt. Die EU verfolgt das Ziel, bis in fünf Jahren unabhängig vom russischen Gas zu werden. Wobei daran gezweifelt wird, ob dies gelingen kann.

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Diese Faktoren würden – so darf angenommen werden – die Lage auf lange Frist tatsächlich entspannen, bestätigt Alpiq-Sprecher Guido Lichtensteiger. Aber: «In welchem Ausmass, ist schwierig zu beurteilen. Die letzten Monate haben gezeigt, dass angesichts der Verwerfungen auf den Energiemärkten Prognosen noch viel schwieriger geworden sind.»

Die Situation, die wir jetzt haben, sei unvergleichlich, so Lichtensteiger. Insgesamt geht die Alpiq aber davon aus, dass die Energiepreise noch für längere Zeit hoch bleiben werden – wenn auch nicht ganz auf dem Niveau der letzten Tage und Wochen.

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