Wie der Weltstar Schweizerin wurde
Ein Lied sicherte ihr die Einbürgerung

Als sich Tina Turner (78) in Küsnacht ZH einbürgern liess, musste sie wie jede andere vor der Kommission antraben. Sie war nervöser als vor einem Konzert. Teil 3 des exklusiven Vorabdrucks ihrer Biografie im BLICK.
Publiziert: 08.10.2018 um 03:13 Uhr
|
Aktualisiert: 14.10.2018 um 19:51 Uhr

Was mir an der Schweiz gefällt? Alles! Irgendwie erinnert mich die Landschaft an Tennessee, wo ich aufgewachsen bin, besonders die Höfe und Almwiesen. Ich liebe es aber auch, die Städte mit ihren wundervoll erhaltenen historischen Gebäuden zu erkunden. Und egal wo ich hingehe, es überrascht mich immer wieder, wie sauber es hier ist. Die Luft ist so rein, dass ein Atemzug sich anfühlt wie ein Schluck kaltes, klares Wasser.

Ebenso gefällt mir der Wandel der Jahreszeiten. Jede ist deutlich spürbar von der anderen abgegrenzt. Die Bäume verlieren ihr Laub, und im folgenden Jahr wächst es wieder. Das klingt nach nichts Besonderem – als Kind nahm ich das als gegeben hin. Aber wir haben das Gefühl für den Rhythmus der Natur in so vielen Teilen der Welt verloren. In der Schweiz gibt es einen richtigen Winter, knackig kalt und sehr malerisch mit seinem Bilderbuchschnee. Bei uns im Dorf haben wir einen Eislaufplatz, der anmutet wie ein Postkartenmotiv.

Bundesrat, Tempolimit, Pünktlichkeit

Die Schweizer Landschaft ist berühmt, aber es gibt noch weitere Vorzüge. Ich mag die Regierung – in der Schweiz gilt das Gesetz. Das Tempolimit wird durchgesetzt. Fährt man zu schnell, ist der Führerschein weg. Die Regeln sind unmissverständlich, und man weiss genau, woran man ist. Pünktlichkeit ist ein hohes Gebot, womit ich anfangs so meine Probleme hatte. Als ich kurz nach meinem Umzug mit der üblich moderaten Verspätung bei einer Veranstaltung erschien, erhielt ich sanften Tadel für meine Unpünktlichkeit. Auch Prominente dürften nicht zu spät kommen, hiess es. Das liess ich mir nicht zweimal sagen.

«Ein glücklicher Tag am Zürichsee», schreibt Tina Turner zu diesem Bild von 2008: «Eines von Erwins liebsten Fotos von mir.»
Foto: © AUTHOR‘S PERSONAL COLLECTION
1/10

«Mach die Tür auf!»

In diesem Land steht Höflichkeit an erster Stelle. Im Supermarkt, an der Tankstelle, egal wo. Bevor es ans Geschäftliche geht, wird eine freundliche Begrüssung – ein «Guten Morgen» oder «Guten Tag» – erwartet. Menschen sollen so einander näherkommen. In den USA neigen wir zur Eile und vergessen häufig die kleinen Freundlichkeiten, oder wir diskreditieren sie als oberflächlich. Einmal klingelte es an der Haustür, und ohne nachzudenken rief ich Erwin zu: «Mach die Tür auf!» Meine Worte haben ihn verletzt. «Schatz, könntest du bitte an die Tür gehen?», hätte ich besser sagen sollen. Und genau das tat ich auch, als es wieder läutete. Höflichkeit und Rücksichtnahme in der Sprache wie im Benehmen machen das Leben für alle angenehmer.

Zum Glück für mich sind die Schweizer traditionell offen für Einwanderer. Solange man sich an ihre Regeln hält. Erwin und ich haben über die Jahre wundervolle Freunde gefunden, die nichts mit dem Showgeschäft zu tun haben. Sagen wir es einfach so: Ich fühle mich wohl in der Schweiz. Ich fühle mich hier geborgen.

(….)

Hochdeutsch für die Prüfung

Wie sich herausstellte, ist es weitaus leichter, durch Geburt eine Staatsbürgerschaft in einem Land zu bekommen, als eine zu beantragen. Ich musste dazu Prüfungen ablegen, die so schwer waren, dass ich mir einen Lehrer suchte. Unter anderem wurde erwartet, dass ich mich mit der Schweizer Geschichte vertraut machte und ein bisschen Hochdeutsch lernte, die korrekteste (und ziemlich schwere) Version einer der diversen Schweizer Landessprachen. Dann musste ich im Jahr 2012 vor eine Kommission treten, die meinen Antrag prüfen würde. Als ich nachfragte, ob Erwin mich zu diesem grossen Ereignis begleiten dürfe, erfuhr ich, dass ich allein zu erscheinen habe.

