Behörden von Andrang überrascht
Viel mehr wollen das Geschlecht ändern als erwartet

Dieses Jahr haben Hunderte in der Schweiz offiziell ihr Geschlecht geändert. Das geht heutzutage ganz leicht. Eine einfache Erklärung genügt. Der höchste Zivilstandshüter der Schweiz fordert jetzt ein offizielles drittes Geschlecht.
Publiziert: 07.08.2022 um 00:15 Uhr
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Aktualisiert: 07.08.2022 um 09:10 Uhr

Seit Anfang Jahr ist es ganz einfach, das Geschlecht zu wechseln. Ein Mann, der zur Frau werden möchte, und eine Frau, die ein Mann werden will, braucht nicht mehr ans Gericht zu gelangen. Eine einfache Erklärung auf dem Zivilstandsamt genügt.

Davon machen viel mehr Menschen als erwartet Gebrauch, wie die «NZZ am Sonntag» berichtet. In Bern haben seit Jahresbeginn 46 Personen ihr Geschlecht geändert. In Basel 47, in Genf 36, in Luzern 19. Die Betroffenen sind zwischen 12 und 75 Jahre alt. Neun waren jünger als 16 Jahre. Etwas mehr Menschen wechseln vom weiblichen zum männlichen Geschlecht als umgekehrt.

Zürich führt die Liste mit den meisten Geschlechtsänderungen an. Mitte Jahr sind es bereits 80. Das überrascht auch die Zivilstandsämter. Die Behörden rechneten mit viel weniger. Man ging von rund 30 Fällen fürs ganze Jahr aus, sagt Roland Peterhans vom Zivilstandsamt Zürich im Gespräch mit der Zeitung.

Seit Jahresbeginn kann man sein Geschlecht einfach ändern. Davon wird rege Gebrauch gemacht.
Foto: Thinkstock
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Keine Missbräuche bekannt

Von Missbräuchen der leichten neuen Regelungen ist Peterhans, der den Schweizerischen Verband für Zivilstandswesen präsidiert, nichts bekannt. So habe noch keine Person das eben geänderte Geschlecht nach ein paar Wochen wieder auf das Geschlecht der Geburt zurückändern wollen.

Auch ein angeblicher Fall aus Luzern scheint ihm suspekt, wo ein älterer Mann sein Geschlecht geändert haben soll, um als Frau früher Rente zu beziehen. Es könne ein Missbrauch sein, sagt Peterhans, doch «wenn man die Dinge etwas genauer anschaut, sind sie manchmal etwas anders, als man denkt».

Es liege auch nicht an den Behörden, eine «Gewissensprüfung» durchzuführen. Gespräche bei solchen Terminen würden nicht am Schalter, sondern in Einzelbüros geführt. «Dann beginne ich grundsätzlich damit, dass ich die Person bereits mit dem Geschlecht begrüsse, das sie sein will. Das ist mir wichtig, weil praktisch alle von ihnen schon in diesem Geschlecht leben, teilweise seit Jahren.»

«Eine Sache von zehn Minuten»

Beim geschlechtlichen Erscheinungsbild gebe es grosse Unterschiede. Peterhans: «Es gibt Leute, die sagen, dass man sie nicht nach ihrem Körper beurteilen dürfe, sondern ihr Inneres berücksichtigen müsse.» Das Gesetz verlange auch keine entsprechende Körperlichkeit. Die innere Überzeugung einer Geschlechtszugehörigkeit müsse vorhanden sein. «Ich frage die Menschen dann, was sie möchten. In der Regel möchten sie das Geschlecht und den Vornamen ändern. Ich nehme das entgegen, die Menschen unterschreiben und erhalten eine Bestätigung. Eigentlich ist es eine Sache von zehn Minuten.»

Kinder unter 16 Jahren müssen in Begleitung ihrer Eltern kommen. Auch da muss vom Kind persönlich zu hören sein, dass es im falschen Körper lebt und dass das Geschlecht nicht stimmt.

Oberster Zivilstandsbeamter für drittes Geschlecht

Es gebe aber auch Leute, sagt Peterhans, die weder männlich noch weiblich seien und denen diese Änderungsmöglichkeit nicht helfe. Der Zivilstandsbeamte spricht sich darum für die Einführung eines dritten Geschlechts aus.

Doch das Geschlecht habe auch im öffentlichen Leben noch immer eine Bedeutung, nur um unterschiedliches Rentenalter, Militärpflicht für Männer und die Witwenrente zu nennen. «Abschaffen sollten wir das Geschlecht in den nächsten Jahren nicht», sagt Peterhans. Doch ein drittes Geschlecht gehöre geprüft. Dazu gehöre genau analysiert, in welchen Bereichen das Geschlecht noch wichtig sei und welche Bedeutung das Geschlecht im öffentlichen Leben noch habe. (kes)


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