So feiern unsere Soldaten im Kosovo Weihnachten
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Besuch von Chef Thomas Süssli:So feiern unsere Soldaten im Kosovo Weihnachten

Armeechef Thomas Süssli wird dem Parlament eine Verlängerung des Kosovo-Einsatzes beantragen
«Es ist nicht absehbar, dass wir wegkönnen»

Der Chef der Armee erklärt, warum es im Ausland noch lange Schweizer Soldaten braucht – und wie die Armee im Inland in der wachsenden Corona-Welle falls nötig sofort zur Stelle ist.
Publiziert: 26.12.2021 um 11:39 Uhr
Interview: Christian Dorer

Thomas Süssli (55) hat zwei intensive und prägende Tage bei den Schweizer Truppen im Kosovo und in Bosnien hinter sich. Auf dem Rückflug nach Bern, im Bundesratsjet Falcon 900 der Luftwaffe, beantwortet er die Fragen von SonntagsBlick.

Herr Süssli, welches Erlebnis hat Sie bei Ihrem Truppenbesuch besonders beeindruckt?
Thomas Süssli: Ich fragte eine weibliche Armeeangehörige in Mitrovica, ob sie ihre Familie nicht vermisse. Darauf antwortete sie, dass jetzt ihre Kameradinnen und Kameraden ihre Familie seien. Das hat mich berührt.

Warum sind Sie in den Kosovo und nach Bosnien gereist?
Um allen unseren Angehörigen vor Ort Danke zu sagen und um mit ihnen Weihnachten zu feiern. Dann interessiert mich die Frage, ob unser Einsatz nötig ist. Darüber tausche ich mich mit den lokalen Kommandanten aus. Die Einschätzung ist eindeutig: Es ist richtig, dass wir im Kosovo und in Bosnien sind, und es ist nicht absehbar, dass die Friedensmission beendet werden kann.

Korpskommandant Thomas Süssli ist seit Anfang 2020 Chef der Armee.
Foto: Thomas Meier
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Warum ist der Einsatz auch nach 22 Jahren nötig?
Die politische Situation hat sich sogar wieder verschärft. Würden sich die Friedenstruppen aus Kosovo und Bosnien zurückziehen, fielen die Länder möglicherweise wieder zurück in eine Instabilität, die von grosser Unsicherheit geprägt wäre.

2021 kam es wieder zu Säbelrasseln zwischen Serbien und dem Kosovo. Wie gefährlich ist die Lage?
Machtdemonstrationen wie das Verbot von serbischen Autonummern im Kosovo finden häufig vor Wahlen statt. Deshalb sind unsere Monitoring-Teams besonders wichtig: Sie spüren die Stimmung in der Bevölkerung und erkennen Probleme frühzeitig.

Was, wenn wieder Bürgerkrieg ausbrechen würde?
Die Schlichtung eines bewaffneten Konflikts liegt ausserhalb des Mandats. Die Kfor und mit ihr die Schweiz würde sich zurückziehen.

Rund 7000 Schweizer Soldatinnen und Soldaten waren seit 1999 im Kosovo. Wie ist das Interesse?
Unverändert hoch. Es fällt uns leicht, Leute zu finden, weil es eine sinnvolle Sache ist, bei der man Erfahrungen sammeln kann. Manche gehen sogar mehrmals in einen Einsatz. Das ist der Vorteil der Miliz: Wir nehmen für jede Funktion jemanden mit entsprechender Erfahrung, Handwerker, Mediziner oder für die Monitoring-Teams Leute mit Erfahrung im Umgang mit Menschen.

Das Parlament hat den Einsatz bis 2023 bewilligt. Werden Sie eine Verlängerung beantragen?
Wir werden nächstes Jahr um eine dreijährige Verlängerung anfragen. Ich hoffe, das Parlament erkennt, dass der Einsatz notwendig und auch für die Schweiz von Nutzen ist.

Wie profitiert die Schweiz?
In den 1990er-Jahren kamen viele Flüchtlinge aus dieser Region in die Schweiz. Der Einsatz bringt Stabilität. Bundesrat Ogi sagte einst: «Gehe zur Krise, sonst kommt die Krise zu dir.» Jetzt wäre es noch besser, wenn die Krise gar nicht erst entstünde.

Die Armee steht auch zu Hause im Einsatz, da mehrere Kantone erneut Hilfe zur Bekämpfung von Corona angefordert haben. Wie ist die Situation?
Wir starteten mit mehr als 300 Freiwilligen. Das ist dankbar für uns, weil es dort keinen Konflikt mit den Arbeitgebern gibt. Allerdings fehlen insbesondere Romands, derzeit finden die Einsätze vor allem in der Westschweiz statt. Bei Pflegeeinsätzen spielt die Sprache eine Rolle. Darum mussten wir zusätzlich aufbieten: Am 26. und 27. Dezember werden der Stab eines Bataillons und eine Kompanie ihren Dienst antreten, rund 120 Armeeangehörige, für die Pflege ausgebildet.

