Alt-Sozi Peter Bodenmann rechnet ab
«Wir Schweizer sind gerne mutig ... so lange es nicht ernst gilt»

Peter Bodenmann (62), der frühere SP-Präsident, spricht im Interview unter anderem über Köppel und Blocher, äussert sich dazu, wer aus der SP mehr lesen müsste und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Verschont wird nicht mal die eigene Partei.
Publiziert: 02.03.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 15:42 Uhr
Von Christoph Lenz und Thomas Ley (Interview), Mirko Ries (Fotos)

BLICK: Herr Bodenmann, Sie sind Kolumnist bei der «Weltwoche». Jetzt will Ihr Chefredaktor in den Nationalrat. Wie finden Sie das?Peter Bodenmann: Roger Köppel ist nicht mein Chefredaktor. Ich schreibe als Linker jede Woche eine Kolumne im Kampfblatt der Reaktion.

Was wünschen Sie Köppel auf seinem Weg in die Politik?
Politik ist kein Wunschkonzert. Köppel muss einsteigen, weil die bisherigen SVP-Vertreter zu wenig Potenzial als Blocher-Nachfolger haben.

Köppel hat dieses Format?
Blocher kann dem Modernisierungsverlierer und dem Banker gleichermassen das Gefühl geben, er vertrete ihre Interessen. Köppel ist noch zu urban dafür, zu wenig schlitzohrig. Noch.

Der frühere SP-Präsident Peter Bodenmann (62) verschont niemanden, schon gar nicht die eigene Partei.
Foto: Mirko Ries
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Köppel, Christoph Mörgeli, Gregor Rutz, Natalie Rickli, Thomas Matter, Thomas Aeschi, Hans-Ueli Vogt – es gibt immer mehr urbane intellektuelle SVPler. Was passiert in dieser Partei?
Die Alten in der SVP kleben an ihren Sesseln. Darum kommt es jetzt zum Elefantenschiessen. Vorab die jungen linken Parlamentarier sollten diese neue SVP-Generation auch intellektuell nicht unterschätzen. Und selber mehr lesen und besser schreiben.

Konkret: Wer von der SP müsste mehr lesen und besser schreiben?
Wer nicht? (Lacht)

Die SP dringt bei Wirtschaftsfragen nicht durch. Um das Thema Europa drückt sie sich. Aus intellektuellen Defiziten, sagen Sie?
Politisch haben wir drei Pole. Weit rechts die fremdenfeindliche, anti-europäische SVP. Die rechte Mitte ist leider kraftlos, da zersplittert. Und die Linke zu brav, um diese Ausgangslage zu nutzen.

Welche Chance verpasst die Linke?
Den Fehlentscheid der Nationalbank, den Euro-Mindestkurs aufzugeben: eigentlich eine Steilvorlage für die SP.

Im Volk wurde der Entscheid sehr positiv aufgenommen. Man findet: Super, ein starker Franken ist doch grossartig!
Noch. Weil fast keiner begreift, dass unsere Nationalbank, also wir, um 300 Milliarden Franken reicher wurden. Mit Gelddrucken! Das gilt einfach als irgendwie unschweizerisch. Die Linke müsste nun wie Peter Spuhler fordern, dass mit dem Geld ein Staatsfonds geschaffen wird. Der locker eine dreizehnte AHV-Rente finanzieren und Krankenkassenprämien auch für mittlere Einkommen senken könnte.

Die Geldvermehrung der Nationalbank wird aber als Inflation auf uns zurückkommen.
Unsinn! Wir bewegen uns stattdessen auf eine Deflation mit steigender Arbeitslosigkeit zu. Japan leidet seit mehr als zwanzig Jahren an dieser Krankheit.

Warum kommen denn von der politischen Linken keine Ideen zum Thema Nationalbank-Politik?
SP und Gewerkschaften fordern zu Recht einen neuen formellen oder informellen Mindestkurs. In den 90er-Jahren zerstörte die Nationalbank unter Markus Lusser mit dem zu harten Franken 150 000 Arbeitsplätze. Erst nach fünf Jahren Kritik korrigierte sie ihre Politik. Und erst danach wuchs die Schweiz wieder gleich stark wie unsere Nachbarländer. Die negativen Folgen des SNB-Entscheides werden diesmal – auch dank besserer Statistiken – sehr viel schneller sichtbar sein. Die Schweiz muss sich mit Baden-Württemberg, Bayern und Tirol vergleichen. Die werden bereits in einem Jahr viel besser unterwegs sein als wir. Und dann kippt die Stimmung. Niemand leistet gerne Gratis-Überstunden für mehr Arbeits­losigkeit.

Sie prognostizieren ein Donnerwetter für Nationalbankpräsident Thomas Jordan.
Bundesrat Johann Schneider-Ammann sagt, die Metall- und Maschinenindustrie brauche einen Eurokurs von mehr als 1.20 Franken. Linke und Gewerkschaften müssten diese Steilvorlage aufnehmen.