Sieben Gutachter für den Weltstar

Okay.

Ich kam in einen Raum, in dem sieben Gutachter auf mich warteten. Da war ich nun schon vor Millionen von Menschen aufgetreten, ohne das geringste Lampenfieber zu empfinden, doch als ich vor dieser Gruppe stand, sank mir das Herz in die Hose. Um die Spannung ein bisschen abzubauen, gab ich sogleich zu, schrecklich nervös zu sein. Keine Reaktion. Daraufhin bot ich ihnen Lutschpastillen an, die ich eigens für diesen Anlass gekauft hatte. Letztlich mag jeder Bonbons, dachte ich, besonders in der Schweiz. Als auch darauf niemand einging, wurde mir klar, dass ich damit keine Punkte sammeln konnte. Die Kommission nahm ihren Auftrag sehr ernst. Und ich war auf mich allein gestellt.

«Ich bin Tina Turner»

«Wissen Sie, dass Sie die Landessprache sprechen müssen, ehe Sie die Einbürgerung beantragen?», fragte ein Mann mit einer tiefen Bassstimme.

«Ja», beeilte ich mich zu antworten, «ich kann Ihnen auf Hochdeutsch sagen, wie ich heisse, wie viele Kinder ich habe und wo ich herkomme.» Irgendwie. Es war ein Wagnis, aber ich hatte keine Alternative. Ausserdem hatte ich die Möglichkeit, notfalls ein kleines Büchlein mit Antworten zurate zu ziehen. Vielleicht war ich ja paranoid, aber ich hätte schwören können, dass eins der jüngeren Kommissionsmitglieder mich penetrant anstarrte, um mich noch nervöser zu machen, als ich ohnehin schon war.

Ich holte tief Luft und sagte auf Deutsch: «Ich bin Tina Turner.»

«Erzählen Sie uns etwas über die Schweiz!»

Um auf die nächste Frage zu antworten, musste ich in meinem Büchlein nachschauen, dachte aber noch rechtzeitig daran, auf Deutsch um Erlaubnis zu bitten: «Darf ich?» Mein Lehrer hatte mir unentwegt erklärt, dass die Schweizer grossen Wert auf gute Umgangsformen legen und man deshalb immer erst nachfragen sollte. Nun, das hatte ich gemeistert.

Die letzte Frage war die schwierigste. «Bitte erzählen Sie uns etwas über die Schweiz!»

Ich stand auf dem Schlauch. Dann fiel mir ein, dass jemand auf einer Party kürzlich über den Schweizerpsalm gesprochen hatte, die Nationalhymne des Landes. Er hatte gemeint, sie klinge sehr nach Kirche und sei, wie der Name «Psalm» schon andeute, eher ein Choral als ein patriotisches Lied. Augenblicklich beschloss ich, dieses Wissen für meine Antwort zu verwenden. «Ich bin gerade dabei, die Nationalhymne zu lernen», sagte ich selbstbewusst, «und finde es interessant, dass sie religiöse Anklänge hat, ähnlich wie ein Choral, den man in der Kirche hört.»

Danke, Schweizerpsalm

Der Fragesteller war verdutzt. Es hätte ihn wahrscheinlich weniger gewundert, wenn ich über DJ BoBo, den Schweizer Tausendsassa in der Musikbranche, gesprochen hätte statt über den Schweizerpsalm, die würdigste Hymne des Landes. Tatsächlich war es die beste Antwort, die ich geben konnte – wieder einmal hatte ein Lied mich gerettet. Die Kommission sprach sich für meine Einbürgerung aus, und ich wurde stolze Besitzerin eines Schweizer Passes.

Unerklärlicherweise sprach sich mein Nationalitätenwechsel rasch herum und schien für viele Unbeteiligte von brennendem Interesse zu sein. Es gab ein grosses Geschrei, begleitet von der wiederkehrenden Spekulation, ich hätte alles nur aus Steuergründen getan. Aber das stimmte nicht. Meiner Meinung nach hat man ausreichend Anlass, ein Land seine «Heimat» zu nennen, wenn man dort – gemeinsam mit einem geliebten Menschen – siebzehn Jahre gelebt hat, vor allem, wenn man mit seinem Partner demnächst den Bund der Ehe schliessen würde.

