Auf SBB-Areal sollen gemeinnützige Wohnungen entstehen
Zürcher stimmen über Gaga-Initiative ab

Diesen September kommt in der Stadt Zürich eine aussergewöhnliche Initiative an die Urne. Niemand hält sie nämlich für umsetzbar – nicht einmal das Initiativkomitee.
Publiziert: 14.08.2022 um 19:59 Uhr
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Aktualisiert: 15.08.2022 um 12:56 Uhr
Thomas Müller

2011 sprachen sich 72 Prozent der Stadtzürcher für mehr gemeinnützigen Wohnraum aus. Konkret: 30 Prozent des Wohnraums in der Stadt sollen gemeinnützig werden. Doch ausgerechnet ein Staatsbetrieb steht diesem Vorhaben im Weg. Auf Zürcher SBB-Land ist bisher nur rund ein Fünftel der Wohnungen gemeinnützig.

Doch gerade ist ein weiteres Projekt in Planung. Mitten in Zürich, an der Neugasse, soll aus einem alten Reparaturzentrum ein 30'000 Quadratmeter grosses Stück Stadt werden. Der Gemeinderat forderte von den SBB 50 Prozent gemeinnützige Wohnungen auf dem Areal.

Verkauf gefordert

Nicht allen war das genug. Denn: Nur wenn 100 Prozent der Wohnungen auf dem Neugasse-Areal gemeinnützig sind, wird die 30-Prozent-Quote über alle SBB-Areale hinweg erreicht.

Über die Zukunft des Neugasse-Areals im Zürcher Kreis 5 wird im September abgestimmt. Doch die Initiative ist gar nicht umsetzbar.
Foto: Screenshot Masterplanbericht SBB Immobilien
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Unter dem Titel «Eine Europaallee genügt – jetzt SBB-Areal Neugasse kaufen» drängt eine Initiative darum die Stadt, das ganze Areal zu erwerben und genau das umzusetzen. Das Problem: Die SBB wollen nicht verkaufen, wie sie die Zürcher Regierung in einer abschliessenden Antwort wissen liessen.

Man kann die SBB nicht zwingen

Da man den Konzern nicht einfach per Volksentscheid zum Verkauf zwingen kann, hat die Initiative keine direkte Auswirkung. Deshalb bat die Stadtregierung den Gemeinderat, die Initiative für ungültig zu erklären. Doch das wollte der wiederum nicht: Ein Verkauf sei ja nicht völlig undenkbar.

Und darum wird jetzt abgestimmt. Nur: Zu welchem Zweck, wenn die SBB nicht verkaufen wollen?

Es habe, so wirft Niklaus Scherr (78), alt Gemeinderat der Alternativen Liste AL und Mitglied des Initiativkomitees, ein, noch niemand wirklich versucht zu verhandeln. Der Stadtrat habe 2018 bloss in einem Brief nach einer verbindlichen Antwort gefragt.

Die Initiative soll daher eine neue Verhandlungsgrundlage schaffen und ein Signal nach Bern an den SBB-Hauptsitz senden, so Scherr.

Kompromiss in Gefahr

Allerdings: Die SBB und der Stadtrat haben seit Einreichung der Initiative einen Kompromiss gefunden. Ein Drittel der Wohnungen auf dem Neugasse-Areal soll gemeinnützig sein, bei einem weiteren Drittel soll der Preis für die nächsten Jahrzehnte streng reguliert sein. Eine gemeinnützige Dreizimmer-Wohnung würde dabei ungefähr 1400 Franken kosten, eine preisgünstige 1850 Franken, der Rest 2450 Franken. Dazu kommen ein Schulhaus und Gewerbeflächen.

Die SBB haben jedoch angekündigt, das Projekt bei Annahme der Initiative auf Eis zu legen. Denn dann sei der als nächstes benötigte Gestaltungsplan politisch chancenlos, so eine Sprecherin. Dabei handle es sich selbst beim teuersten Drittel nicht um «Luxuswohnungen», das Projekt sei vielmehr eine ausgewogene Lösung für alle.

SBB wollen Rendite

Dass die SBB aber möglichst viele Wohnungen zur Marktmiete anbieten wollen, ging aus einem internen Papier hervor, über das Blick im Mai berichtete. So zum Beispiel an der Europaallee neben dem Zürcher Hauptbahnhof, wo eine Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung 4600 Franken pro Monat kostet – ohne Nebenkosten.

Dabei sollten nach dem Willen des Bundesrats bis 2037 knapp die Hälfte der Wohnungen auf SBB-Land preisgünstig werden. Die Neugasse könnte da einen Beitrag leisten. Preisgünstig ist nicht gleich gemeinnützig. Dennoch verwundert, dass sich die SBB gegen die Erreichung der städtischen und ihrer eigenen Ziele sträuben.

Nicht der erste Streit

Schon beim letzten Mal, als die Stadt ein SBB-Areal übernehmen wollten, sorgten die Bundesbahnen für erheblichen Widerstand. Damals ging es um den Verkauf eines Areals von rund 10'000 Quadratmetern nahe des Bahnhofs Altstetten an die Stadt.

Erst als eine Dreierdelegation unter Stadtpräsidentin Corine Mauch (62) persönlich nach Bern reiste und Druck machte, hielten sich die SBB an ihr vorher gemachtes Versprechen und unterzeichneten den Vertrag.

Was zeigt: Manchmal hilft politischer Druck eben schon, um bei den SBB eine Weiche umzulegen.

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