Schneider-Ammann sagt aber auch, dass keine Rezession in Sicht sei. Müssen wir die Geldpolitik einzig nach der Metall- und Maschinenindustrie aus­richten?
Die Hoffnung stirbt zuletzt. Nick Hayek hat recht: Die Schweiz hat keine Nationalbank mehr – wir haben eine Kapitulationsbank. Sie hat, anders als es in Dänemark geschah, vor den Währungsspekulanten kapituliert. Wer sich einmal erpressen lässt, ist immer wieder erpressbar.

Deshalb muss Jordan weg?
Sein Vizepräsident, Jean-Pierre Danthine, geht nächstens in Pension. Die Herren Jordan und Zurbrügg müsste man wegbefördern. Etwa zum Internationalen Währungsfonds.

Nach dem Frankenschock machen Bürgerliche Druck. Sie fordern eine Deregulierungs-Offensive.
Das ist doch Papierli-Zeugs!

UBS-Chef Sergio Ermotti hat die Politik vor weiteren Finanzmarkt-Regulierungen gewarnt. SVP-Chef Toni Brunner trifft sich mit Spitzen von FDP und CVP zu einem De­regulierungs-Gipfel. Das muss Sie doch beunruhigen.
Ermotti will für die UBS, für die Boni-Lutscher von der Zürcher Bahnhofstrasse, weiterhin gratis und franko eine Staatsga­rantie ohne mehr Eigenkapital. Und er will die UBS-Bussen weiterhin von der Steuer abziehen können. Toni Brunner müsste in Sachen Deregulierung, wenn schon, bei den Bauern anfangen. Sie sehen: Alles ziemlich durchsichtig.

Ermottis Appell sorgte für grosses Aufsehen.
Ein Blick zurück lohnt sich: Während der letzten Jahrzehnte war das Bankgeheimnis, genauer das Steuerhinterzieher-Geheimnis, eine heilige Kuh. Unter dem Druck der USA und dank der Hilfsmetzger Blocher und Köppel wurde die Kuh geschlachtet. Spielregeln werden heute international ausgehandelt. Die Geschichte wiederholt sich.

Politische Wirkung hat die Drohung mit der Deregulierung trotzdem. Die Unternehmenssteuerreform III ist plötzlich unbestritten.
Bei der letzten Unternehmenssteuerreform wurde das Volk brandschwarz angelogen. Deshalb haben wir jetzt ein Loch in der Bundeskasse. Ein zweites Mal lassen sich die Schweizer nicht mehr für dumm ver­kaufen.

Deregulierung ist aber populär.
Das Gegenteil ist wahr.

Es sind doch die meisten Leute der Ansicht, wir hätten viel zu viele Gesetze und Regulierungen.
Wir Schweizer sind gegenüber dem Staat misstrauisch. Aber wirklich dere­gulieren wollen nur wenige. Sonst würden wir für die Dose Nivea nicht doppelt so viel zahlen wie die Deutschen. Angst vor Veränderung haben vorab viele in der SVP. Der Staat soll sie schützen. Das ist die Triebfeder hinter vielen Regulierungen.

Trotzdem will man jetzt weniger.
Ach ja? Neu will man die Zuwanderung statt EU-kompatibel mittels Kontingenten reduzieren. Kontingente bedeuten aber ungeheuren Papierkram. Und Beziehungskorruption: Wer einen guten Draht zum zuständigen Chefbeamten oder Regierungsrat hat, bekäme Arbeitskräfte.

Wird die EU einer Kontingents­lösung überhaupt zustimmen?
Nie. Weil sonst alle Rechtspopulisten Europas Kontingente für ihre Länder verlangen. Alle wissen das. Fast niemand sagt es.

Warum?
Wir Schweizer sind, wie das Beispiel des Steuerhinterzieher-Geheimnisses lehrt, gerne mutig. So lange es nicht ernst gilt. Geht es aber hart auf hart, werden wir über Nacht pragmatisch und opportunistisch. Das ist gut so. Und das wird bei der Personenfrei­zügigkeit auch so sein.

Sind wir wirklich so flexibel?
Unsere fähigen Beamten haben längst alle notwendigen Papiere für die moderate Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative in ihren Schubladen. Wenn es so weit ist, gilt: Was kümmert uns das Geschwätz von gestern? Und wir wenden uns der nächsten Aufregung zu.

Man könnte auch sagen: Wir Schweizer halten einfach keine Konflikte aus.
Die Griechen sind da zurzeit etwas druckresistenter. Aber letztlich geht es immer um Interessen. Die Banken brauchen nicht nur die Bilateralen, sondern auch einen besseren Marktzugang innerhalb der EU. Unsere Parteien hängen finanziell am Tropf der Banken. Wenn es hart auf hart geht, sagen die Banken: Seid vernünftig, sonst ziehen wir euch den Stecker.

Die SVP besteht noch auf einer harten Umsetzung des Volkswillens. Kann Köppel der SVP diese Pragmatik beibringen?
Muss er nicht. Auch Blocher ist seit je hoch beweglich. Zuerst wollte er mit Levrat zusammen die UBS wegen zu hoher Risiken filettieren. Jetzt findet er Er­motti super, der sich gegen etwas mehr Eigenkapital wehrt. Schade, haben wir im Skisport nicht so gute Slalomfahrer.