Lesen Sie morgen: Tina Turner geht mit Ike durch die Hölle

«My Love Story»

Das Buch, aus dem BLICK exklusiv Auszüge veröffentlicht, erscheint in der deutschen Version offiziell am 15. Oktober. Geschrieben haben es US-Bestsellerautorin Deborah Davis und der renommierte deutsche Journalist und Buchautor Dominik Wichmann, der unter anderem Chefredaktor des «Süddeutschen Magazins» und des «Sterns» war. Sie arbeiteten eng mit Tina Turner zusammen, führten stundenlange Gespräche mit ihr und stellten eigene Recherchen an. Vor über 30 Jahren hatte die Pop-Queen bereits «Ich, Tina» veröffentlicht – warum also kurz vor dem 80. Geburtstag nochmals eine Biografie? «Ich habe seither so viel erlebt», sagt sie, «und manches konnte und wollte ich damals nicht erzählen.» 

Das Buch, aus dem BLICK exklusiv Auszüge veröffentlicht, erscheint in der deutschen Version offiziell am 15. Oktober. Geschrieben haben es US-Bestsellerautorin Deborah Davis und der renommierte deutsche Journalist und Buchautor Dominik Wichmann, der unter anderem Chefredaktor des «Süddeutschen Magazins» und des «Sterns» war. Sie arbeiteten eng mit Tina Turner zusammen, führten stundenlange Gespräche mit ihr und stellten eigene Recherchen an. Vor über 30 Jahren hatte die Pop-Queen bereits «Ich, Tina» veröffentlicht – warum also kurz vor dem 80. Geburtstag nochmals eine Biografie? «Ich habe seither so viel erlebt», sagt sie, «und manches konnte und wollte ich damals nicht erzählen.» 

Mehr

 

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.
Teil 1: Ein neues Leben von der Liebe ihres Lebens

«Willst du mich heiraten, Tina?» Das war der schlichte Satz, mit dem mir Erwin Bach, die Liebe meines Lebens  – der Mann, in den ich mich auf den ersten Blick verliebt hatte, bei dem mir schwindlig wurde, kaum dass  ich ihn erblickt hatte  –, einen Antrag machte. Sein Englisch klang ein bisschen unbeholfen – Erwin ist Deutscher, Englisch ist also eine Fremdsprache für ihn –, aber es gefiel mir. Er war wohl etwas überrascht, als ich ihm erklärte, dass ich auf seine Frage keine Antwort wüsste. Sie lautete weder «Ja» noch «Nein», so viel war klar.

All das geschah 1989, als wir drei Jahre zusammen waren. Ich steuerte auf meinen fünfzigsten Geburtstag zu, und Erwin, der dreiunddreissig war, meinte wohl, er müsste mir irgendwie beweisen, dass er sich mir verpflichtet fühlte. Das war ungeheuer lieb von ihm, aber mir gefiel unsere Beziehung so, wie sie war. Ausserdem hatte ich ein ambivalentes Verhältnis zur Ehe. Durch eine Hochzeit kann sich vieles ändern, und zwar, wie ich aus schmerzlicher Erfahrung wusste, nicht unbedingt immer zum Besseren.

«Wohin fahren wir, Liebling?»

Dreiundzwanzig Jahre später (so viel zu Verpflichtungen) machte mir Erwin erneut einen Antrag. Diesmal war alles perfekt geplant: Wir kreuzten im Jahr 2012 auf der Lady Marina, der Yacht unseres Freundes Sergio, mit einem Dutzend guter Freunde und Bekannter durchs Mittelmeer. Eigentlich hätte ich damals merken müssen, dass etwas im Busch war. Wir waren an einem hübschen Ort, aber Erwin fand die Umgebung noch nicht romantisch genug. Später erfuhr ich, dass er danach Sergio zurate gezogen hatte. Der hatte vorgeschlagen, zur griechischen Insel Skorpios zu fahren. Das sei der schönste Ort, den er kenne, für einen sehr romantischen Augenblick.

Als die Yacht an jenem Abend den Kurs änderte und unterwegs zu unserem neuen Ziel Geschwindigkeit aufnahm, fragte ich: «Wohin fahren wir, Liebling?» Erwin antwortete ausweichend, gab vor, es nicht zu wissen. Das allein war schon verdächtig, denn Erwin weiss immer alles. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, sah ich die zauberhafte Insel Skorpios vor mir, die früher einmal Aristoteles Onassis gehört hatte. Am Strand Jackies berühmtes Badehaus mit der blauen Tür.

