Zum Schweizer «Tatort»
Gar nicht schlecht – dank zwei Deutschen

Unsere Autorin hat schon über 370 «Tatort»-Folgen gesehen. Von jenen aus der Schweiz waren die meisten schlecht, «Schattenkinder» am nächsten Sonntag ist eine Ausnahme. Hier erklärt sie, wieso die Folge ziemlich okay ist – und wir es den nördlichen Nachbarn verdanken.
Publiziert: 12.03.2022 um 00:17 Uhr
Silvia Tschui

Solch einen Schweizer «Tatort» hat es noch nie gegeben. Schon die Eingangssequenz zeigt: Hier wird es ziemlich abartig und düster. Entstellte Menschen in Nahaufnahme, mit dunkel tätowierten Augäpfeln. Und wie in dieser Folge die Leiche aufgefunden wird, könnte auch einer Hollywood-Produktion wie «Seven» oder «True Detective» entstammen: von Kopf bis Fuss in Zellophan eingewickelt und in einer Lagerhalle frei von einem Haken hängend, schwebend – und filmisch perfekt als gruselig-düster-«schönes» Tableau ausgeleuchtet. Die aussergewöhnliche Kamera-Arbeit verdankt diese Folge übrigens Simon Guy Fässler (44).

Auch wenn man es im alltäglichen Leben oft nicht wahrhaben will: Abgründe tragen viele mit sich herum, manche kleinere, manche solche, die in höllenartige Tiefen führen, und manche auch solche, die sie äusserlich für alle schmerzhaft sichtbar machen wollen. So ergeht es jedenfalls drei Menschen in dieser «Tatort»-Folge, die sich einer Schweizer Künstlerin mit dem Wahlnamen Kyomi (japanisch für «pur und schön») als «Objekte» zur Verfügung stellen und fortan, auch nach Abschluss des «Werkzyklus», mit von ihr tätowierten Gesichtern und Augäpfeln durch die Welt gehen.

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Kranke Menschen in einer ziemlich kranken Welt

Das kann man ziemlich krank finden – und ist es wohl auch, denn die besagten «Objekte» fühlen sich ja tatsächlich krank. Nur sah man ihnen bis anhin von aussen nichts an. Mit ihren Tätowierungen lösen sie in Menschen, die sie betrachten, bewusst etwas von dem aus, was sie ständig mit sich herumtragen: Abscheu, Schmerz, Ekel.

Auf Spurensuche in einer Künstlerkommune: Carol Schuler als Kommissarin Tessa Ott, Anna Pieri Zuercher als Kommissarin Isabelle Grandjean.
Foto: SRF/Sava Hlavacek
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Eine Logik, die Kommissarin Ott (Carol Schuler, 34) versteht – auch wenn man ihr nicht ganz folgen kann, wenn sie «irgendwie gut findet», was diese Künstlerin (gespielt von Sarah Hostettler, 38) «macht». Denn die Praxis, den Schmerz und die Verwundbarkeit anderer Menschen zynisch für eigene Zwecke kommerziell auszunützen, verbindet man in der Regel eher mit der Selbsthilfe-Industrie und ihren oft esoterischen Auswüchsen und Kürsli-Angeboten als mit der Kunstwelt. Dass die aber nach denselben Regeln funktioniert, wird hier beiläufig aufgezeigt – und auch das ist ziemlich krank. Und vom «Tatort» geschickt gezeigt.

Trotz Schwächen bleibt die Folge «Schattenkinder» immer spannend

Hauptsächlich – und das ist der eigentliche Verdienst dieser Folge – wirbt sie aber ganz nebensächlich für Verständnis für Lebensläufe, die sich einem Normalbürger ohne schreckliche Geschichten im Hintergrund wohl nie erschliessen werden. Und da ist es auch nicht so schlimm, dass schliesslich die Umstände, die zum Leichenfund führten, ziemlich verquast sind. Auch das Motiv für einen versuchten weiteren Mord ist zwar irgendwie verständlich, die kompliziert-absurde Ausführung jedoch wirklich an den Haaren herbeigezogen.

Das schadet der Folge aber nur bedingt: Zu gut respektive zu wenig hölzern wie ansonsten leider gewohnt sind für einmal die Dialoge, und der Spannungsbogen bleibt ziemlich konstant. Zu verdanken ist dies zwei deutschen Drehbuchautorinnen: Nina Vukovic (43) und Stefanie Veith. Und dem SRF, das für einmal im «Tatort» etwas Unkonventionelles gewagt hat.

Der Schweizer «Tatort – Schattenkinder» läuft am Sonntag, 13. März, um 20.05 auf SRF 1.

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