Und doch hat die SVP Erfolg und wird von ihren Wählern als konsequente Kraft wahrgenommen.
Die SVP funktioniert nur, weil und solange sie einen Líder Máximo hat, der die urbanen Neoliberalen und die ruralen Fremdenfeinde abholt. Zweitens will und muss diese SVP als Opposition wahrgenommen werden. Stossrichtung: Schuld sind immer die anderen. Und alle andern sind links.

Früher spielte die SP die Opposi­tionsrolle. Heute gilt sie als Regierungspartei par excellence.
Nur halb richtig: Die Mehrheit in der Schweiz war und ist rechts. Die Linke bringt bestenfalls ein Drittel der Stimmen auf die Waage. Nur weil die Linke zu wenig Opposition macht, kann die SVP den Bundesrat als links abstempeln.

Ist das nur ein Stempel? Finanzmarktregulierung, Kapitalgewinnsteuer, Rentenreform ohne Er­höhung des Rentenalters – der Bundesrat macht doch eigentlich sozialdemokratische Politik.
Wir müssen die Finanzmärkte regulieren, unter dem Druck des Auslandes und im eigenen Interesse. Eine Unternehmenssteuerrevision wird es nur mit Kompensationen geben. Und Alain Berset schlägt eine Senkung der Renten vor. Deshalb sind die Gewerkschaften dagegen. Was soll daran links sein?

Und die Frauenquote, die Lohn­polizei und das grösste Infrastrukturprojekt dieses Jahrhunderts, die Energiewende?
Chabis.

Das sind doch linke Pro­jekte!
Wann nimmt Deutschland das letzte AKW vom Netz?

Etwa 2020?
Die ehemalige Atom-Mutti Angela Merkel stellt bis 2022 alle Atomkraftwerke ab. Wann stellt die Schweiz ihr letztes AKW ab?

Wenn es nicht mehr sicher zu betreiben ist.
Eben. Im Gegensatz zu Deutschland steigen wir nicht aus. Sondern wir halten so lange wie möglich an der unsicheren Atomenergie fest.

Nun aber soll ein 50-Milliarden-Franken-Programm für die Wende aufgegleist werden.
Strom aus neuen Solar- und Windkraftwerken ist heute bereits viel günstiger als Strom aus neuen Atomkraftwerken. Solarzellen werden jedes Jahr billiger. Der schnelle Atomaussteig rechnet sich. Das einzige energiepolitische Risiko ist: Eines unserer veralteten Atomkraftwerke fliegt uns um die Ohren. Ein Hotel muss sich gegen seine Risiken versichern. Wenn die Atomkraftwerke das auch tun müssten, würden wir sie gleich schnell wie die Deutschen stilllegen. Weil niemand dieses Risiko versichern will.

Köppel sagt, er müsse nach Bern, um gegen die linke Regierung zu kämpfen. Und niemand lacht.
Tja, das ist ein Problem kommunikativer Dissonanz. Die Linke müsste ihre Positionen, wie die SVP, offensiv im politischen Raum entwickeln. Damit wäre jeweils klar, wer was will. Die Mitte müsste sich entscheiden, mit wem sie welches Päckli macht. Leider hat die Linke heute die Schere, den Kompromiss von Beginn weg im eigenen Kopf.

Kann sie das ändern?
Logo. Würde die SP den Rücktritt der Nationalbank-Spitze fordern, wäre der Eurokurs schnell wieder auf 1.15 Franken. Weil auch viele Bürgerliche, auch viele in der SVP, einen höheren Wechselkurs wollen. Politik bewegt sich nur unter Druck. Das hat die SVP von den 68ern gelernt. Und die SP hat das ein bisschen vergessen.

Im Oktober sind Wahlen. Wie gehen sie aus?
Ich bin kein Wetterfrosch. Gewinnen wird der attraktivere Pol. Die Genossen haben da noch etwas Luft nach oben.

Sie haben es also noch in der Hand.
Wer etwas fest in der Hand hält, hat die Hand plötzlich weg. Politik muss sich flexibel auf unterschiedliche Szenarien vorbereiten.

Machen Sie trotzdem ein paar Prognosen: Ist Thomas Jordan Ende Jahr noch SNB-Chef?
Ende 2016 nicht mehr.

Ist Roger Köppel Ende Jahr Nationalrat?
Der neue Messias der SVP schafft das locker. Auch wenn er angeblich nur ganz kurz in Bern auftauchen will, um die Schweiz zu retten.

Ende Jahr ist die Arbeitslosigkeit ...
... klar höher als heute.

Ende Jahr heisst der SP-Chef ...
... immer noch Christian ­Levrat. Jon Pult (Präsident der SP Graubünden – Red.) braucht noch etwas Zeit.

Ende Jahr ist Eveline Widmer-Schlumpf ...
... immer noch im Amt.

Wenn sie will.
Aber klar will sie!

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