Ja zur Liebe ihres Lebens

Wir verbrachten einen ziemlich faulen Tag auf der Yacht. Ich suchte mir einen Platz im Schatten, um meine Haut zu schonen, während die anderen in der Sonne brutzelten. Dann trennten wir uns, um uns zum Abendessen fertig zu machen. Als wir uns wieder zu den Cocktails trafen, fiel mir auf, dass die Männer alle Weiss trugen. Wie hübsch, dachte ich, sie sehen wirklich gut aus in ihren weissen Jeans und weissen Hemden. Die Frauen waren ebenfalls in wunderschöne Sommer-Outfits gekleidet. Ich hatte ein elegantes und leichtes Kleid aus schwarzem Leinen angezogen. Es war ein wunderbarer Abend in netter Gesellschaft. Eine sanfte Brise wehte, und am Himmel stand der Mond. Doch nach dem Essen änderte sich die Stimmung plötzlich, und es lag eine gewisse Erwartung, ja, Aufregung in der Luft. Was ging hier vor sich?

Ich bemerkte, dass alle Blicke auf Erwin gerichtet waren. Und dann kam er auf mich zu und ging vor mir in die Knie. In der ausgestreckten Hand hielt er eine kleine Schachtel. «Ich habe dich schon einmal gefragt, und nun frage ich dich noch einmal: Willst du mich heiraten, Tina?», diesmal in perfektem Englisch. Die Männer hatten – was mich wirklich wunderte – Tränen in den Augen, und die Frauen juchzten, als ich bewegt «Ja!» rief. Ich sagte Ja zu Erwin und Ja zur Liebe. Ja zur Liebe meines Lebens. Dieses Bekenntnis fiel mir nicht leicht. Schliesslich war ich inzwischen dreiundsiebzig und würde zum ersten Mal in meinem Leben Braut sein. Ja wirklich, zum ersten Mal. Ich heisse Tina Turner und war die Ehefrau von Ike Turner. Aber ich war niemals eine Braut.

(...)    

Schlaganfall, Darmkrebs, Nierenversagen

Zollikon in der Schweiz, zehn Autominuten von unserem Haus entfernt: Ich sitze im Krankenhaus in einem Dialysestuhl und versuche, nicht darauf zu achten, wie der Tod mir auf die Schulter klopft und raunt: «Tina … Tina, jetzt bin ich da.» Verzweifelt klammere ich mich an die Gesundheit oder an das, was davon übrig ist, wenn die Nierenfunktion nur noch fünf Prozent beträgt. Ich warte voller Ungeduld darauf, dass mein Körper wieder zu Kräften kommt, um das zu überstehen, was wohl meine einzige Rettung sein wird: die Nierentransplantation.

«Halt», wird jetzt mancher ratlos fragen. «Hattest du nicht einen Schlaganfall?»

Ach, meine Lieben, ich bin genauso durcheinander wie ihr. Seit meiner Hochzeit vor vier Jahren erlebte ich gesundheitlich ein derartiges Auf und Ab, dass nicht einmal ich selbst mich noch an die richtige Reihenfolge meiner medizinischen Katastrophen erinnere. Bluthochdruck. Schlaganfall. Darmkrebs. Nein! Falsch. Schlaganfall. Gleichgewichtsstörungen, dann Darmkrebs. Und jetzt Nierenversagen. Um zu überstehen, was mir auferlegt wurde, brauche ich mehr als die sprichwörtlichen neun Leben einer Katze.

Süsses vom Küsnachter Beck

Mehrmals pro Woche muss ich ins Krankenhaus gebracht werden. Erwin ist umsichtig und fürsorglich und hat es so eingerichtet, dass es jedes Mal nach dem gleichen Schema abläuft. An Dialysetagen parkt er immer zur genau gleichen Zeit vor dem Eingang von unserem Château Algonquin, sodass ich direkt von der Treppe ins Auto steigen kann. Gentleman, der er ist, hat er mir bereits die Tür geöffnet. Dann fahren wir zu einer kleinen Bäckerei in Küsnacht, ganz in der Nähe des Bahnhofs. Um nicht erkannt zu werden, bleibe ich im Auto sitzen, während Erwin hineinläuft und für uns eine Auswahl von süssem Gebäck besorgt, damit wir in den langen Stunden, die vor uns liegen, etwas Leckeres zu essen haben.

Versteckspiel im Spital

Die Fahrt zum Krankenhaus ist ein Versteckspiel. Aber irgendwie ist es uns gelungen, meine schwere Krankheit mehrere Jahre lang geheim zu halten. Wahrscheinlich vor allem deshalb, weil wir in der Schweiz leben, wo die Leute wesentlich mehr Respekt vor der Privatsphäre empfinden als in anderen Ländern. Ausserdem haben Erwin und ich ein präzises System ausgetüftelt, damit uns niemand erkennen kann, denn gerade in der Klinik hätten Paparazzi ein leichtes Spiel mit uns.

