AHV-Abstimmung
Der SP droht ein Prestige- und Machtverlust

Die AHV-Reform hat an der Urne gute Chancen. Zum Ärger der SP. Denn ein Ja kostet die Partei an Deutungshoheit und Drohpotenzial in der Rentenpolitik. Und setzt die SP-Spitze unter Druck.
Publiziert: 15.09.2022 um 00:32 Uhr
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Aktualisiert: 15.09.2022 um 06:49 Uhr
Ruedi Studer

Die Bürgerlichen reiben sich die Hände. Mit Vorfreude blicken sie auf den 25. September. Denn dann könnte ein SP-Mythos zu Grabe getragen werden. Der Mythos, dass eine Rentenreform gegen die Linke nicht zu gewinnen ist.

Glaubt man den Umfragen, wird genau dies nämlich passieren: In der zweiten SRG-Trendumfrage sprechen sich 59 Prozent für die AHV-Reform und damit für die Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 aus.

Kommt die Reform durch, verliert die SP in der Rentenpolitik an Deutungshoheit und Drohpotenzial. Ausgerechnet bei der AHV, als deren Vater der einstige SP-Bundesrat Hans-Peter Tschudi (1913–2002) gilt, weil er sie in seiner Amtszeit massiv ausgebaut hat. Ausgerechnet in ihrem Kerngeschäft, der sozialen Frage, droht der SP ein Imageschaden und – noch viel schlimmer – ein Machtverlust.

Verliert die SP die AHV-Abstimmung, verliert die SP-Spitze mit Mattea Meyer und Cédric Wermuth an Macht und Prestige.
Foto: keystone-sda.ch
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Ein Schaden mit Folgen

Ein Schaden, der sich negativ auf die nationalen Wahlen 2023 auswirken könnte. Und so das Führungsduo Mattea Meyer (34) und Cédric Wermuth (36) unter Druck setzt. Ein Jahr vor den Wahlen das grosse linke Prestige-Projekt zu verlieren, würde die bürgerliche Konkurrenz beflügeln.

Nicht dass Wermuth und Meyer keine Abstimmungserfolge vorzuweisen hätten. Die Pflege-Initiative hat die Linke ebenso gewonnen wie die Anti-Tabak-Initiative. Und quasi im Alleingang hat die SP die Stempelsteuer-Vorlage gebodigt. Ein Erfolg, der die Bürgerlichen in Ehrfurcht erstarren liess. Die Abstimmung über die Verrechnungssteuer gaben sie längst verloren – und in deren Sog auch schon fast die AHV-Reform. In bürgerlichen Spitzenkreisen wundert man sich daher, dass die SP den Steilpass nicht aufnahm und alle Kraft in eine monatelange Nein-Kampagne warf.

Stattdessen setzte die SP die Prioritäten für den 25. September anders. Zu Beginn der Kampagne fokussierte sie vor allem auf die Verrechnungssteuer, so zumindest der äussere Eindruck. Bei der AHV-Kampagne überliess sie den Gewerkschaften den Lead.

AHV-Akzente im Schlussspurt

Und statt ihre Kampagnengelder – immerhin gut 450'000 Franken – hauptsächlich in die AHV-Abstimmung zu buttern, wurden sie je hälftig für die beiden Vorlagen eingeplant. Erst gegen Schluss wurde der Fokus verstärkt auf die AHV ausgerichtet. «Im Schlussspurt setzen wir Akzente bei der AHV», so SP-Sprecher Nicolas Häsler.

Tatsächlich sind die Anstrengungen in Mailings und Aufrufen erkennbar. Bloss: Reicht das, um die Niederlage abzuwenden? Spricht man mit SP-Parlamentarierinnen, ist Nervosität spürbar. Natürlich wäre ein Nein ein «schlechtes Signal», meint eine. Die AHV-Abstimmung zur Schicksalsfrage hochstilisieren mögen sie aber nicht.

Meyer: «Wir kämpfen weiter»

Erst recht nicht, weil sie die Abstimmung nicht verloren geben. «Wir werden bis am 25. September weiterkämpfen», sagt Mattea Meyer. «Sonst bezahlen Frauen und Ehepaare die Zeche von sieben Milliarden Franken, die mit der AHV-Abbauvorlage eingespart werden.»

Den Vorwurf, die Partei habe sich zu stark auf die Verrechnungssteuer konzentriert und die AHV-Kampagne verbockt, nimmt sie persönlich: «Ich bin seit Wochen an Strassenaktionen oder auf Podien unterwegs, um für ein Nein zur AHV-Reform zu kämpfen. Und mit mir viele andere!»

«Wir müssen alle mehr bezahlen für schlechtere Renten»
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Siegerin Mattea Meyer:«Wir müssen alle mehr bezahlen für schlechtere Renten»

Die Linke hofft nun auf einen Kampfjet-Effekt. In der letzten Umfrage zum Fliegerkauf 2020 lag das Ja-Lager ebenfalls klar vorn. Am Abstimmungssonntag folgte eine Zitterpartie. «Entscheidend ist jetzt die Schlussmobilisierung – und da werden wir nochmals Vollgas geben», sagt Meyer. Schub erhofft sie sich vom Entscheid des Ständerats, die Reform der zweiten Säule zu vertagen. «Den Frauen wurden bessere Renten versprochen, aber sie stehen weiterhin mit leeren Händen da.»

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