2016 war ein schwieriges Jahr
Zerreissprobe für die Demokratie

Das Polit-Jahr 2016 war sowohl international als auch national turbulent. Vier Schweizer Parlamentarier aus allen Regierungsparteien sagen, was das für die Demokratie heisst.
Publiziert: 26.12.2016 um 18:41 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 01:05 Uhr
Caspar Pfrunder

Volksentscheide prägten das Polit-Jahr 2016: Die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten, der Brexit, das Ende der Regierung Renzi durch das Nein zur Verfassungsreform in Italien waren die grossen politischen Überraschungen im Westen. Und in der Schweiz bestimmte die Umsetzung der Zuwanderungsinitiative die Debatte.

Gemeinsam ist all diesen Ereignissen: Sie werden gern mit «Populismus» erklärt, der für die Demokratie schädlich sei. War 2016 also ein schwieriges Jahr für die Demokratie?

Aus Schweizer Perspek­tive schon, klagt der Nidwaldner SVP-Nationalrat Peter Keller (45). Ihm macht aber nicht der Populismus Sorgen, sondern die verwässerte Umsetzung der Zuwanderungsinitiative, welche die Zukunft der direkten Demokratie bedrohe: «Während rundhe­rum in den Nachbarstaaten der Ruf nach mehr direkter Demokratie laut wird, versuchen SP, FDP, aber auch Gerichte, die Schweizer Volksrechte abzuschaffen.»
Die anderen Parteien sehen das eher umgekehrt. Ob für die Kontingentierung der Zuwanderung auch die Kündigung der Bilateralen I mit der EU in Kauf genommen werden soll, habe die SVP bei der Abstimmung vor drei Jahren schlicht ausgeklammert.

Viele Fragen, viel Streit: Ist der Volkswille dasselbe wie Demokratie? Steht er im Widerspruch zum Rechtsstaat? Und was bedeutet Republik?
Foto: Igor Kravarik

Der Appenzeller FDP-Ständerat Andrea Caroni (36) sagt: «Entscheidend ist, dass der Verfassungsgeber – Volk und Stände – das letzte Wort hat, ob er bereit ist, seinen ursprünglichen Auftrag anzupassen.» Anders als die SVP findet er die Idee einer weiteren Volksbefragung sogar «urdemokratisch».

Die Baselbieter CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (52) teilt Kellers Besorgnis zumindest teilweise und warnt: «Wenn Initiativen und Referenden künftig nicht klar ausdrücken, welche Konsequenzen sie haben, leidet die Glaubwürdigkeit des Parlaments.»

Während die Schweiz auf rund 150 Jahre direktdemokratische Tradition zurückblicken kann, haben andere europä­ische Länder damit kaum Erfahrung. Und doch wurden die Briten und die Italiener 2016 zur Volksabstimmung gerufen. Die Pre­mierminister David Cameron und Matteo Renzi hatten Referenden veranlasst – über den Abschied Grossbritanniens von der EU und eine Verfassungsreform in Italien. Beide Politiker scheiterten spektakulär, beide traten zurück.

Die Krise wählen

Die Zürcher SP-National­rätin Min Li Marti (42) glaubt, dass die Wähler heute weniger Angst vor dem Ungewissen haben: «Sie stimmten für den Brexit, obwohl völlig unklar war, was die wirtschaft­lichen Folgen sind. Und sie stimmten gegen Renzis Verfassungsreform, obwohl das eine Regierungskrise bedeutete.»

Das Motiv für den Brexit sei mit dem Ja zur Zuwanderungsinitiative vergleichbar, meint Marti. Die Menschen wollten die Kont­rolle über die Politik wiedererlangen. Peter Keller sieht Brüssel in der Verantwortung: «Die EU ist viel zu weit gegangen, als sie die Schaffung eines Superstaats anstrebte und die nationalen Demokratien zu entmündigen begann, ohne selber demokratisch legitimiert zu sein.» Sie habe dabei übersehen, welche Errungenschaft der Nationalstaat sei.

Tatsächlich waren es stets nationale Bewegungen, die die liberalen westlichen Demokratien und den Rechtsstaat hervorgebracht haben. Und nach wie vor existiert die Demokratie nur im Nationalstaat. Min Li Marti gibt zu: «Demokratie funktioniert eben doch noch besser national als multilateral.» Für FDP-Mann Caroni ist klar: «Auch in einer globalisierten Welt wird der einzelne Staat die entscheidende Ebene bleiben.» Die EU täte deshalb gut daran, mehr Vielfalt statt Einheit anzustreben, denn Harmonisierungen um der Harmonisierung willen solle man unterlassen oder gar rückgängig machen.

Prinzip Rechtsstaat

Elisabeth Schneider-Schneiter haut in die gleiche Kerbe: «Die Globalisierung hat uns viele Vorteile gebracht. Aber sie birgt auch die Gefahr, dass die eigene Kultur, die Traditionen und Wurzeln verloren gehen.»

Lässt sich so auch der Erfolg von Donald Trump und seiner Maxime «America first» erklären? Keller glaubt dies: «Die Leute wollen wieder einen Staat, der die eigene Bevölkerung ins Zentrum stellt und nicht die gendergerechte Bezeichnung des Fussgängerstreifens.» SP-Frau Marti hingegen hebt neben Migration und Kontrollverlust-Gefühlen auch die wachsende Ungleichheit und den Wandel der Wirtschafts- und Arbeitswelt als Gründe hervor.

Während für die einen die «Vereinfachungen» der «Rechtsnationalisten» die Demokratie untergraben, sehen die anderen die Gefahr bei den «Eliten», die die Sorgen der kleinen Leute nicht wahrnehmen. Klar bleibt aber: Voraussetzung für Demokratie ist die Herrschaft des Rechts – und die ist im Westen immer noch Staatsprinzip.

Deshalb kann Andrea Caroni getrost festhalten: «Was mir mehr Sorgen macht als Populisten in Demokratien, ist die weltweit grassierende Autokratie, von Erdogan über Maduro bis zu Assad und Putin. Gegen diese Tyrannen sind die erwähnten Populisten Waisenknaben.»  

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