Kommen wir an, parkt Erwin am Hintereingang des Krankenhauses. Von hier aus ist es nicht mehr weit bis zur Dialysestation. Im Winter trage ich meist ein schwarzes Cape oder einen dicken Mantel, sodass mich der schwere Stoff schützt. Ein Hut mit breiter Krempe tut sein Übriges. Während wir die Gänge entlanggehen, schweigen Erwin und ich, um zu verhindern, dass jemand meine Stimme hört oder mitbekommt, dass ich Englisch spreche. Das würde unnötig die Aufmerksamkeit auf mich lenken.

(...)

Tina Turner tritt Exit bei

Der Tod an sich machte mir keine Angst – auf das Leben danach war ich schon immer neugierig gewesen. Mehr Sorgen bereitete mir das eigentliche Sterben. Glücklicherweise haben die Bürger der Schweiz die rechtlich abgesicherte Möglichkeit des assistierten Suizids, also der Beihilfe zur Selbsttötung. Ein Arzt kann einem Patienten, dem er zuvor geistige Gesundheit bescheinigt hat, bei unerträglichem Leid ein Gift verschreiben. Allerdings muss es sich der Patient eigenhändig zuführen. Wie man mir geschildert hatte, gibt es die Möglichkeit einer Injektion, man kann aber auch eine Flüssigkeit trinken, um auf diese Weise in eine andere Dimension zu wechseln und dort ein paar Dinge zu entdecken. Mir erschien das als ein vergleichsweise schmerzloser Weg zur Lösung eines schmerzlichen Problems. Es existieren auch einige Organisationen, die einem dabei helfen, zum Beispiel Exit und Dignitas.

Für den Fall der Fälle trat ich dem Verein Exit bei.

«Liebster, tu es nicht!»

Das war der Moment, in dem Erwin verstand, wie realistisch die Möglichkeit meines Todes war. Tief bewegt erklärte er mir, dass er mich nicht verlieren wolle, dass ich nicht gehen dürfe. Er wolle kein anderes Leben als dieses, auch keine andere Frau. Wir seien doch glücklich zusammen, und er würde alles tun, damit es so bleibe.

Erwin schlug vor, mir eine seiner Nieren zu spenden.

Zuerst konnte ich es kaum glauben. Und es gibt Momente, da glaube ich es immer noch nicht. Die Tragweite seines Angebots überwältigte mich. Weil ich ihn liebte, versuchte ich zunächst, ihm diesen schwerwiegenden und unumkehrbaren Schritt auszureden. Er war noch jung. Warum sollte er ein solches Risiko eingehen, nur um mir, einer deutlich älteren Frau, ein paar zusätzliche Jahre zu schenken? Er wusste, auch mit nur einer Niere konnte man gut leben. Anders aber wäre es, wenn ihm etwas zustiesse. Oder wenn er selbst irgendwann Probleme mit seiner Niere bekäme. «Liebster, du bist noch jung. Tu es nicht! Mach dir nicht dein Leben kaputt! Denk an deine eigene Zukunft», bat ich ihn.

Aber Erwin hatte seinen Entschluss gefasst. Dachte er an seine Zukunft, dachte er an mich, und das sagte er mir auch. Ausserdem kam ihm gar nicht in den Sinn, dass er selbst womöglich irgendwann eine zweite Niere brauchen würde. Er glaubte an die Kraft des Gebens. «Gib, und dir wird gegeben», sagte er, überzeugt, dass das Universum ihn behüten würde.

(...)

Operation in Basel

Wir überlegten uns sehr genau, in welchem Schweizer Krankenhaus wir diesen Eingriff vornehmen lassen wollten, denn zur Auswahl standen verschiedene renommierte Kliniken. Weil es uns von Freunden und verlässlichen Experten empfohlen worden war, entschieden wir uns letztlich für das Universitätsspital Basel. Zudem hatte ich mich dort sofort gut aufgehoben gefühlt, als ich es zum ersten Mal besuchte. Die Mitarbeiter waren sympathisch, jeder wirkte ausgesprochen professionell, und wir hatten viel Vertrauen in die für uns verantwortlichen Ärzte.

(...)

Als Nächstes erinnere ich mich, wie die Schwestern meinen Namen riefen, um mich aufzuwecken. Mir schien, als läge ich noch in der gleichen Position wie beim Einschlafen, doch inzwischen waren Stunden vergangen. Man sagte mir, die Operation sei vorüber und die Ärzte seien sehr zufrieden. Ich war so erschöpft, dass mir die Umgebung – das Licht, die Geräusche, die Gesprächsfetzen, die herum eilenden Ärzte und Schwestern – wie in einem Traum erschienen. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass ich auf der Intensivstation lag, umgeben von Hunderten von Geräten. So kam es mir jedenfalls vor. Mein neues Leben hatte begonnen, mein neues Leben mit einer gesunden Niere.

