Banken und Versicherungen machen Frauenrentenlücke zum Geschäft
SP-Badran: «Das ist purer Zynismus»

Frauen erhalten im Alter mehr als ein Drittel weniger Rente als Männer. Diese Rentenlücke nutzen Banken und Versicherungen, um gezielt bei Frauen für Dritte-Säule-Angebote zu werben. Das stösst SP-Nationalrätin Jacqueline Badran sauer auf.
Publiziert: 23.06.2022 um 01:18 Uhr
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Aktualisiert: 23.06.2022 um 10:45 Uhr
Ruedi Studer

Frauen sind bei Banken und Versicherungen heiss umworben, wenn es um die Altersvorsorge geht. «Selbst ist die Frau – gerade in der Vorsorge», wirbt die Raiffeisen-Bank um weibliche Kundschaft. «Die private Vorsorge hilft gegen Renteneinbussen im Alter», versucht die Axa Frauen für ein Dritte-Säule-Konto zu gewinnen. Und eine Finanzberaterin der Zürcher Kantonalbank lockt: «Im Vorsorgebereich gebe ich meiner besten Freundin vor allem diesen Tipp: Säule 3a, Säule 3a, Säule 3a.»

Die Liste liesse sich mit zahlreichen weiteren Beispielen verlängern. Im Fokus der Werbung: die Frauenrentenlücke. Gemäss Zahlen des Bundes klafft im Alter zwischen den Geschlechtern nämlich ein massiver finanzieller Graben. Dieser «Gender Pension Gap» ist über alle Rentenleistungen gesehen riesig. So sind die Renten der Frauen um 37 Prozent oder fast 20'000 Franken tiefer als die Renten der Männer.

Die Altersvorsorge ist ein politisches Top-Thema. Im September kommt die AHV-Reform mit der Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 vors Volk. Schon am Montag startet Sozialminister Alain Berset (50) seine Kampagne dazu. Um die Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) wird im Parlament noch heftig gestritten. Und für die dritte Säule wollen die Bürgerlichen höhere, von der Steuer abziehbare Maximalbeiträge durchboxen.

Viele Frauen erhalten im Alter weniger Rente als Männer. Die Frauenrentenlücke wird bei Banken und Versicherungen zum Geschäftsmodell für Dritte-Säule-Produkte.
Foto: Keystone
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SP-Badran: «Purer Zynismus»

Dass nun ausgerechnet die Rentenlücke von den Versicherern genutzt wird, um ihre Produkte an die Frau zu bringen, stösst dem links-grünen Lager sauer auf. «Das ist purer Zynismus. Wie soll denn eine Verkäuferin, Coiffeuse oder Kindergärtnerin da einzahlen können, wenn sie Ende Monat jeden Rappen umdrehen muss?», sagt SP-Nationalrätin Jacqueline Badran (60) zu Blick. «Das ist Teppichetage-Feminismus. Denn gerade mal elf Prozent der Bevölkerung zahlen den maximalen Betrag in die 3a-Säule ein», so die Zürcherin. Die Frauen, die von der Lücke effektiv am stärksten betroffen seien, «verfügen entweder über keine oder eine schwache berufliche Vorsorge und können sich eine dritte Säule schon gar nicht leisten».

Für Badran ist klar, dass man die AHV-Renten stärken müsse, wenn man die Rentenlücke reduzieren wolle. Denn nur in der AHV führt die Finanzierung über zusätzliche Lohnprozente zu massgeblich steigenden Renten für die Frauen. 92 Prozent der Rentenbeziehenden würden wegen der solidarischen Finanzierung mehr aus der AHV erhalten, als sie je einzahlen, weiss Badran. «Mehr Lohnprozente für die AHV werden jedoch von der Versicherungslobby seit Jahrzehnten verhindert, weil sie dort nichts verdient», moniert Badran. «Stattdessen soll die AHV über die Mehrwertsteuer und ein höheres Rentenalter finanziert werden, damit mehr Lohnprozente in die zweite und dritte Säule fliessen, wo sich Versicherungen und Banken satt verdienen.»

SGB-Medici: «Falsche Rezepte»

Auch Altersvorsorge-Expertin Gabriela Medici (37) vom Gewerkschaftsbund bestätigt die «enorme Zunahme von Werbung für die dritte Säule – gerade auch spezifisch auf Frauen zugeschnitten». Das Problem der Rentenlücke werde zwar erkannt, doch zur Lösung würden die falschen Rezepte angeboten.

«Die Lobby der Versicherungen und Banken setzt sich im Bundeshaus aktiv für einen Abbau der AHV-Leistungen der Frauen ein. Gleichzeitig bauen sie ihr Geschäft in der privaten Vorsorge aus», moniert Medici. «Dabei ist klar: Den Frauen ist damit nicht geholfen.»

Tiefere Löhne, Teilzeit und mehr Betreuungsarbeit würden nur in der AHV ausgeglichen. «Deshalb sind Frauen so stark auf die AHV angewiesen.»

FDP-Sauter: «Problem liegt bei zweiter Säule»

FDP-Nationalrätin Regine Sauter (56) hingegen stört sich nicht an der Privatvorsorge-Werbung für Frauen. «Wir haben ein Drei-Säulen-System, da ist jeder Pfeiler wichtig.» Die linke Forderung nach einem AHV-Ausbau kommt bei ihr schlecht an. «Das Problem der Frauen-Rentenlücke liegt bei der zweiten Säule, deshalb müssen wir dort ansetzen», sagt die Zürcherin.

Sie will deshalb den sogenannten Koordinationsabzug senken oder am liebsten ganz abschaffen, damit mehr Lohn unter die BVG-Pflicht fällt. Damit könnten sich Tieflöhner und Teilzeitbeschäftigte, und das sind in der Mehrheit eben Frauen, eine bessere Rente aufbauen. Sie spricht sich auch für eine Stärkung der dritten Säule aus – etwa dass man auch für den nicht erwerbstätigen Ehepartner einzahlen kann.

Viel entscheidender sei aber die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie.«Frauen sollen nicht nur 50 Prozent oder weniger arbeiten, sondern in grösseren Pensen tätig sein können – dann reduziert sich auch die Rentenlücke.»

Versicherungsverband gegen AHV-Ausbau

Ähnlich tönt es beim Schweizerischen Versicherungsverband (SVV): «Unser Drei-Säulen-System ist in der Gewichtung zwischen Solidarität und Eigenverantwortung ausgewogen», erklärt Sprecher Jan Mühlethaler. «Der Mix aus staatlicher, beruflicher und freiwilliger Vorsorge ist und bleibt ein Erfolgsmodell für die Schweiz, wenngleich die Eckwerte der einzelnen Säulen anzupassen sind.»

Die Rentenhöhe hänge stark von der individuellen Erwerbsbiografie ab. Anpassungsbedarf sieht der Verband insbesondere in der zweiten Säule – etwa über eine tiefere Eintrittsschwelle und Koordinationsabzug. Einen generellen AHV-Ausbau lehnt der Verband ab.

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