Aus fürs Rahmenabkommen hat historisches Vorbild – aber nur begrenzt
Das machte die Schweiz nach dem EWR-Nein

Das bundesrätliche Nein zum Rahmenabkommen erinnert an das Volks-Nein zum EWR im Jahr 1992. Damals machte die Schweiz viele ihrer Gesetze «europakompatibel».
Publiziert: 31.05.2021 um 08:29 Uhr
Sermîn Faki

Nach dem Nein des Bundesrats zum Rahmenabkommen ist die Aufregung gross. Ganze Branchen fürchten um ihre Absatzmärkte, das Schreckgespenst der Rezession geht um. Die Gefühlslage gleicht damit jener nach dem 6. Dezember 1992, als die Schweizer Bevölkerung den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ablehnte.

In Anlehnung an diesen «schwarzen Sonntag» 1992 wurde Bundespräsident Guy Parmelin (61) am vergangenen Mittwoch denn auch gefragt, ob das jetzt ein «schwarzer Mittwoch« sei. Was Parmelin verneinte.

Keller-Sutter auf Kollers Spuren

Und doch macht sich der Bundesrat daran, ganz ähnlich wie damals zu reagieren. Genau wie einer ihrer Vorgänger, Arnold Koller (87), im Nachgang zum EWR-Nein will Justizministerin Karin Keller-Sutter (57) jetzt prüfen, wo die Schweiz Brüsseler Recht einseitig übernehmen könnte, um den Anschluss an den EU-Binnenmarkt nicht zu verlieren und die Union von Nadelstichen abzuhalten.

Die Bundesräte Ignazio Cassis, Guy Parmelin und Karin Keller-Sutter (von links) verkündeten am vergangenen Mittwoch das Aus des Rahmenabkommens.
Foto: Keystone
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Doch ein Blick in die Dokumente von damals zeigt, dass die Ausgangslage 1992 gänzlich anders war. Im Vorfeld des angestrebten EWR-Beitritts nämlich legte der Bundesrat 1992 ganze 60 Gesetzesreformen vor – um das Schweizer Recht jenem der Union anzugleichen.

Dieses sogenannte Eurolex-Paket umfasste von Kartellrecht über Konsumkredite und Invalidenversicherung bis hin zur Gleichstellung von Mann und Frau das gesamte politische Spektrum und wurde im Schnellzugtempo durchs Parlament gepeitscht, damit es bei der Volksabstimmung vom 6. Dezember vorlag.

Aus Eurolex wurde Swisslex

Mit dem Nein von Volk und Ständen hätte sich das Paket eigentlich erübrigt. Um den europapolitischen Flurschaden so gering wie möglich zu halten, brachte Koller allerdings 27 der 50 Gesetzesneuerungen nochmals ins Parlament. Unter dem Namen Swisslex sollten die Reformen das Schweizer Recht «europakompatibel» machen.

So wurden strengere Voraussetzungen für Konsumkredite geschaffen, die Pflichten für Anbieter von Pauschalreisen erhöht und für Frauen und Männer gleich hohe Unfallversicherungsprämien eingeführt.

Die heutigen Fachhochschulen lassen sich auf Swisslex ebenso zurückführen wie die Abschaffung des Saisonnierstatuts, welche im Verbund mit strengeren Restriktionen für Bürger von Drittstaaten sogar die Personenfreizügigkeit vorbereitete.

Keller-Sutters Paket wird kleiner sein

Noch etwas ist heute ganz anders: EU-Recht wird ständig übernommen. Schon 2012 schätzte eine Studie der ETH, dass die Schweiz seit 1992 etwa ein Viertel ihrer Gesetze an die EU angepasst hat. Viele davon, weil sie sich in den bilateralen Verträgen dazu verpflichtete.

Ein so grosses Paket wie Koller dazumal kann Keller-Sutter also nicht bringen. Wahrscheinlich ist, dass ihre Vorschläge jene zwei Punkte betreffen, an denen das Rahmenabkommen gescheitert ist: den Lohnschutz und die Unionsbürgerrichtlinie, die EU-Bürgern den Zugang zu unseren Sozialleistungen erleichtert hätte. Dass Keller-Sutter die Vorschläge gemeinsam mit Sozialpartnern und Kantonen ausarbeiten will, spricht jedenfalls dafür.

Koller brachte 1993 ganze 27 Anpassungen ins Parlament – das Inkrafttreten von 12 davon machte er aber davon abhängig, ob die EU-Staaten Gegenrecht gewähren. Und hier könnte sich Keller-Sutter doch noch eine Parallele eröffnen. Denn schon damals weigerten sich einige Parlamentarier, «Vorleistungen ins Blaue hinaus» zu machen, wenn gar nicht klar sei, ob die EU diese anerkennen werde. Dieser Diskussion wird sich Keller-Sutter mit Sicherheit stellen müssen.


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