Zwei Menschen im Glück

Schon einen Tag später ging es mir deutlich besser. Ich war ungeheuer froh, die Operation überstanden zu haben, und als ich versuchsweise meine Finger und Zehen bewegte, war ich schon wieder ganz guter Dinge. Am schönsten aber war der Moment, als Erwin in einem Rollstuhl in mein Zimmer geschoben wurde. Welch wunderbarer Anblick! Irgendwie war es ihm gelungen, gut, ja sogar attraktiv auszusehen, als er mich mit den Worten «Hallo, Liebste» begrüsste. Ich konnte mein Glück kaum fassen, dass wir beide den Eingriff lebend überstanden hatten.

«Willst du mich heiraten, Tina?» Das war der schlichte Satz, mit dem mir Erwin Bach, die Liebe meines Lebens  – der Mann, in den ich mich auf den ersten Blick verliebt hatte, bei dem mir schwindlig wurde, kaum dass  ich ihn erblickt hatte  –, einen Antrag machte. Sein Englisch klang ein bisschen unbeholfen – Erwin ist Deutscher, Englisch ist also eine Fremdsprache für ihn –, aber es gefiel mir. Er war wohl etwas überrascht, als ich ihm erklärte, dass ich auf seine Frage keine Antwort wüsste. Sie lautete weder «Ja» noch «Nein», so viel war klar.

All das geschah 1989, als wir drei Jahre zusammen waren. Ich steuerte auf meinen fünfzigsten Geburtstag zu, und Erwin, der dreiunddreissig war, meinte wohl, er müsste mir irgendwie beweisen, dass er sich mir verpflichtet fühlte. Das war ungeheuer lieb von ihm, aber mir gefiel unsere Beziehung so, wie sie war. Ausserdem hatte ich ein ambivalentes Verhältnis zur Ehe. Durch eine Hochzeit kann sich vieles ändern, und zwar, wie ich aus schmerzlicher Erfahrung wusste, nicht unbedingt immer zum Besseren.

«Wohin fahren wir, Liebling?»

Dreiundzwanzig Jahre später (so viel zu Verpflichtungen) machte mir Erwin erneut einen Antrag. Diesmal war alles perfekt geplant: Wir kreuzten im Jahr 2012 auf der Lady Marina, der Yacht unseres Freundes Sergio, mit einem Dutzend guter Freunde und Bekannter durchs Mittelmeer. Eigentlich hätte ich damals merken müssen, dass etwas im Busch war. Wir waren an einem hübschen Ort, aber Erwin fand die Umgebung noch nicht romantisch genug. Später erfuhr ich, dass er danach Sergio zurate gezogen hatte. Der hatte vorgeschlagen, zur griechischen Insel Skorpios zu fahren. Das sei der schönste Ort, den er kenne, für einen sehr romantischen Augenblick.

Als die Yacht an jenem Abend den Kurs änderte und unterwegs zu unserem neuen Ziel Geschwindigkeit aufnahm, fragte ich: «Wohin fahren wir, Liebling?» Erwin antwortete ausweichend, gab vor, es nicht zu wissen. Das allein war schon verdächtig, denn Erwin weiss immer alles. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, sah ich die zauberhafte Insel Skorpios vor mir, die früher einmal Aristoteles Onassis gehört hatte. Am Strand Jackies berühmtes Badehaus mit der blauen Tür.

Ja zur Liebe ihres Lebens

Wir verbrachten einen ziemlich faulen Tag auf der Yacht. Ich suchte mir einen Platz im Schatten, um meine Haut zu schonen, während die anderen in der Sonne brutzelten. Dann trennten wir uns, um uns zum Abendessen fertig zu machen. Als wir uns wieder zu den Cocktails trafen, fiel mir auf, dass die Männer alle Weiss trugen. Wie hübsch, dachte ich, sie sehen wirklich gut aus in ihren weissen Jeans und weissen Hemden. Die Frauen waren ebenfalls in wunderschöne Sommer-Outfits gekleidet. Ich hatte ein elegantes und leichtes Kleid aus schwarzem Leinen angezogen. Es war ein wunderbarer Abend in netter Gesellschaft. Eine sanfte Brise wehte, und am Himmel stand der Mond. Doch nach dem Essen änderte sich die Stimmung plötzlich, und es lag eine gewisse Erwartung, ja, Aufregung in der Luft. Was ging hier vor sich?