Beim ersten Corona-Einsatz im Frühling 2020 hatten viele Soldaten nichts zu tun. Wird das anders sein?
Moment! Mein persönliches Lowlight des letzten Jahres ist die Interpretation, wonach die Miliz nicht gebraucht wurde. Das ist völlig falsch. Es ging damals darum, die Kapazitäten vorgängig zu erhöhen, weil niemand wusste, was auf die Schweiz zukommt. Das ist gelungen. Zum Glück war die Infektionswelle dann kleiner.

Thomas Süssli – zur Person

Korpskommandant Thomas Süssli (55) ist seit Anfang 2020 Chef der Armee. Er machte einst eine Lehre als Chemielaborant, später bildete er sich zum Programmierer/Analytiker und zum Wirtschaftsinformatiker weiter. Er machte Karriere bei UBS, Credit Suisse und der Bank Vontobel in Singapur. Erst 2015 wechselte er vom Miliz- ins Berufskader und wurde Kommandant der Logistikbrigade. Süssli ist verheiratet, Vater von zwei Kindern und wohnt in Oberkirch LU.

Korpskommandant Thomas Süssli (55) ist seit Anfang 2020 Chef der Armee. Er machte einst eine Lehre als Chemielaborant, später bildete er sich zum Programmierer/Analytiker und zum Wirtschaftsinformatiker weiter. Er machte Karriere bei UBS, Credit Suisse und der Bank Vontobel in Singapur. Erst 2015 wechselte er vom Miliz- ins Berufskader und wurde Kommandant der Logistikbrigade. Süssli ist verheiratet, Vater von zwei Kindern und wohnt in Oberkirch LU.

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Wie ist es jetzt?
Die Gesuche werden viel strenger beurteilt: Wir prüfen in den Spitälern und Pflegeinstitutionen den Bedarf. Bei Anzeichen, dass unsere Soldaten unterbeschäftigt wären, leisten wir keinen Einsatz. Wir drängen uns nicht auf.

Um wie viel kann die Armee, falls nötig, aufstocken?
Wir haben eine Kapazität von bis 5000 Personen für das Gesundheitswesen. Wir hoffen aber, dass es nicht so weit kommt. Das war übrigens mein Highlight im letzten Jahr: zu sehen, dass die Leute unserer Miliz im Bedarfsfall auch tatsächlich einrücken. Bei der Teilmobilmachung sind 91 Prozent eingerückt, sechs Prozent konnten aus gesundheitlichen Gründen nicht, und nur drei Prozent fehlten grundlos.

Die Corona-Taskforce des Bundes rechnet Anfang Jahr mit 20’000 Infektionen pro Tag. Spitäler, Läden, öffentlicher Verkehr könnten nicht mehr funktionieren, weil zu viele Menschen ausfallen. Könnte die Armee einspringen?
Die Situation macht uns ebenfalls Sorgen. Wir haben diesbezüglich aber keine Eventualplanung, jedoch eine Führungsstruktur, die eine massgeschneiderte Mobilmachung ermöglicht. 72 Stunden nach dem Aufgebot sind die ersten Leute dort, wo sie gebraucht werden. Die Kantone müssen ein Gesuch stellen. Die Bedingung ist, dass die zivilen Mittel nicht mehr ausreichen.

Könnte die Armee auch die Lebensmittelversorgung sicherstellen?
Ja, auch da könnte die Armee einen Beitrag leisten. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Armee dafür wirklich das richtige Instrument wäre.

Niemand sonst kann innert Kürze 5000 Personen aufbieten …
… dabei handelt es sich nur um Einsätze im Gesundheitswesen. Das Gesamtpotenzial liegt bei 100’000 Armeeangehörigen. Allerdings gibt es aktuell keine Anzeichen, dass die Kantone planen, im grossen Stil Gesuche zu stellen.

Was macht die Armee, damit die eigenen Soldaten gesund bleiben?
Wir haben seit der Frühlings-RS 2020 ein verschärftes Schutzkonzept. Das galt auch in der Zeit, als es in der zivilen Gesellschaft lockerer war. Das bewährt sich: Die Infektionen in der Armee lagen immer unter dem Durchschnitt der zivilen Bevölkerung.

Haben Sie zu Hause auch einen Notvorrat wie Ihr Vorvorgänger André Blattmann? Bis die Krise kam, haben ihn deswegen viele ausgelacht.
Mir macht es nichts aus, wenn man darüber lacht: Ja, ich habe auch einen Notvorrat mit Wasser und Lebensmitteln zu Hause.

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