Ich bemerkte, dass alle Blicke auf Erwin gerichtet waren. Und dann kam er auf mich zu und ging vor mir in die Knie. In der ausgestreckten Hand hielt er eine kleine Schachtel. «Ich habe dich schon einmal gefragt, und nun frage ich dich noch einmal: Willst du mich heiraten, Tina?», diesmal in perfektem Englisch. Die Männer hatten – was mich wirklich wunderte – Tränen in den Augen, und die Frauen juchzten, als ich bewegt «Ja!» rief. Ich sagte Ja zu Erwin und Ja zur Liebe. Ja zur Liebe meines Lebens. Dieses Bekenntnis fiel mir nicht leicht. Schliesslich war ich inzwischen dreiundsiebzig und würde zum ersten Mal in meinem Leben Braut sein. Ja wirklich, zum ersten Mal. Ich heisse Tina Turner und war die Ehefrau von Ike Turner. Aber ich war niemals eine Braut.

(...)    

Schlaganfall, Darmkrebs, Nierenversagen

Zollikon in der Schweiz, zehn Autominuten von unserem Haus entfernt: Ich sitze im Krankenhaus in einem Dialysestuhl und versuche, nicht darauf zu achten, wie der Tod mir auf die Schulter klopft und raunt: «Tina … Tina, jetzt bin ich da.» Verzweifelt klammere ich mich an die Gesundheit oder an das, was davon übrig ist, wenn die Nierenfunktion nur noch fünf Prozent beträgt. Ich warte voller Ungeduld darauf, dass mein Körper wieder zu Kräften kommt, um das zu überstehen, was wohl meine einzige Rettung sein wird: die Nierentransplantation.

«Halt», wird jetzt mancher ratlos fragen. «Hattest du nicht einen Schlaganfall?»

Ach, meine Lieben, ich bin genauso durcheinander wie ihr. Seit meiner Hochzeit vor vier Jahren erlebte ich gesundheitlich ein derartiges Auf und Ab, dass nicht einmal ich selbst mich noch an die richtige Reihenfolge meiner medizinischen Katastrophen erinnere. Bluthochdruck. Schlaganfall. Darmkrebs. Nein! Falsch. Schlaganfall. Gleichgewichtsstörungen, dann Darmkrebs. Und jetzt Nierenversagen. Um zu überstehen, was mir auferlegt wurde, brauche ich mehr als die sprichwörtlichen neun Leben einer Katze.

Süsses vom Küsnachter Beck

Mehrmals pro Woche muss ich ins Krankenhaus gebracht werden. Erwin ist umsichtig und fürsorglich und hat es so eingerichtet, dass es jedes Mal nach dem gleichen Schema abläuft. An Dialysetagen parkt er immer zur genau gleichen Zeit vor dem Eingang von unserem Château Algonquin, sodass ich direkt von der Treppe ins Auto steigen kann. Gentleman, der er ist, hat er mir bereits die Tür geöffnet. Dann fahren wir zu einer kleinen Bäckerei in Küsnacht, ganz in der Nähe des Bahnhofs. Um nicht erkannt zu werden, bleibe ich im Auto sitzen, während Erwin hineinläuft und für uns eine Auswahl von süssem Gebäck besorgt, damit wir in den langen Stunden, die vor uns liegen, etwas Leckeres zu essen haben.

Versteckspiel im Spital

Die Fahrt zum Krankenhaus ist ein Versteckspiel. Aber irgendwie ist es uns gelungen, meine schwere Krankheit mehrere Jahre lang geheim zu halten. Wahrscheinlich vor allem deshalb, weil wir in der Schweiz leben, wo die Leute wesentlich mehr Respekt vor der Privatsphäre empfinden als in anderen Ländern. Ausserdem haben Erwin und ich ein präzises System ausgetüftelt, damit uns niemand erkennen kann, denn gerade in der Klinik hätten Paparazzi ein leichtes Spiel mit uns.

Kommen wir an, parkt Erwin am Hintereingang des Krankenhauses. Von hier aus ist es nicht mehr weit bis zur Dialysestation. Im Winter trage ich meist ein schwarzes Cape oder einen dicken Mantel, sodass mich der schwere Stoff schützt. Ein Hut mit breiter Krempe tut sein Übriges. Während wir die Gänge entlanggehen, schweigen Erwin und ich, um zu verhindern, dass jemand meine Stimme hört oder mitbekommt, dass ich Englisch spreche. Das würde unnötig die Aufmerksamkeit auf mich lenken.

(...)

Tina Turner tritt Exit bei

Der Tod an sich machte mir keine Angst – auf das Leben danach war ich schon immer neugierig gewesen. Mehr Sorgen bereitete mir das eigentliche Sterben. Glücklicherweise haben die Bürger der Schweiz die rechtlich abgesicherte Möglichkeit des assistierten Suizids, also der Beihilfe zur Selbsttötung. Ein Arzt kann einem Patienten, dem er zuvor geistige Gesundheit bescheinigt hat, bei unerträglichem Leid ein Gift verschreiben. Allerdings muss es sich der Patient eigenhändig zuführen. Wie man mir geschildert hatte, gibt es die Möglichkeit einer Injektion, man kann aber auch eine Flüssigkeit trinken, um auf diese Weise in eine andere Dimension zu wechseln und dort ein paar Dinge zu entdecken. Mir erschien das als ein vergleichsweise schmerzloser Weg zur Lösung eines schmerzlichen Problems. Es existieren auch einige Organisationen, die einem dabei helfen, zum Beispiel Exit und Dignitas.

Für den Fall der Fälle trat ich dem Verein Exit bei.

«Liebster, tu es nicht!»

Das war der Moment, in dem Erwin verstand, wie realistisch die Möglichkeit meines Todes war. Tief bewegt erklärte er mir, dass er mich nicht verlieren wolle, dass ich nicht gehen dürfe. Er wolle kein anderes Leben als dieses, auch keine andere Frau. Wir seien doch glücklich zusammen, und er würde alles tun, damit es so bleibe.

Erwin schlug vor, mir eine seiner Nieren zu spenden.

Zuerst konnte ich es kaum glauben. Und es gibt Momente, da glaube ich es immer noch nicht. Die Tragweite seines Angebots überwältigte mich. Weil ich ihn liebte, versuchte ich zunächst, ihm diesen schwerwiegenden und unumkehrbaren Schritt auszureden. Er war noch jung. Warum sollte er ein solches Risiko eingehen, nur um mir, einer deutlich älteren Frau, ein paar zusätzliche Jahre zu schenken? Er wusste, auch mit nur einer Niere konnte man gut leben. Anders aber wäre es, wenn ihm etwas zustiesse. Oder wenn er selbst irgendwann Probleme mit seiner Niere bekäme. «Liebster, du bist noch jung. Tu es nicht! Mach dir nicht dein Leben kaputt! Denk an deine eigene Zukunft», bat ich ihn.

Aber Erwin hatte seinen Entschluss gefasst. Dachte er an seine Zukunft, dachte er an mich, und das sagte er mir auch. Ausserdem kam ihm gar nicht in den Sinn, dass er selbst womöglich irgendwann eine zweite Niere brauchen würde. Er glaubte an die Kraft des Gebens. «Gib, und dir wird gegeben», sagte er, überzeugt, dass das Universum ihn behüten würde.

(...)

Operation in Basel

Wir überlegten uns sehr genau, in welchem Schweizer Krankenhaus wir diesen Eingriff vornehmen lassen wollten, denn zur Auswahl standen verschiedene renommierte Kliniken. Weil es uns von Freunden und verlässlichen Experten empfohlen worden war, entschieden wir uns letztlich für das Universitätsspital Basel. Zudem hatte ich mich dort sofort gut aufgehoben gefühlt, als ich es zum ersten Mal besuchte. Die Mitarbeiter waren sympathisch, jeder wirkte ausgesprochen professionell, und wir hatten viel Vertrauen in die für uns verantwortlichen Ärzte.

(...)

Als Nächstes erinnere ich mich, wie die Schwestern meinen Namen riefen, um mich aufzuwecken. Mir schien, als läge ich noch in der gleichen Position wie beim Einschlafen, doch inzwischen waren Stunden vergangen. Man sagte mir, die Operation sei vorüber und die Ärzte seien sehr zufrieden. Ich war so erschöpft, dass mir die Umgebung – das Licht, die Geräusche, die Gesprächsfetzen, die herum eilenden Ärzte und Schwestern – wie in einem Traum erschienen. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass ich auf der Intensivstation lag, umgeben von Hunderten von Geräten. So kam es mir jedenfalls vor. Mein neues Leben hatte begonnen, mein neues Leben mit einer gesunden Niere.

Zwei Menschen im Glück

Schon einen Tag später ging es mir deutlich besser. Ich war ungeheuer froh, die Operation überstanden zu haben, und als ich versuchsweise meine Finger und Zehen bewegte, war ich schon wieder ganz guter Dinge. Am schönsten aber war der Moment, als Erwin in einem Rollstuhl in mein Zimmer geschoben wurde. Welch wunderbarer Anblick! Irgendwie war es ihm gelungen, gut, ja sogar attraktiv auszusehen, als er mich mit den Worten «Hallo, Liebste» begrüsste. Ich konnte mein Glück kaum fassen, dass wir beide den Eingriff lebend überstanden hatten.

Mehr
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?